Henry James: "Die Kostbarkeiten von Poynton"
Wer
zu lange wartet, verpasst sein Ziel ...
Immer wieder erscheinen im Programm des "Manesse Verlag
Zürich" erlesene Kostbarkeiten. Entweder eine
Erstübersetzung eines zu Unrecht übersehenen
Klassikers, oder eine Neuübersetzung eines unbekannten Romans
aus der Feder eines großen Autors. Wie Henry James, der ja
bekanntlich einer der absoluten Lieblingsautoren Thomas
Bernhards war.
Dass die in den 1990er-Jahren verfügbare Übersetzung
von Werner Peterich (als "Die Schätze von Poynton") kein
Verkaufsschlager wurde, liegt nicht nur an der sperrigen, langatmigen
und verstaubten Übersetzung, sondern natürlich auch
an der Prosa von Henry James. Wer zumindest ein gemächliches
Erzähltempo braucht, der wird mit diesem Autor wahrscheinlich
nie besonders warm werden.
Nun hat sich erfreulicherweise Nikolaus Stingl, die "deutsche Stimme"
von Paul
Auster, Cormac
McCarthy, Thomas Pynchon, John
Irving und anderen Autoren,
der Neuübersetzung von "Die Kostbarkeiten von Poynton"
angenommen. Die hohen Erwartungen, die man da hat, werden nicht
enttäuscht. Nikolaus Stingl findet die perfekte Mischung, den
perfekten Klang für diese Prosa, die einerseits sehr ihrer
Zeit verbunden ist, andererseits aber auch der erste große
Schritt in Richtung literarischer Moderne war. Henry James bevorzugt
lange, teilweise sogar sehr lange Sätze und taucht immer
wieder geradezu manisch in genauen Beobachtungen ab. Beobachtungen, die
allerdings wesentlich dazu beitragen, das zu transportieren, was dem
Autor wichtig ist. "Die Kostbarkeiten von Poynton" entstand nach einer
Lebensphase, die von Misserfolgen geprägt war.
Interessant ist, dass dieser Roman gewisse Parallelen zu Janes Austens
Roman "Mansfield Park" aufweist, der allerdings achtzig Jahre vorher
geschrieben wurde. Hier wie da stehen alte Damen im Mittelpunkt, die
keine Mittel scheuen, um den Besitz eines Landhauses zu beanspruchen.
Beide Romane stellen den alten, reichen Damen unvermögende
junge Damen an die Seite, die in den Mittelpunkt von Intrigen gezogen
werden. Henry James ist allerdings viel dunkler, rigoroser und
sarkastischer als Jane Austen. Und viel schwieriger zu lesen.
Mrs. Gereth lebt in ihrem Landhaus Poynton, das sie von ihrem
verstorbenen Gatten geerbt hat. Dieses Haus soll ihr Sohn erben, wenn
er heiratet. Mit ihr im Haus lebt die junge Fleda Vetch, ihr etwas
absurder Name eine typische James'sche Erfindung. Fleda Vetch, welche
die Schätze Poyntons zu schätzen und
würdigen weiß, ist, natürlich nur im
Geheimen, in Mrs. Gereths Sohn Owen verliebt. So geheim, dass sie es
eigentlich auch nicht wahrhaben will. Owen Gereth hat allerdings eine
Verlobte, Mona Brigstock, die aus einer niedrigeren gesellschaftlichen
Schicht kommt und eine kulturelle Banausin ist. Zumindest für
Mrs. Gereth, deren Meinung schon vor dem ersten Treffen mit der jungen
Dame gefestigt ist. Der Leser merkt bald, dass es Mrs. Gereth
eigentlich gar nicht einmal um das Haus per se geht, sondern in erster
Linie um die unzähligen Kostbarkeiten, die ihr Mann und sie in
all den Jahren gesammelt haben. Kostbarkeiten, die Poynton zu einer Art
Museum von Figuren, Vasen, Schmuckstücken,
Kitschgegenständen und unzähligen Nippes machen.
Dinge, ohne die Mrs. Gereth nicht leben kann. Zumindest so lange, bis
sie nicht davon überzeugt ist, dass das alles in gute,
wertschätzende Hände gelangt ist.
Owen liebt Mona, scheint sich aber zu Fleda, die im Vergleich zur
schönen, rassigen Mona ein unscheinbares junges
Mädchen ist, hingezogen zu fühlen. Was so weit geht,
dass er den Kontakt zu ihr sucht. Mrs. Gereth bemüht sich,
Fleda davon zu überzeugen, dass sie die perfekte Frau
für ihren Sohn wäre. So führt eines zum
anderen. Die beiden Frauen spinnen einen Plan, der zu einem
für alle Seiten angenehmen Ende führen soll. Als Mona
plötzlich darauf pocht, Owen nur dann zu heiraten, wenn er
seine Mutter ohne Habseligkeiten aus Poynton abspeist, ihr steht ein
ebenso hübsches Haus einer Tante in Ricks zur
Verfügung, scheint sich das Blatt zum Guten zu wenden.
Was wie eine simple viktorianische Liebes- und
Gesellschaftskomödie anmutet, ist letztendlich ein
bitterböses, sarkastisches Porträt einiger Personen,
die Habseligkeiten über alles stellen und deshalb bereit sind,
bis zur Unterdrückung des eigenen Willens zu gehen. Henry
James kostet dieses Szenario voll aus und spielt das Intrigenspiel
seiner Protagonistinnen und Protagonisten wie ein literarisches
Schachspiel bis zum Ende. Dass er dem Roman, im Gegensatz zu Jane
Austen, ein glückliches Ende verwehrt und alles in einem
Haufen Asche enden lässt, weil Fleda dann doch zu lange
wartet, macht diesen Roman zu einem wirklich großartigen
Leseerlebnis, das in deutscher Sprache insbesondere aufgrund der
kongenialen Übersetzung von Nikolaus Stingl zum Leben erwacht.
(Roland Freisitzer; 06/2017)
Henry
James: "Die Kostbarkeiten von Poynton"
(Originaltitel "The Spoils of Poynton 1896/1908")
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Nachwort von Alexander Cammann.
Manesse, 2017. 285 Seiten.
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Henry James (1843-1916) wurde in New York geboren, verbrachte jedoch die meiste Zeit seines Lebens auf Reisen und in Europa. Dessen klassischer Literatur, insbesondere aus Russland und Frankreich, galt seine höchste Wertschätzung.