António Lobo Antunes: "Ich gehe wie ein Haus in Flammen"
Die
Geräusche
eines Lissaboner Hauses
Man stelle sich vor, die Fenster eines dreistöckigen
Mehrparteienhauses abseits des eleganten Zentrums von Lissabon stehen
weit offen. Gesprächsfetzen dringen hinaus. Die Dialoge und -
weit häufiger - Monologe der alternden Bewohner in acht
Wohnungen und ihrer Besucher spiegeln die vom gescheiterten
Kolonialismus und der mühsam überwundenen
Militärdiktatur gezeichnete Bevölkerung der
portugiesischen Hauptstadt wider. Wie in allen Büchern von
António Lobo Antunes, dem früheren Chefarzt und
Leiter einer psychiatrischen Klinik, werden die Schattierungen des 20.
Jahrhunderts zu den Schattenseiten und zur Hauptlast der kraftlos
lebenden, auf ein entrücktes Gestern zugewandten Menschen.
Im dritten Stock lebt ein früherer Offizier, der vor mehr als
vierzig Jahren gegen Ende der Kolonialzeit seine schwangere
afrikanische Geliebte in Angola zurückgelassen hat. Ohne
Hoffnung auf ein positives Ende der tragischen Liebesgeschichte
erliegt
er einer passiven Sehnsucht nach ihr. Die seinerzeitige Entscheidung
zwischen Rassismus und Liebe drängt sich immer wieder aufs
Neue in das sich verengende Bewusstsein. Die Zeit vergeht, nicht der
Schmerz über einen persönlichen Fehler.
Zwei Stockwerke unter ihm lebt die zweite im Buch stark erlebbare
Person, wenn auch nur als Abklatsch eines verpfuschten Lebens.
Lautstark schreit der dahinvegetierende Trinker nach Alexandra, seiner
zweiten Tochter. Das Grölen zieht sich durchs ganze Haus und
richtet sich doch an die falsche Person, denn seine erste Tochter
starb
schon vor Jahrzehnten, und seine Frau hat allen Grund, sein Rufen
nicht
hören zu wollen. Alexandra ist längst ausgezogen.
Im Erdgeschoß leben ein abgeklärter Kommunist, der
wie der Autor selbst von der Geheimpolizei gefoltert wurde, und ein
ukrainisches Paar. Nicht im Reden über sie, erst in ihren
rückwärtsgewandten raren Dialogen, wird deutlich,
dass es sich um Geschwister handelt, die einzigen Überlebenden
einer jüdischen Familie.
Eine mannstolle pensionierte Richterin, die entsetzt den Geruch ihres
alternden Körpers wahrnimmt, ein kürzlich verwitweter
Rechtsanwalt, der feststellt, dass er die Wohnung, in der er seit
seiner Kindheit lebt, hasst, und eine frühere Schauspielerin,
die das Haus nicht mehr ohne fremde Hilfe verlassen kann,
komplettieren
die morbide Bewohnerschaft des brüchigen Hauses.
Bei allen Zerrüttungen, die der
fünfundsiebzigjährige Seelendoktor und Autor in
seinem vorerst letzten Werk bündelt, fehlt es nicht an
Sarkasmus und Selbstironie. Auf einer herumliegenden Visitenkarte ist
zu lesen: "Antunes & Lobo. Alle Klempnerarbeiten.
Wir kommen ins Haus. Moderate Preise". Auf dem Dachboden
spukt ein ergrautes Gespenst, das als Schein einer sich verlierenden
Autorität möglicherweise ein verwahrloster Bettler,
vielleicht aber auch der unsterbliche Diktator und
Ökonomieprofessor António de Oliveira Salazar
(1889-1970) ist.
Die bizarre Melancholie, ein sich in Agonie verstärkendes
Lebens- und Liebesleid und schließlich die Einsamkeit der
Menschen sind Grundthemen aller seiner fünfundzwanzig Romane,
doch selten erschien das dumpfe und vergebliche Klagen einer
verlorenen
Generation in derart wortgewaltig zerreißender Sprache.
Wie in vielen anderen Büchern des prominentesten
portugiesischen Nicht-Nobelpreisträgers eröffnet
schon der Romantitel "Ich gehe wie ein Haus in Flammen" ("Caminho como
uma casa em chamas") das Rätseln um den verrinnenden und
verzweigenden, aber nie gänzlich verlorenen
Erzählstrang. Gebrochene Schicksale und ein Leben in endlos
sich verdichtenden Schleifen kennen keinen Anfang, keinen
erzählerischen Höhepunkt und schon gar kein Ende. Was
sich zu einem schwer lesbaren und dennoch wortgewandten und von der an
den Werken des Autors erfahrenen Maralde Meyer-Minnemann gekonnt
übertragenen Text verstrickt, ist ein faszinierendes Abbild
des heutigen Portugal
abseits der touristischen Glanzbilder.
(Wolfgang Moser; 08/2017)
António
Lobo
Antunes: "Ich gehe wie ein Haus in Flammen"
(Originaltitel "Caminho como uma casa em
chamas")
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann.
Luchterhand Literaturverlag, 2017. 448 Seiten.
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