Sabrina Janesch: "Die goldene Stadt"


Der unbekannte Deutsche vom Machu Picchu

Der Abenteuerroman, frei nach Melville, Conrad und Co., ist in den letzten Jahrzehnten so etwas wie ein Stiefkind in der deutschsprachigen Literatur geworden. Außer Thomas von Steinaecker ("Schutzgebiet"), Steffen Kopetzky ("Risiko") und Christian Kracht ("Imperium") haben sich nicht viele erfolgreich dieser Gattung zugewandt. Nun erscheint "Die goldene Stadt" der 1985 in Gifhorn geborenen Sabrina Janesch, die bereits mit "Katzenberge" und "Ambra" eindrucksvoll auf ihre literarische Begabung hingewiesen hat.

Rudolph August Berns, geboren in Uerdingen als Sohn eines Weinhändlers, der in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Peru zu Augusto Rudolfo Berns wird, ist der Hauptprotagonist dieses spannenden Romans. Ein Protagonist, den es wirklich gab und der, wie erst vor wenigen Jahren bekannt wurde, die verlorene Inkastadt am Machu Picchu 1867 entdeckt hat, vierundvierzig Jahre vor Hiram Bingham, der bisher als Entdecker des Machu Picchu galt. Dass auch andere Abenteurer und Goldsucher zur sagenumwobenen Inkastadt vorgedrungen sind, ist nicht auszuschließen. Anzunehmen ist weiters, dass die indigenen Völker Perus von dieser geheimnisvollen Stadt wussten. Die Goldschätze, die Berns vermutlich dort gefunden hat, sind bis heute verschwunden. Es wird vermutet, dass Berns die Stadt geplündert und die Schätze lukrativ in alle Welt verkauft hat. Beweise dafür gibt es allerdings offenbar keine.

Nach einem Prolog, der die Spannung gekonnt steigert, setzt Sabrina Janesch in der Kindheit und bei einem Nahtoderlebnis des jungen Berns ein. Sie zeichnet ein hinreißendes Bild der Umstände, die Rudolph letztendlich zum Ausbruch aus der kleinen, verkappten Welt, in die er sich hineingeboren fühlt, verleiten. Außerordentlich begabt, überspringt er bereits ein Schuljahr und interessiert sich für die Sagen und die Geschichte der Inkas, über die er unzählige Bücher in der väterlichen Bibliothek findet. Seine rege Fantasie treibt seine Umgebung immer wieder in den Wahnsinn. Nicht einmal der Umzug in die Metropole Berlin, der für den Vater die Chance ist, sich etwas zu beweisen, ist für den jungen Rudolph genug. Sein Traum ist es, El Dorado zu finden und den größten Schatz zu heben, den die Inkas der Nachwelt hinterlassen haben. Er will ein großer Entdecker werden. Allerdings glaubt niemand daran, dass es dieses El Dorado wirklich gibt, nicht einmal Alexander von Humboldt, den der junge Rudolph auf abenteuerlichem Weg aufsucht.

Als die Mutter nach dem plötzlichen Tod des Vaters erneut heiratet, geht es wieder in die Provinz. Der Stiefvater zwingt die beiden Söhne Max und Rudolph zu einer Lehre, zum Militär und quartiert sie sogar in ein Nebenhaus aus. Als sein Onkel ihm vorschlägt, sein Fachkönnen bei einem Verwandten in Michigan anzuwenden und so einerseits in die weite Welt hinaus und gleichzeitig vom Stiefvater wegzukommen, geht er darauf ein. Allerdings entscheidet er sich in letzter Minute dafür, die angenehme Reise zweiter Klasse nach Amerika sausen zu lassen und verdingt sich als Aushilfe auf einem Schiff Richtung Südamerika.
"Die Scham darüber, die Familie belogen zu haben, hatte sich mit den Monaten in ein dumpfes Schuldgefühl verwandelt, das Berns ständig mit sich herumtrug. Es hatte sich tief in seinem Innersten festgesetzt und wäre, so dachte er, nur dann zu tilgen, wenn er einst erreichen würde, was er sich vorgenommen hatte: Er musste Entdecker werden und die verlorene Stadt der Inka finden."

In Peru angekommen, beginnt sein Leben neu. Er nennt sich Augusto Rodolfo Berns und geht auf Umwegen zum Militär, wo er in der Schlacht von Callao zum Helden wird. Er rettet Colonel Andrés Avelino Cáceres, der viele Jahre später Präsident Perus wird, das Leben und geht als Held in die Annalen ein. Cáceres, der immer mehr zu seinem Freund wird, versteht, dass Berns nicht für das Militär geschaffen ist, und verhilft ihm zu einer Stellung als Ingenieur bei der peruanischen Eisenbahn. Er wird Teil der Vermessungsgruppe um Dr. Tamayo, welche die Aufgabe hat, die Bahnverbindung in die in den Anden gelegene Stadt Cusco zu planen. In Cusco angekommen, bestärkt durch eine Liebschaft, sieht er den Moment, sich von einer Anstellung zu lösen und die Entdeckung El Dorados anzugehen.

So überschlagen sich die Ereignisse, Türen werden geöffnet, Bekanntschaften gemacht. Er lernt den Amerikaner Harry Singer kennen, mit dem er das Projekt in Angriff nimmt, das den beiden Männern und dem Hund Asistente alles abfordern wird.
Danach folgt noch viel, von einer Sägemühle, finanziellen Verlusten, einer Zeit in Amerika, von der Beteiligung am Bau des Panamakanals bis zur Rückkehr und einem eher unrühmlichen Beinhaeende. Mehr will der Rezensent an dieser Stelle bewusst nicht verraten.
"Für einen Moment schloss Berns die Augen, sah den Urubamba vor sich, die Berge und schließlich die Wipfel der Bambushaine hoch oben auf dem Grat. Weißer Granit schimmerte zwischen den Bambusrohren hindurch. Berns öffnete die Augen und blickte in zehn erwartungsvolle Gesichter."

Sabrina Janesch schreibt spannend, zeichnet wunderbare Szenen, lässt die Landschaft der Anden aufleben und gibt dem Leser keine Möglichkeiten, sich auch nur kurz von dieser Geschichte zu lösen. Nicht nur, dass man immer wissen will, wie es weitergeht; es ist vor allem ihre Prosa, die fesselt. Janesch schreibt unprätentiös, präzise und abwechslungsreich, zieht die Zügel da an, wo notwendig und lässt funkelnden Humor durchscheinen, wo angemessen. Ihre Dialoge sind geistreich und nie flapsig. Ihre Figuren sind so lebendig, dass man nie das Gefühl hat, einen historischen Roman zu lesen. So atmet dieser Roman zeitlose Höhenluft. Einfach herausragend.

Fazit: Dieser literarische Abenteuerroman ist ein Fest der perfekten Balance zwischen Spannung, Fantasie und literarischem Genuss.

(Roland Freisitzer; 08/2017)


Sabrina Janesch: "Die goldene Stadt"
Rowohlt Berlin, 2017. 528 Seiten.
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