Mario Schlembach: "Dichtersgattin"


Es gibt Bücher, die jegliche Erwartung übererfüllen. Mario Schlembach, der 1985 geborene Autor von "Dichtersgattin", ist neben dem Lagerfriedhof Sommerrein aufgewachsen. Er studierte nicht nur Film- und Medienwissenschaft, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft, sondern arbeitete auch als Bestattungshelfer und Totengräber.
Das hat mich neugierig gemacht. Ich hatte mir, bevor ich auch nur eine Zeile des Buches las, vorgestellt, dass der Tod und die Literatur mir auf jeder Seite begegnen würden. Und dann dieser Paukenschlag! Mit dem ersten Satz wurde ich hineingerissen in einen irrsinnigen Monolog einer Frau, die auf ihren Mann Hubert einredet. Sie tut dies auf eine Art und Weise, dass einem die Spucke wegbleiben kann. Warum dieses Gerede?

Elias Canetti schrieb einst "Das Buch gegen den Tod". Zeit seines Lebens war Canetti kein Freund des Todes gewesen. Ja, er war richtiggehend empört über die Tatsache, einmal sterben zu müssen. Er musste sich seine Gedanken über den Tod und alles, was damit zusammen hängt, von der Seele schreiben, und hat dies öffentlich gemacht. Es wäre zu einfach, den Roman von Mario Schlembach als "Buch für den Tod" zu qualifizieren. Der eigentliche Held ist der schweigende Hubert, dessen Frau ihn mit ihrem Gequassel am Leben erhalten will. Dabei ist er längst tot, vielleicht war er dies schon über Jahre zu Lebzeiten. Alles hat er dem Tod untergeordnet, er arbeitete bei der Bestattung und organisierte unzählige Begräbnisse. Er schrieb akribisch Totengedenken, ohne einen Gedanken an die Lebenden zu verlieren. Nur der Tod interessierte ihn, das Leben war eine andauernde Überforderung.

Seine Frau holte Hubert aus der Versenkung. Sie wartete über Jahrzehnte darauf, dass er das Werk sondergleichen schaffen würde. Ein literarisches Werk, das die Welt noch nicht gesehen hatte! Aber nichts, gar nichts entstand. Hunderte Notizbücher hätten jede Menge Stoff ergeben, doch darum kümmerte sich Hubert nicht. Die ewig auf ihn Einredende verstand das nicht. Ein Mensch, der nur dem Tod huldigt und vom Leben nichts versteht. Und keine Zeile schrieb er über sie, über die Frau, die ihn rettete! Dafür tausende Seiten Todessehnsucht, was für ein Wahnsinn! Nein, ein "Buch für den Tod" ist "Dichtersgattin" nicht, weil das zu einfach wäre. Es ist eher als eines über den gescheiterten Versuch, den Tod verstehen zu wollen, einzustufen.

Und dann noch die Literatur, eine Brandrede fast gegen die Beliebigkeit. Der Monolog konzentriert sich darauf, was Literatur nicht ist. Autoren werden abgewatscht, jeden Schmarren, den sie fabrizieren, wollen sie veröffentlicht sehen. Dabei entsteht jede Menge Abfall. Thomas Bernhard hätte es dabei belassen sollen, Titel zu präsentieren, wer brauchte da schon 500 oder 700 Seiten lange Romane? Und was ist von Handke zu halten, der über alles schreibt, was sich irgendwie beschreiben lässt? Ist Schreiben eine Form, den Tod zu überlisten?
Jedes Buch hat ein Ende, so auch das von Mario Schlembach. Das Ende ist tragisch und komisch zugleich. Wie das ganze Buch tragisch und komisch ist. Wer ständig in der Todesspirale steckt, hat etwas zu verbergen. Wer nur den Tod im Blick hat, erträgt das Sterben nicht. Tod und Literatur sind nicht die einzigen verhandelten Sujets in diesem Buch. Doch es sind die schillerndsten. Liebe ist nur Makulatur, ein Trauerspiel. Der Friedhof die einzige Stätte, wo Hubert er selbst sein kann. Die Liebe trägt den Tod in sich, aber ein Leben lang ohne Unterbruch?

Und es würde mich nicht wundern, entstünde ein Film nach dieser glänzenden Vorlage von Mario Schlembach. Ein Film, der eine Satire auf den österreichischen Kulturbetrieb sein könnte oder aber eine Abrechnung mit der Endgültigkeit des Todes.

(Jürgen Heimlich; 03/2017)


Mario Schlembach: "Dichtersgattin"
Otto Müller Verlag, 2017. 230 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

David Vogel: "Eine Ehe in Wien"

In den Fängen einer dunklen Liebe.
In seinem Meisterwerk beschreibt David Vogel in sensibler wie schonungslos offener Sprache die Liebesqualen eines angehenden Schriftstellers und erzählt dabei von nichts Geringerem als vom Kern des Daseins: Rudolf Gordweil ist im Wien der zwanziger Jahre einer Femme fatale verfallen. Von Woche zu Woche mehr gedemütigt und erniedrigt, braucht er die Kraft des Verzweifelten, um endlich zum Befreiungsschlag auszuholen.
David Vogel, geboren 1891 in Satanow, lebte ab 1912 in Wien. 1929 emigrierte er nach Palästina, kurz darauf erschien "Eine Ehe in Wien". 1930 zog er nach Paris. Nach der Besetzung Frankreichs wurde er ins KZ Auschwitz deportiert und 1944 ermordet. Heute gilt er als großer Erneuerer der hebräischen Literatur. 2013 konnte sein zuvor verschollener Roman "Eine Wiener Romanze" erstmals veröffentlicht werden.
(Aufbau)
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