Ida Hegazi Høyer: "Das schwarze Paradies"
Verschwinden
auf Floreana
1929 ließ sich der deutsche Arzt Friedrich Adolf Ritter mit
seiner Lebensgefährtin, deretwegen er sich soeben von seiner
Frau getrennt hatte, auf Floreana nieder. Angeregt durch die Berichte,
die Ritter auf der Insel schrieb und die auf Umwegen an die
europäische Presse gerieten, in denen er sich zu einem neuen
Robinson Crusoe gekürt hatte, folgten daraufhin weitere
Aussteiger, die unterschiedlich lange durchhielten. 1932 zum Beispiel
das Ehepaar Wittmer, das mit dem zwölfjährigen Sohn
ankam, und ein wenig später die dubiose Baronin Eloise Wagner
de Bousquet, eine frivole Hochstaplerin, die mit einigen Liebhabern und
Dienern das Ziel verfolgt hat, ein Hotel auf der Insel zu errichten.
Das bis dato ungeklärte Verschwinden der Baronin und eines
ihrer Geliebten dient seither, ebenso wie der vermutlich durch
Lebensmittelvergiftung erfolgte Tod Ritters 1934, der Legendenbildung,
die zahlreiche literarische und filmische Werke hervorgebracht hat.
Inspiriert durch eine Galapagos-Reise, hat die auf den norwegischen
Lofoten geborene dänisch-ägyptische Schriftstellerin
Ida Hegazi Hoyer, die in Oslo lebt, einen spannenden, literarisch
zutiefst beeindruckenden Roman geschrieben, der sich lose an den
bekannten Fakten orientiert. Sie nimmt sich die Freiheit, Ritter einen
anderen Vornamen zu verpassen und schickt ihn alleine auf die Insel.
Frau Wittmer ist bei der Ankunft auf Floreana schwanger, aber ohne
zwölfjährigen Sohn im Schlepptau.
"Er hatte das Großstadtleben satt, die Enge und den
Lärm, all die zu nichts führenden Projekte, die die
Menschen in Angriff nahmen. Er hatte Menschenansammlungen satt, er
hatte es satt, jeden Sonntag Portwein
im Café zu trinken,
über Politik zu diskutieren, eine Meinung zu kulturellen
Ereignissen haben zu müssen, er hatte das
Straßennetz satt, die Einstellungen der Allgemeinheit, er
hatte Europa satt, kurz gesagt: Er hatte das meiste satt, was an
moderne gesellschaftliche Entwicklungen, an diesen ewigen Fortschritt.
Außerdem hatte er seine Frau satt. Seine Arbeit."
Er, der Zahnarzt, zieht sich die Zähne, davon ausgehend, dass
er nie mehr Fleisch essen wird und möglichen Zahnproblemen
vorbeugend, verkauft seine Praxis, regelt alle rechtlichen Dinge und
lässt sich von seiner Frau scheiden. Er packt die wichtigsten
Dinge, Bücher, Gemüsesamen, Textilien und Hausrat,
Tabak und Zucker, Mehl und Reis, Wein und Schnaps, eine Machete und
einen großen Tank mit Frischwasser. So reist er ab nach
Floreana, wo er der Welt entschwinden will.
"Aber eine Sache hatte er nicht mitgenommen. Eine Sache
wollte er sich wirklich sparen. Und das war Kleidung."
Aufgrund einer sehr distanziert wirkenden Erzählweise, die
teilweise aus einer auktorialen Perspektive kommt, schafft Hoyer eine
bedrückende Stimmung, die in einigen Aspekten an Joseph
Conrads "Herz
der
Finsternis" erinnert und trotzdem höchst
originell ist. Kurze bis längere Absätze unterteilen
die Kapitel. Von Zeit zu Zeit meldet sich die Insel selbst zu Wort, die
überrascht vom Durchhaltevermögen Ritters ist.
