Wang Schi Tschong: "Kin Ping Meh"


Die abenteuerliche Geschichte von Hsi Men und seinen sechs Frauen: ein berühmter chinesischer Sittenroman

Neben "Die drei Königreiche", "Die Reise nach Westen" und "Die Räuber vom Liang schan Moor" gehört "Kin Ping Meh" zu den "großen merkwürdigen" Romanen der chinesischen Literatur und belegt dabei nach Ansicht vieler chinesischer Literaturwissenschaftler den dritten Platz. Geschrieben im 16. Jahrhundert, erzählt das Werk eine Geschichte aus dem zwölften Jahrhundert - bzw. eigentlich mehrere Geschichten, die aber eng miteinander zusammenhängen. Kurz nach der Veröffentlichung wurde es wegen seiner zum Teil sehr eindeutigen Darstellungen sexueller Handlungen - und deren Häufigkeit - auf den Index gesetzt. Es gehörte danach zu jenen Büchern, die angeblich niemand besaß, die aber jeder ausgiebig zitieren konnte.

Erzählt werden die Geschichten rund um den Haushalt des Lebemanns Hsi Men, der genügend Geld verdient, um sich mehr als eine Frau zu leisten, die Schnorrer in seinem Freundeskreis bei Laune zu halten und auch noch regelmäßig eines der zahlreichen Bordelle in der Umgebung aufzusuchen. Zu Beginn der Erzählung hat dieser Schöngeist vier feste Ehefrauen und eine unüberschaubare Zahl an Mätressen. Dann lernt er die junge Goldlotos kennen, die zum Zeitpunkt der Bekanntschaft noch mit einem anderen Mann verheiratet ist, den sie aber nicht sonderlich schätzt. Der Ungeliebte stirbt wenig später und unter fragwürdigen Umständen, aber eine entsprechende Verteilung von Geschenken an die ermittelnden Beamten sorgt dafür, dass der Todesfall zu den Akten genommen wird.

So kommt Goldlotos als fünfte Frau in Hsi Mens Haus, aber sie ist nicht bereit, sich ihren Vorgängerinnen so unterzuordnen, wie dies eigentlich der Fall sein sollte. Und so beginnt hinter den Mauern von Hsi Mens großer Stadtvilla ein andauernder Krieg zwischen den Frauen, der auch dadurch erschwert wird, dass die jeweiligen Dienerinnen und Zofen der Ehefrauen fleißig mitmischen, aber auch oft genug selbst Objekte der Begierde des Hausherrn sind, was die eifersüchtige Goldlotos immer wieder zu Wutausbrüchen und dramatischen Auftritten treibt. Aber auch unter der Hand ist sie überaus aktiv, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Denn diejenige, die dem Hausherrn als Erste einen Sohn und Erben beschert, wird automatisch in die erste Position der weiblichen Hierarchie aufrücken, sodass Fruchtbarkeitsbeschwörer und Hersteller von Wundermitteln für die Empfängnis in diesem Haus gute Umsätze erzielen. Und auch die von Potenzmitteln, denn Hsi Men hat durchaus den Anspruch, alle seine Frauen zufriedenzustellen. Was auch schließlich dazu führt, dass er noch eine sechste Frau ins Haus bringt, der er ganz verfallen zu sein scheint, was die anderen Frauen - aber insbesondere Goldlotos - auf die Palme bringt. Und dann wird die sechste Frau schwanger und treibt damit den Konflikt im Haus auf die übernächste Eskalationsstufe.

Da ist man erst etwa in der Mitte dieses Romans angelangt, in dem Liebe, Leidenschaft und Lust - und Geldgier - immer wieder über die Moral und auch den gesunden Menschenverstand siegen. wodurch ein überaus negatives und unmoralisches Bild der Menschen dieser Zeit entsteht. Es gibt in dem umfänglichen Personal dieses Romans nur wenige Mitspielerinnen und Mitspieler, die man als gute Menschen bezeichnen könnte, und diese haben es im Kreis der Anderen nicht wirklich leicht. Trotzdem ist "Kin Ping Meh" ein recht moralisierender Roman, denn gerade am Ende sieht man, wer welchen Lohn für sein Leben bekommt.

Sprachlich ist dieser Roman überaus farbenfroh, was ihn - zusammen mit der komplex gewobenen und wendungsreichen Sprache - zu einem wirklichen Lesevergnügen macht. Die vorliegende Übertragung wurde den westlichen Lesegewohnheiten von Dr. Franz Kuhn ein wenig angepasst, indem zum Beispiel häufige inhaltliche Wiederholungen reduziert wurden, was sicherlich für ein kurzweiligeres Lektüreerlebnis sorgt. Im Vergleich mit den anderen drei "großen merkwürdigen" Romanen ist "Kin Ping Meh" etwa so humorig wie "Die Reise nach Westen" und dabei durch die Konzentration auf "wirkliche" Menschen auch etwas leichter anzunehmen, als Geschichten voller Götter und Dämonen oder großer Krieger und Könige ("Die drei Königreiche"). Wie in "Die Räuber vom Liang Schan Moor" bewegt sich das Ganze größtenteils in den mittleren und unteren Schichten der damaligen chinesischen Gesellschaft. Was wohl auch den großen Erfolg unter den Zeitgenossen des Autors und den Lesern der folgenden Jahrhunderte erklärt. Und auch, warum es auch im 21. Jahrhundert noch mit Genuss gelesen werden kann.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 12/2017)


Wang Schi Tschong: "Kin Ping Meh"
Aus dem Chinesischen von Franz Kuhn.
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