Wilfried Steiner: "Der Trost der Rache"
Ein
verhinderter Fremdrächer erzählt
Für Ausschnitte aus seinem Roman mit dem krimiartig anmutenden
Titel "Der Trost der Rache" wurde Wilfried Steiner im Oktober 2016 in
St. Florian bei Linz mit dem biennalen Literaturpreis "Floriana",
dotiert mit 7.000 Euro, ausgezeichnet. Das Motto des Wettbewerbs
lautete "zu/über/und Schönheit", es wurden 220 Texte
eingereicht. "Die Schönheit lässt sich nur
an ihren Brüchen erkennen. Der Tod des Vaters setzt die
Geschichte des Adrian Rauch in Bewegung. Er verlässt seine
geregelten Bahnen, um den Blick ins All zu richten. Seine Leidenschaft
führt ihn von universaler Wahrheit auf den Boden der
Wirklichkeit, in knallharte Verdichtung. Und das in einer
sorgfältigen, aufmerksamen und klugen Sprache", so
die Jury, der Thomas Baum, Lydia Mischkulnig, Karin Peschka, Ingeborg
Sperl und Anton Thuswaldner angehörten.
"Der Trost der Rache" ist nach Wilfried Steiners bewährter
Romanrezeptur gebraut, und "knallharte Verdichtung"
eher nicht sein Stil: Ein Mann, bislang höchstens als
besonders braves Mitglied der Gesellschaft
verhaltensauffällig, wird von einer geheimnisvollen Fremden
aus seiner trägen Beschaulichkeit gerissen, in andere
Sphären und zumindest vorübergehend aus der Reserve
gelockt.
Sofern man sich nicht an der stellenweise holprigen Romankonstruktion
und dem nervtötend reaktionsträgen
Icherzähler stößt (warum Wilfried Steiner
schon wieder einen derartigen Protagonisten erschaffen hat, ist und
bleibt wohl ein Rätsel, zumal die weiblichen Romanfiguren
stets aus ganz anderem Holz geschnitzt sind), bietet "Der Trost der
Rache" ansprechende Unterhaltung, Wissenswertes über Chiles
Geschichte, Informationen über das unrühmliche
Verhalten gewisser Politiker und Geheimdienste sowie über
Astronomie, Einsprengsel über
Wilhelm
Reich (mit dem sich übrigens Harry Mulisch einst
glücklos auseinandergesetzt hat; das Buch ist auf Deutsch
unter dem Titel "Das sexuelle Bollwerk. Sinn und Wahnsinn von Wilhelm
Reich" erschienen), Überlegungen zum Thema Selbstjustiz und
stimmungsvolle Schilderungen von La Palmas Naturschönheiten -
allerdings auch entsetzliche Folterszenen.
Angesichts der auffallend gleichbleibenden Machart seiner Romane
möchte man den 1960 geborenen Autor höflichst
ermutigen, sich doch getrost endlich an andere Konstellationen und
weniger oberflächlich gehaltene Figuren zu wagen, das
Potenzial dazu wäre gewiss vorhanden, es blitzt in besonderen
Momenten immer wieder auf. Dass bislang jeder seiner Romane "Der
Weg
nach Xanadu", "Bacons Finsternis" und "Die
Anatomie
der Träume" in einem anderen Verlag
erschienen ist, wird gute Gründe haben. Langsam wäre
die Zeit wohl reif für inhaltliche Überraschungen und
kreative Wagnisse.
Adrian Rauch, der Vorname ist der väterlichen Verehrung Thomas
Manns geschuldet, Wiener Kulturförderungsbeamter, verheiratet
mit der Psychotherapeutin Karin, führt ein
gemächliches Dasein. Die allnächtlichen
Himmelsbeobachtungen durch sein Teleskop betreibt er gewissenhaft, die
Ehe funktioniert einigermaßen, wenngleich sich Adrian
gegenüber seiner Frau, die ein Faible für Wilhelm
Reich hegt, gelegentlich eher wie einer ihrer Klienten fühlt.