Ritters Ankunft und seine Erkundung der Insel nehmen den
Großteil des ersten Teils in Anspruch. Zutiefst
beeindruckend, wie Hoyer den noch nie auf den Galapagos-Inseln
gewesenen Leser auf die Reise mitnimmt, man spürt die
Luftfeuchtigkeit, riecht das Salz, kämpft sich mit Ritter
durch die Vegetation, leidet mit und empfindet Abscheu vor einigen
Lösungen, die sich Ritter zum Überleben einfallen
lässt. Das ist durchgehend starker und mitunter auch harter
Tobak, der allerdings nie des Effekts wegen angeraucht wird.
Nach einem ersten, eher untätigen Jahr auf der Insel, als sein
Kampfgeist fast gebrochen ist, macht sich Ritter dann doch auf die
Suche nach dem Binnensee, den er auch findet. Er rodet ein
Waldstück in der Nähe, baut sich eine Hütte
und pflanzt Tomaten an. In Ermangelung eines Menschen an seiner Seite
findet er Nähe bei einer Riesenechse.
Als die Wittermanns mit ihren Hunden auf der Insel auftauchen und
Ritter aufspüren, beginnt eine mühsame
Annäherung zwischen ihnen und Ritter, der keine Lust auf
Gesellschaft hat. Auch hier überzeugend, wie Hoyer
schonungslos ihre Figuren aufeinanderprallen lässt. Jene
Anziehung, die zwischen Frau Wittermann und dem Rüpel Ritter,
anders kann man ihn fast nicht nennen, lodert, ist nur einer von vielen
Momenten, die diesem Roman seine dunkle Sogwirkung geben.
Ins Trudeln kommt dann alles so richtig, nachdem sich die Baronin mit
ihrer Liebesgefolgschaft breit macht und den Strand, auf dem
beispielsweise das Postfass steht (das sich in der Bucht befindet, die
heute "Post Office Bay" heißt), für sich
beansprucht. So führt Eines zum Anderen, und Hoyer spinnt eine
eigene Geschichte einer Galapagos-Affäre, die so zwar nicht
stattgefunden hat, aber stattfinden hätte können.
"Nach einem halben Tagesmarsch stand er wieder ganz oben auf
den schwarzen Klippen. Wie eine Offenbarung war das. Er konnte nicht
begreifen, dass er nie zuvor gesehen hatte, wie schön es war,
das ewige Meer dort draußen, gegen den Tag. Und er sah noch
etwas mehr, etwas Neues und ziemlich Dramatisches. Er glaubte,
undeutlich die Konturen einer Insel zu erblicken. Dunkle, spitze
Zeichnungen gegen den beinah weißen Horizont. Höchst
merkwürdig war, dass er es nie zuvor gesehen hatte, aber
trotzdem, es war keine Sinnestäuschung - er sah jetzt Berge
dort draußen."
Am Ende dieses großartig übersetzten Romans freut
man sich, die Insel und ihre Bewohner verlassen zu haben, auch wenn das
Gelesene noch lange nachhallt. Hoyers Text ist nämlich noch
viel mehr als eine spannende Abenteuergeschichte, es handelt sich auch
um eine beunruhigende, verstörende und doch faszinierende
Meditation über Einsamkeit, über den Kampf Mensch
gegen Natur,
die Erkundung neuer Erdteile und um eine wunderbare
Liebeserklärung an diese raue Inselgruppe, die sich eintausend
Kilometer von der ecuadorianischen Küste am Äquator
im Pazifischen Ozean befindet.
(Roland Freisitzer; 09/2017)
Ida
Hegazi Høyer: "Das schwarze Paradies"
(Originaltitel "Fortellingen om øde")
Aus dem Norwegischen übersetzt von Alexander Sitzmann.
Residenz, 2017. 224 Seiten.
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Ida Hegazi Høyer, geboren 1981 auf den Lofoten im nördlichen Norwegen, stammt aus einer dänisch-ägyptischen Familie und lebt in Oslo. Ihr Debütroman "Under verden" erschien 2012, seitdem hat sie vier weitere Romane veröffentlicht. Für ihren dritten Roman "Unnskyld" (2014) erhielt sie den "Literaturpreis der Europäischen Union 2015", im selben Jahr zählte sie das "Morgenbladet" zu den zehn besten norwegischen Autoren unter 35. "Das schwarze Paradies" erschien 2015 und stand wochenlang auf allen nationalen Bestenlisten.