Jens Eisel: "Bevor es hell wird"


Vor zweieinhalb Jahren erschien bei Piper der Erzählungsband "Hafenlichter" des 1980 in Neunkirchen/Saar geboren Jens Eisel. Dieser Erzählungsband ließ, auch wenn einige Erzählungen unausgereift wirkten, zu wenig dicht in ihrer Knappheit, darauf hoffen, dass Jens Eisel bald einen Roman folgen lassen würde.
Gehofft, geschehen, "Bevor es hell wird" ist nun ebenfalls bei Piper erschienen.


Alex wird aus dem Gefängnis entlassen. Warum er eingesperrt war, wird dem Leser lange Zeit vorenthalten, was natürlich ein kluger Kunstgriff ist, weil man so naturgemäß Vermutungen anstellt, die ein dunkles Geheimnis vermuten lassen. Man erfährt auch zwischen den Zeilen, dass Dennis, der Bruder von Alex, tot ist. Warum, wieso, wie und in welchem Zusammenhang das mit der Inhaftierung des Protagonisten steht, wird auch im Dunklen gelassen.

Alex kommt nach seiner Entlassung zu Norman, einem alten Freund, der ihn bei sich in seiner nicht seetüchtigen Jacht, na ja, einem Boot mit Kabine wahrscheinlich, nicht mehr als das, unterbringt. Alex geht das Leben nach der Haft ruhig an, während der Leser mit Rückblenden konfrontiert wird, welche die Kindheit und Jugend von Alex beleuchten.

Eisel erzählt in diesen Rückblenden von Alexanders Mutter, die als Alleinerzieherin von zwei Söhnen in Hamburg in einem Baumarkt eine Stelle findet. Dennis macht in einem Lokal die Kochlehre. Gleich im ersten Sommer, während die Mutter arbeitet und der Bruder in die Lehre geht, lernt Alex die Programmkinobesitzerin Carmen kennen, die ihm bald ermöglicht, gegen Hilfsdienstleistungen gratis Filme zu sehen. Alex lernt Norman kennen, die beiden werden Freunde.

In der Jetztzeit, also bereits nach der Haftentlassung, lernt Alex die Kellnerin Linda kennen, die eines Tages plötzlich mit ihrem Auto in Normans Werkstatt steht. Natürlich als Norman nicht da ist. Zwischen Linda und Alex bahnt sich etwas an, wie man rasch erfährt. Alex kümmert sich um Normans Hund Flint, den Norman von einem alten Bekannten nach dessen Tod übernommen hat. Auch dieser Bekannte spielt in den Rückblenden eine nicht unwichtige Rolle. Linda, ebenfalls, wie sich bald herausstellt, Alleinerzieherin, hat eine Tochter, die viel Zutrauen zu Alex findet. Und natürlich zu Flint. Als es zwischen Alex und Linda zu Zärtlichkeiten kommt, zieht sich Alex in sein Schneckenhaus zurück und verschwindet von der Bildfläche. Linda hält das nicht lange durch und stellt den Drückeberger zur Rede. Der freut sich, dass Linda diesen Schritt gewagt hat und erzählt ihr auf ihr Drängen hin seine Geschichte.

Auch wenn die Geschichte nicht allzu spannend und überraschend abläuft, aus diversen Beispielen der Literatur weiß man ja, dass man auch einen genialischen Roman darüber lesen kann, wie jemand über zweihundert Seiten nackt in einer Hängematte sitzt und über die Welt und sein Objekt der Begierde sinniert, funktioniert Jens Eisels Reduktion der Mittel, falls seine sehr einfach gehaltene Prosa als bewusstes Stilmittel gedacht war, leider nicht. Es will einfach keine wirkliche Spannung, wobei hier keine kriminalistische oder handlungsbezogene Spannung gemeint ist, aufkommen. Das liegt hauptsächlich daran, dass Jens Eisels Figuren seltsam blass und eindimensional wirken.