Der plötzliche Krebstod seines zuvor so vitalen Vaters, eines
bekannten Wiener Onkologen, (von Wilfried Steiner mit deutlich mehr
Tiefgang als die übrigen Romanfiguren dargestellt),
reißt Adrian aus seiner allumfassenden Antriebslosigkeit, und
er beschließt, sehr zur Freude seiner urlaubsreifen Ehefrau
(schon wieder eine Psychotherapeutin als Romanfigur?!), mit ihr auf die
Insel La Palma zu reisen, um das dortige weltgrößte
Spiegelteleskop zu sehen. Bereits das Ausfindigmachen einer geeigneten
Unterkunft gestaltet sich jedoch langwierig, legt der unter Flugangst
leidende, prinzipiell höchst ungern verreisende Adrian doch
allergrößten Wert auf ein extragroßes Bett
samt Allergikerbettwäsche, doch schließlich sind
alle Vorkehrungen getroffen, und das Ehepaar Rauch fliegt im Februar
des Jahres 2014 auf die Kanarische Insel.
Dort angekommen, ergibt sich die Bekanntschaft mit der Ornithologin
Sara Hansen, einer Frau, der man ihr Alter nicht sofort ansieht, die
jedoch stets bestrebt ist, ihre Hände in langen
Ärmeln zu verbergen. Karin nimmt Windsurfstunden beim
Tausendsassa Ricardo, der Adrian zunächst nicht unbedingt
sympathisch ist, doch heutzutage schickt es sich bekanntlich in
gewissen Kreisen nicht, eifersüchtig zu sein, und
außerdem täuscht der erste Eindruck nicht selten -
auch Ricardo hat eine belastende Familiengeschichte zu
erzählen. Adrian hört bisweilen die Stimme seines
kürzlich verstorbenen Vaters (einfühlsam und
originell von Wilfried Steiner eingesetzt), auch Gedichtzeilen von
Pablo Neruda durchziehen den Roman und weisen gewissermaßen
schon früh in eine bestimmte Richtung, denn bald stellt sich
heraus, dass Adrian die Geschehnisse der vergangenen Tage
rückblickend schildert, und auch, dass er diese Aufzeichnungen
in keiner für ihn angenehmen Situation verfasst.
Die Urlaubsfreunde suchen also gemeinsam das Observatorium auf, doch
angesichts des anwesenden Astronomen fällt Sara in Ohnmacht.
Die gebürtige Chilenin, die nach ihrer Emigration mit einem
Deutschen verheiratet war und in Deutschland gelebt hat, berichtet,
ausgehend vom 11.
Sepember 1973, später vom entsetzlichen
Schicksal ihrer Familie, den daraus resultierenden
erdrückenden Schuldgefühlen und der schwierigen,
langen Suche nach dem nun fünfundsechzigjährigen
Folterer und Mörder Osvaldo Durán
Cárdenas - danach ist für Adrian und Karin nichts
mehr wie zuvor.
Adrian, Karin und Ricardo werden, teils davon abgestoßen,
teils angezogen, immer tiefer in Saras Racheplan hineingezogen, woraus
sich Gewissenskonflikte, tiefgründige Überlegungen
sowie eine ausgewachsene Verschwörung ergeben, vor allem die
besonders klischeebeladenen Figuren Adrian und Karin sehen sich mit
völlig neuen Fragestellungen konfrontiert. Adrian
beschäftigt sich nächtelang intensiv mit der
Geschichte Chiles seit der Wahl Salvador Allendes und fühlt
auch angesichts der damaligen internationalen Reaktionen auf den Putsch
und die Machenschaften der Militärdiktatur unter Pinochet
naturgemäß erneut Empörung in sich
aufsteigen.
"Er muss sterben, damit ich leben kann", sagte Sara.
(S. 157)
Saras Racheplan ist längst geschmiedet, alles steuert auf den
unausweichlichen Höhepunkt im Observatorium zu - und dann
kommt es ganz anders, doch was Wilfried Steiner seinem, wenn man so
will, "Antihelden" und dem Rest der Truppe plötzlich an
fernsehkrimigeschultem Verhalten aufbürdet bzw. zumutet,
erscheint nicht sonderlich glaubwürdig ... Mehr soll an dieser
Stelle nicht verraten werden.
"Der Trost der Rache" gliedert sich in die Kapitel "Das Verschwinden",
"Die Verschwundenen" und "Die Vergeltung", wobei das unter den
gegebenen Voraussetzungen glückliche Ende
einigermaßen verblüffend wirkt. Nicht unbedingt
Wilfried Steiners bester Roman, trotzdem durchaus lesenwert!
(kre; 11/2017)
Wilfried
Steiner: "Der Trost der Rache"
Haymon, 2017. 274 Seiten.
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