Jean-Christophe Rufin: "Der Schatzmeister des Königs"


"Ich war voller Zweifel, voller Pläne, voller Hoffnung."
Die Lebensgeschichte eines Aufsteigers


Frankreich, 15. Jahrhundert. Jacques Coeur war der reichste Mann des Landes, ja des gesamten Abendlandes. Zu seinem Imperium zählten Handelsniederlassungen in ganz Europa, Silberminen, Galeeren, Burgen, ein Palast in seiner Heimatstadt. Er war Kaufmann, Finanzier, Kreditgeber, Steuereintreiber und Mitglied des königlichen Rates. Für Karl VII., den König von Frankreich, war er unentbehrlich als dieser den Hundertjährigen Krieg beendete, seine Macht festigte und seinen Staat reformierte. In dieser Zeit des Umbruchs und der Schaffung eines Zentralstaates gelang dem bürgerlichen Jacques Coeur ein beispielloser Aufstieg.

Jean-Christophe Rufin, Arzt, politischer Aktivist und Schriftsteller, versucht, dieser weithin unbekannten Figur aus der französischen Geschichte ein literarisches Denkmal zu setzen. Er lässt ihn gleichsam selbst von seinen Erlebnissen berichten, rückblickend am Ende seines Lebens. Schrittweise entrollt er seine Geschichte, erzählt chronologisch und versucht in dieser Entwicklung Grundsätze und Strukturen seines Lebens herauszuarbeiten.
Welche Eigenschaften entwickelte er, welche Überzeugungen gewann er, welche Schritte setzte er? Als Sohn eines Kürschners, in bescheidenen Verhältnissen in Bourges aufgewachsen, heiratete er in eine gutgestellte Bürgersfamilie ein. Durch seine Schwiegereltern lernte er die Welt des Geldhandels kennen und kam zu dem Schluss: "Geld ist reiner Traum". Es zu betrachten bedeute, die endlose Prozession der Dinge dieser Welt an sich vorbeiziehen zu lassen.
Die zweite Lehre aus seinen Schlussfolgerungen lautete: "Die Ordnung der Dinge ist nicht unabänderlich, weder Angst noch Selbsterniedrigung sind schicksalshaft." Aber der Weg nach oben war auch holprig. Gemeinsam mit Partnern betrieb er die Münze in Bourges, wurde der Verfälschung der Münzen überführt, kam ins Gefängnis und brach anschließend, einem Kindheitstraum folgend, zu seiner ersten großen Orientreise auf. Das verheißene Land seiner Träume zeigte sich als Zentrum der großen Handelsstraßen, als Mittelpunkt der Welt gleichsam. Diesen Reichtum nach Frankreich zu bringen, wurde ihm zum nächsten Traum. Er gründete ein Handelshaus, zog ein großangelegtes Vertriebsnetz auf und bot seine Dienste dem König an. Als Kaufmann macht er dem König den Frieden schmackhaft, als Zeit der Betriebsamkeit der Menschen, mit einem freien Fluss der Waren, Aufschwung der Städte und letztlich des Landes.
Als Argentier schließlich, einer Art königlicher Kaufmann und Hoflieferant, verknüpfte er seine Tätigkeit mit seinen eigenen Geschäften auf das Vorteilhafteste und sammelte Reichtum wie Einfluss an.
Aber, so lässt der Autor seinen Helden resümieren: "Mein Leben lang sollte sich diese leidvolle Erfahrung wiederholen. Talent, Aufstieg und Erfolg machen einem zum Feind der Menschheit; je mehr sie einen bewundern, desto weniger erkennen sie sich in einem wieder und hält ihn daher lieber von sich fern."
Eine Intrige, die ihn des Mordversuchs und Betrugs bezichtigte, brachte ihn zu Fall. Gefängnis und Konfiszierung seines Vermögens waren die Folge.

Ob und wie die schriftstellerische Fantasie der historischen Figur Jacques Coeur gerecht wird, sei dahingestellt. Es gelingt ihr aber, sie aus dem Dunkel der Vergangenheit hervorzuholen. Dem literarischen Monsieur Coeur werden Eigenschaften zugesprochen, die damals wie heute zu den Grundlagen von Erfolg zählen. Abenteuerlust, Risikobereitschaft, Hartnäckigkeit, Selbstgewissheit und eine in die Zukunft gerichtete Leidenschaft, "die meinen Geist von der Tyrannei der Gegenwart erlöst".
Dieser Entwicklungsroman, der mit Tatsachen mitunter recht freizügig umgeht, ist fiktiv. Trotzdem schafft es der Autor, eine uns sehr ferne Epoche glaubhaft zum Leben zu erwecken. Wer Freude an historischen Schmökern hat, dem ist die Lektüre durchaus zu empfehlen, denn man gewinnt nicht nur neue Einblicke in unsere Vergangenheit, sondern auch Ausblicke in die Gegenwart.

(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 11/2017)


Jean-Christophe Rufin: "Der Schatzmeister des Königs"
(Originaltitel "Le Grand Cœur")
Aus dem Französischen von Nathalie Lemmens.
C. Bertelsmann, 2017. 480 Seiten.
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