Jostein Gaarder: "Ein treuer Freund"
Geschichten,
die wie eine russische Puppe aufgefächert sind,
können Faszination ausüben. Wer schreibt die
Geschichte? Sind die Figuren selbstständig, oder ist ein
Marionettenspieler am Werk? Gibt es unter doppelten Böden
Geheimfächer? Jostein Gaarder hat mit "Sophies Welt" und "Das
Kartengeheimnis" zahlreiche Leser begeistert, mitgenommen auf
eine Reise, deren Ziel unbestimmt war und auch geblieben ist.
Nunmehr ist es eine Handpuppe, an der sich die Geister scheiden. Der
eigentliche Hauptprotagonist bleibt ein Schatten seiner selbst,
lügt, dass sich die Balken biegen, nimmt an
Begräbnissen teil, zu denen er keinen Bezug hat. Jakop, so
sein Name, ist Lehrer und interessiert sich für die Herkunft
von
Sprachen. Er erzählt im Rahmen von
Leichenfeiern, wie Wörter entstanden sind und in verschiedenen
Sprachfamilien Einzug fanden. Das tut er aus einem Bedürfnis
heraus. Er hat seine eigenen Theorien entwickelt, nimmt jede sich
bietende Möglichkeit wahr, um diese weiterzugeben.
Pelle lautet der Name der Handpuppe. Jakop besitzt sie seit
Jahrzehnten. Schon als Kind hat er sie als seinen besten Freund
angesehen. Pelle ist so etwas wie das bessere Ich Jakops. Er ist
vorlaut, bestimmend, ehrlich. Jakops Ehe ist daran gescheitert, dass
seine Ex-Frau auf Pelle eifersüchtig war. Jakop hat Pelle
gerne in die Schule mitgenommen und ist mit ihr in einen Dialog
getreten. Nicht nur als Schüler, sondern auch als Lehrer.
Durch Pelle hat Jakop es geschafft, Pädagoge zu werden. Was
wäre er schon ohne Pelle?
Der Leser ist bei diesem Buch gefordert. Die Schilderungen von
Begräbnissen, die Auseinandersetzungen mit den Trauernden,
endloses Dozieren über sprachliche Feinheiten. Das kann auch
ermüdend sein. Doch es ist Jakop geschuldet, dessen Leben nach
und nach feinere Nuancen offenbart. Er liest sich in Lebensgeschichten
von Menschen ein, die gestorben sind. Menschen rücken in den
Mittelpunkt, und es sind zwei, deren Tod besonders betroffen macht.
Einsamkeit und gebrochene Lebensentwürfe erweisen sich als
Konstanten, die in den Bann ziehen. Pelle ist der Beobachter, er
weiß von den Schwächen seines Spielmeisters.
Jostein Gaarder hat eine Geschichte aufgeschrieben, die den
Außenseitern dieser Welt gewidmet scheint. Menschen, denen es
nicht gelingt, einen Bezug zur Welt aufzubauen. Sie tauchen als schwarz
gekleidete Gestalten auf, bewegen sich stets auf fest abgesteckten
Pfaden abseits üblicher Lebensstraßen. Die
Normalität wird verhandelt. Eine Puppe
führt ein beschwingtes Leben, während sich der
Puppenspieler durch das Leben quält. Wer ist der Adressat der
Geschichte? Freilich mag dies mit der Anrede klar sein, was aber
verbirgt sich dahinter? Sind wir nicht alle mitgemeint, die wir dieses
Buch lesen? Und ist das nicht die Fährte, die Jostein Gaarder
in seinen besten Werken so glänzend gelegt hat? So einfach ist
es nicht. Pelle ist der tragikomische Held, und es ist leicht, ihn ins
Herz zu schließen. Die damit einhergehenden philosophischen
und psychologischen Aspekte bringen Gedankenprozesse in Gang, durch die
das Buch in Erinnerung bleibt.
Jostein Gaarder vermag zu überraschen, so auch diesmal. Wer
sich gerne überraschen lässt, wird großes
Vergnügen an diesem Roman haben.
(Jürgen Heimlich; 03/2017)
Jostein
Gaarder: "Ein treuer Freund"
(Originaltitel "Dukkeføreren")
Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs.
Hanser, 2017. 272 Seiten.
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