Markus Orths: "Max"
Die sechs Frauen von Max
Ernst ...
Der "Max" des Romans von Markus Orths ist kein geringerer als Max Ernst.
Grafiker, Surrealist und Bildhauer und jedenfalls eine der
schillerndsten Figuren der Kunstwelt seiner Zeit. Nach dem verrückten
Science-Fiction-Abenteuerroman "Alpha & Omega: Apokalypse für
Anfänger" nun also ein Roman, der dem Genre "Faction"
angehört. Fiktion, basierend auf Fakten also. Oder wirklich korrekt:
basierend auf historischen Quellen.
Das gelingt zumeist spannend, unterhaltend und überzeugend. Auch wenn
das Genre selbst seine Tücken hat, einfach weil sich die Frage stellt,
weshalb der Roman hier das geeignete Medium sein soll, um sich mit Max
Ernst zu beschäftigen. Markus Orths umschifft diese Klippe allerdings
mit Bravour, indem er zwar Max Ernst in den Mittelpunkt stellt, aber nie
allein oder gar nur im Umkreis seiner Kunst. Die Frauen sind es, die
hier prägend sind. Alle sechs großen oder wichtigen Liebesbeziehungen,
die für Max Ernsts Leben bestimmend waren. Letztendlich ist Max Ernst
der rote Faden, der die verschiedenen Frauenporträts zu einem großen
Roman verbindet. Und über all diesen Geschichten steht die Geschichte
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gesehen aus der Perspektive der
avantgardistischen Künstler und Intellektuellen.
"Sechs Frauen, sechs Lieben, ein Jahrhundert" - so ein der
Aufkleber auf dem Schutzumschlag des Romans.
Markus Orths widmet jeder Frau einen der sechs Abschnitte des Romans. Da
ist zuerst Louise Straus, die Max Ernst noch während seines Studiums in
Bonn kennen und lieben lernt. Lou, wie sie meist genannt wird, findet
ihren Weg erst nach der Trennung von Max, wird Journalistin und schreibt
Reden für Konrad Adenauer. Sie wird zu einer Art kultureller Instanz im
Rheinland und ist unter Anderem mit Kurt Weil und
Bertolt
Brecht befreundet. Ihr gemeinsamer Sohn wird später auch Künstler
werden.
Paul und Gala Éluard sind der Grund für die Trennung von Lou. Hier
schlittert Max Ernst in eine Art Dreiecksverhältnis, das auch nach zwei
Jahren endet. Gala wird später die Ehefrau von
Salvador
Dalí.
Danach folgen die Beziehungen, Affären und Ehen mit der französischen
Malerin Marie-Berthe Aurenche, mit der britisch-mexikanischen
Surrealistin, Schriftstellerin und Dramatikerin Leonora Carrington, mit
der Mäzenin und Galeristin Peggy Guggenheim und letztendlich mit der
us-amerikanischen Malerin Dorothea Tanning.
Sehr schön gelingt es Markus Orths, in jedem der sechs Abschnitte eine
ganz eigene Stimmung zu erzeugen. Er gibt den Frauen klar
unterscheidbare Stimmen, was sehr zum künstlerischen Erlebnis dieses
Romans beiträgt. Fein gezeichnet sind auch die jeweiligen Zeitporträts,
fast musikalisch untermalt mit gut ausgehörten Klängen, die diese sechs
Porträts begleiten. So kurzlebig, wie die Beziehungen, waren auch die
Zeiten. Ebenso rasant sind hier die Wechsel zwischen diesen Zeiten
gezeichnet. Das wirkt oft atemlos, gehaucht oder auch mit einer
gehörigen Portion Swing versehen.
Das Erzählerische ist ebenso sprung- und wechselhaft. Dialoge, rasante
Wortwechsel und unterschiedliche Erzählperspektiven bestimmen diesen
Roman. Langweilig ist das nie, das eine oder andere Mal vielleicht etwas
zu gehetzt.
Natürlich kommen in einem Künstlerroman auch viele Künstler vor. Und Max
Ernst war, wie es zumindest nach der Lektüre dieses Romans anmutet,
bestens vernetzt. Er scheint mit allen wichtigen Künstlerinnen und
Künstlern, Figuren des Kulturlebens und Autoren bekannt gewesen zu sein,
denn hier kommen sie alle vor. Dalí, Miró, Hans Arp, Giacometti,
Lion
Feuchtwanger,
Ian
Fleming und Picasso
sind nur einige davon. Da merkt man die genaue Recherche, die Markus
Orths betrieben haben muss, denn die paar Begebenheiten, die der
Rezensent überprüft hat, haben sich als zutreffend erwiesen. Wenn die
Episode mit Ian Fleming der Wahrheit entspricht, dann soll Max Ernst
quasi mit einer bezüglich der Unterschiede zwischen dem Stierkampf in
Portugal und Spanien geäußerten Frage durch Zufall den berühmten Spruch
"Lizenz zum Töten" kreiert haben. Ob wahr oder nicht,
unterhaltend ist das jedenfalls.
In Zeiten des Krieges war es natürlich unmöglich, von der Gewalt der
Kriege unbehelligt zu bleiben. Mit Lion Feuchtwanger ist Max Ernst in
einem französischen Internierungslager eingesperrt, und Ian Fleming
trifft er auf der Flucht vor den Nazis in
Lissabon.
Zusätzlich erlaubt dieser Roman auch ein schönes Kennenlernen der
diversen stilistischen Epochen im Schaffen von Max Ernst, seines
künstlerischen Werdegangs, und genehmigt einen tiefen, wenngleich in
diesem Fall wirklich fiktiven Einblick in die Psyche des großen
Künstlers.
"Max" ist ein sehr empfehlenswerter Roman, dessen einziges Manko, wenn
überhaupt, die Tatsache ist, dass er nicht zur Gänze erfunden ist.
(Roland Freisitzer; 12/2017)
Markus
Orths: "Max"
Hanser, 2017. 567 Seiten.
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