Sie sagen, sie tun, sie denken, sie teilen sich mit. Dabei bleibt es. Der Leser findet nirgendwo Abgründe, die ihn in eine literarische Entdeckungsreise stoßen. Alles, was der Autor sagen will, steht da, schwarz auf weiß. Kein zwischen den Zeilen Lesen. Auch die Anbahnung der Beziehung zwischen Linda und Alex passiert halt so, ein Knistern, ein Reiben, ein Erreichen findet man nicht. Alles ist schön klinisch sauber gehalten. Sogar der Moment, als Linda Alex nach seinem Rückzug erwischt und zur Rede stellt, verpufft in Nichts.
"'Ich mag dich wirklich sehr', sagte ich. 'Aber ich hab manchmal Angst, dass allen Menschen, die mir was bedeuten, was passiert.' Ich machte eine Pause.
'Nein, sagte Lina. 'Tut es nicht.'
Wir saßen uns für einen kurzen Moment schweigend gegenüber, dann fasste ich all meinen Mut zusammen, stand auf und ging zu ihr hinüber. Ich nahm ihre Hände, zog sie zu mir heran, und dann küssten wir uns. Ihre Lippen fühlten sich weich an. Meine Hand lag auf ihrem Rücken, und ich konnte ihren Herzschlag hören. Es war eine Ewigkeit her, dass ich einem Menschen, den ich mochte, so nah gewesen war."


Alles, was in dieser Szene passiert, in der sich Alex wenig später dafür bedankt, dass Linda zu ihm gekommen ist, weiß der Leser bereits. Irgendwie hat man die Vermutung, dass Jens Eisel dem Leser nicht zutraut, diese Empfindungen und Konstellationen aus dem Text zu deuten.

Die dramatische Verkettung von schmerzvollen Erfahrungen, die dazu geführt hat, dass Dennis gestorben und Alex im Gefängnis gelandet ist, ist letztendlich zu schwach, um den Text, so wie er ist, zu tragen. Egal wie schlimm diese Erfahrungen auch sind oder waren, wie sehr sie geprägt haben, der Auslöser der zweijährigen Haftstrafe ist ein Lüfterl, nicht mehr, nicht weniger. Kein dunkles Geheimnis, keine Tragödie. Auch das, was man hoffnungsvoll am Anfang vermutet, nämlich, dass die Haft irgendwie mit dem Tod von Dennis zusammenhängt, der Roman also quasi der Frage von Schuld und Sühne nachgeht, ist nicht so. Der Rezensent unterlässt es hier bewusst, einige wichtige Fakten zu nennen, um nicht alles vorwegzunehmen.

Leider schafft es Jens Eisel nicht, seinen Figuren Leben einzuhauchen, damit jene Geschichte, die er erzählen will, wirklich überzeugend ist. Die Geschichte selbst könnte in Wahrheit gut funktionieren, wenn das Sprachliche, die Prosa, einfach stilvoller, komplexer, facettenreicher und vor allem kunstvoller wäre. Das wäre möglicherweise ein erfolgreicher Ansatz gewesen. Er müsste den Leser zwingen, zu suchen, zwischen den Zeilen zu lesen. Stattdessen ist alles auf: das war, ich fühlte, ich tat, sie tat, sie sagte, sie dachte, es war usw. reduziert. Gerade die sprachliche Reduktion ist ein stilistisches Mittel, das nur sehr wenige Autoren wirklich beherrscht haben. Vielleicht niemand so sehr wie Ernest Hemingway. Doch bei Hemingway, und das soll jetzt kein unfairer Vergleich zwischen Eisel und Hemingway sein, ist das Einfache immer trügerisch, weil Hemingway nur ganz selten genau das sagt, was er den Leser wissen lassen will. Er lässt es den Leser über Umwege, über Dialoge, durch gekonnte Manipulation, wissen. Deshalb sind Hemingways Dialoge auch so bestechend. Da reden zwei zum Beispiel übers Fischen und eigentlich doch über den Sinn des Lebens ...

Doch zurück zu "Bevor es hell wird": So, wie der Roman geschrieben ist, müsste schon die Handlung von starken Spannungsmomenten getragen werden, um die sprachliche Reduktion wettzumachen. Etwas, das bei vielen Krimis und Thrillern ja auch sehr gut funktioniert. Da Jens Eisel aber keinen Spannungsroman schreiben wollte, scheitert er letztendlich an der sprachlichen Umsetzung seiner Ideen.

(Roland Freisitzer; 04/2017)


Jens Eisel: "Bevor es hell wird"
Piper, 2017. 206 Seiten.
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