Mona Jaeger: "Der Lauf des Lebens"

Geschichten vom Menschsein


Ein Buch von vielen ersten Malen, in denen man sich selbst wiederfindet

Gewisse Tage in Pauls und Annas Leben bleiben den beiden besser in Erinnerung als andere. An manchen scheint die Zeit zu rasen, und sie wünschen sich, eine Pause einlegen zu können. Manche sind gespickt mit positiven Überraschungen, andere Tage können nicht vergessen werden, weil sie zu den schwierigsten aber auch wichtigsten Momenten ihres Lebens gehören.

Paul und Anna sind keine großen Protagonisten, die in die Literaturgeschichte eingehen. Es sind keine philosophischen Erkenntnisse, die Anna und Paul auszeichnen. Auch spinnen sie keine Intrigen, sind weder Opfer von Korruption noch essenzielle historische Figuren, gefangen in ihrer Zeit. Sie sind keine tragischen Helden in einer italienischen Liebesgeschichte. Sie sind Menschen aus dem echten Leben. Für sie zählen der erste Schultag, der erste Kuss, die erste große Liebe, die erste eigene Wohnung, die erste Arbeit, die erste Ehe. Anna und Paul erleben im Lauf der Zeit viele erste Male. Diese ersten Male sind manchmal schön, dann wieder anstrengend, manchmal befreiend und manchmal schmerzhaft, aber sie sind vor allem eines: real.

In Mona Jaegers Roman begegnen dem Leser viele Aspekte des Lebens, die einem mehr als nur bekannt vorkommen. Auf den vielen Seiten des Buchs erkennt man sich selbst, begleitet die Protagonisten und sinniert über eigene erste Schritte. Man lässt den eigenen ersten Schultag Revue passieren und erinnert sich an die ambivalenten Gefühle der Vorfreude, Anspannung, Angst und Aufregung. Vielleicht erkennen die Leser sogar ihre eigenen Kinder wieder, die sie bei ihrer Einschulung begleiten, die sie fassungslos beobachten, wie sie Freunde finden und plötzlich immer schneller erwachsen werden. Sie erinnern sich an die Aufregung des ersten Kusses, die Lippen des Schwarms auf den eigenen zu spüren. Die Erinnerung an die erste eigene Wohnung scheint so greifbar nahe, als wäre es erst gestern gewesen. Man schwelgt in den schönen, angenehmen Erinnerungen, aber man wird auch mit tragischen Momenten konfrontiert.
Manche Leser werden sich an ihre eigenen Zweifel erinnern, die Hoffnungslosigkeit einer unglücklichen Ehe nachvollziehen können. Sie werden die Schwierigkeiten des Elternseins vielleicht selbst gerade am eigenen Leib erfahren. Viele werden die dunklen Zeiten verstehen, in denen es unmöglich ist, die Sonne zu sehen oder das Licht zu ertragen. Auch nur der Gedanke an schöne Tage scheint auf manchen Seiten des Buchs unmöglich.

In diesem Roman erkennen wir uns selbst wieder. Wir erleben dieselben Dinge wie die Protagonisten, und die gefühlsreiche Achterbahn, die sie erfahren, fühlt sich an wie unsere eigene oder die unserer Liebsten. "Der Lauf des Lebens" ist kein Roman voller Spannung oder großer Worte. Er ist so wie unser eigenes Leben: manchmal aufregend, manchmal mühsam, einmal traurig, dann wieder bringt er einen zum Lächeln. Das Buch liest sich im übertragenen Sinn wie guter Wein. Man nippt, stellt das Glas weg, schmeckt den vollen Geschmack auf der Zunge, genießt den nächsten Schluck. Die Geschichten, die Mona Jaeger erzählt, sind wie ein gutes Glas Wein. Sie sollten genossen werden und nicht hastig verschlungen.

Egal, wie oft man Mona Jaegers Buch beiseite legt, oder wie wenig Zeit einem zum Lesen bleibt, man verliert nie den Faden. Denn die Geschichten scheinen aus dem eigenen Leben zu stammen.

(Sabrina Brugner; 01/2017)


Mona Jaeger: "Der Lauf des Lebens. Geschichten vom Menschsein"
Luchterhand Literaturverlag, 2016. 192 Seiten.
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Mona Jaeger wurde 1987 in Offenbach geboren und arbeitete bereits während ihres Studiums der Politikwissenschaft und Germanistik bei der "Frankfurter Rundschau", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Inzwischen ist sie Redakteurin der "F.A.Z.". Ihre Arbeit wurde mit dem "Hessischen Journalistenpreis" und dem "Journalistenpreis des Presseclubs Darmstadt" ausgezeichnet.