Henning Mankell: "Der Sandmaler"
Im
Jahr 1971 besuchte Henning Mankell erstmals den afrikanischen
Kontinent, seine Reise führte ihn nach Guinea-Bissau, zu
diesem Zeitpunkt noch eine portugiesische Kolonie. Seine
Eindrücke müssen überwältigend
gewesen sein, denn was folgte, war das Verfassen des kleinen Romans
"Der Sandmaler", wobei er auf Tagebuchaufzeichnungen
zurückgreifen konnte. Mankells Entscheidung, in Maputo
(Mocambique) ein Theater zu gründen und dieses Land
über viele Jahre als seine zweite Heimat zu sehen, ist ohne
diese Initialzündung nicht denkbar. Das macht wohl auch den
Reiz dieses 2015 verstorbenen Autors aus. Einerseits seine
Kriminalromane rund um den zur Kultfigur gewordenen Kurt Wallander,
andererseits seine Afrika-Romane.
Für den Rezenenten als Kenner (fast) aller Werke von Henning
Mankell war es etwas ganz Besonderes, seine beiden letzten
Bücher, nämlich "Treibsand"
und "Die
schwedischen
Gummistiefel" zu lesen. Der
Autor wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und es
war ihm ein Bedürfnis, sein literarisches Lebenswerk mit
diesen beiden Projekten abzuschließen. Handelt es sich
hierbei also um die letzten Schritte eines Schriftstellers,
können wir als Leser des "Sandmalers" seine ersten Schritte
mitgehen. Es wäre unsinnig, auf Schwächen oder
weniger gute Abschnitte einzugehen. Mankell war 23 Jahre alt, und
vordergründig ist es spannend, mit einem Frühwerk
konfrontiert zu werden.
Im Mittelpunkt stehen fünf Personen. Elisabeth und Stefan
machen 14 Tage Urlaub in
Afrika (wo genau, bleibt offen). Sven, mit dem
Elisabeth auch Zeit verbringt, ist so eine Art Gegenfigur zu dem nur
auf Genuss und Lustgewinn bedachten Stefan. Er kritisiert den
Kapitalismus
stark und sieht die Kehrseite der Medaille. Elisabeth ist
bemüht, ein Stück weit die Menschen dieses Landes,
ihre Gebräuche, ihre Lebenseinstellungen kennenzulernen. Sie
und Stefan sind keine 20 Jahre alt, während Sven schon etwas
älter ist. Und dann gibt es noch Ndou und Yene. Ndou ist ein
Junge, der den Urlaubenden schon bald nach der Ankunft begegnet, Yene
seine achtzehnjährige Schwester. Die Begegnungen der
Urlaubenden mit den Einheimischen bilden einen wichtigen Aspekt des
Romans.
Die Botschaft der Geschichte mag jene sein, Menschen mit anderen
kulturellen Wurzeln aufgeschlossen und mit Respekt zu begegnen. Die
Vorgangsweise Stefans, der unbedingt mit schwarzen jungen Frauen
schlafen will und überhaupt nicht an deren Lebenswelt
interessiert ist, führt dazu, dass es zu einem Bruch zwischen
ihm und Elisabeth kommt. Die beiden kennen sich von früher,
und es erscheint etwas kurios, dass die nachdenkliche, nach dem Sinn
ihres Lebens suchende Elisabeth bereit ist, sich fast den ganzen Urlaub
lang mit dem Phrasendrescher und ständig "geilen" Stefan
einzulassen. Aber das ist wohl ein literarisches Mittel, um
Polarität zu erzeugen. Eigentliche Hauptfiguren sind ohnehin
Elisabeth und auch Sven. Für Sven empfindet Elisabeth
Zuneigung, ist aber sehr zurückhaltend, weil er Epileptiker
ist und sie nicht weiß, wie sie damit umgehen sollte, wenn er
mitten in einer intimen Situation einen Anfall erleidet.
Der schmale Roman setzt sich aus vielen kleinen Episoden zusammen, die
ein Kaleidoskop aus Eindrücken und Erfahrungen ergeben. Der
Besuch eines halbverfallenen Friedhofs, auf dem Engländer
bestattet sind, macht bewusst, dass die Einheimischen keinen Wert
darauf legen, sich um diese Grabstätten zu kümmern.
Die Kapitalisten investieren viel Geld, um den Tourismus zu
stärken und daraus Gewinn zu erzielen. Das ist den
Einheimischen bewusst, das Verhältnis zu den Urlaubenden ist
somit gespalten. Nur Wenige profitieren von der Touristenwelle. Als
Elisabeth und Stefan in ein abgelegenes Lepra-Dorf gelangen, werden sie
von Übelkeit übermannt, und sogar Stefan findet, dass
ein weißgewandtes älteres Paar, das mit Vorliebe
schwerkranke Menschen fotografiert und damit "dokumentiert", einfach
nur pervers sein kann.
Henning Mankell hat sich mit Elisabeth identifiziert, vielleicht auch
ein wenig mit Sven. Die Gegenfigur des Stefan ist
gewissermaßen als Kunstgriff zu sehen, der notwendig scheint.
Und was hat es mit dem "Sandmaler" auf sich? Elisabeth sieht eines
Tages am Strand ein Porträt im Sand, das sie fasziniert. Ein
vielleicht zwanzigjähriger Bursche hat es geschaffen und
zeichnet im Sand ein weiteres Porträt, eines von und
für Elisabeth. Er verlangt dafür kein Geld, es ist
ein Geschenk. Ein Geschenk, das physisch nicht dauerhaft zu greifen
ist, und gerade deswegen etwas Besonderes. Diese Begegnung ist
bestimmend für Elisabeth. Die Arbeit des Sandmalers kann auch
als Absage an den Materialismus verstanden werden.
Dieses Frühwerk Henning Mankells ist kein
Meisterstück, kann es auch gar nicht sein. Aber Menschen, die
mit Mankells Werk vertraut sind, wird es ein Stück weit
zeigen, wie es zustandekam, dass später ausgezeichnete Romane
wie "Der Chronist der Winde" oder "Das Auge des Leoparden" entstehen
konnten. Mit mehr als vier Jahrzehnten Verspätung ist nun also
"Der Sandmaler" erstmals in deutscher Übersetzung zu lesen,
und das ist gut so.
(Jürgen Heimlich; 08/2017)
Henning
Mankell: "Der Sandmaler"
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Zsolnay, 2017. 160 Seiten.
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