Friedrich Ani: "Ermordung des Glücks"
Zerbrechen
am Verlust
Friedrich Anis Roman "Ermordung des Glücks", der zweite mit
dem pensionierten Kriminalkommissar Jakob Franck, ist ein gelungener
Zwitter. Einerseits gibt es den Kriminalfall, ein Verbrechen, das peu
à peu aufgeklärt wird. Andererseits verzichtet
Friedrich Ani zugunsten einer tiefenpsychologischen Zeichnung seiner
Figuren auf den vordergründigen Spannungsmoment, auf das
Blutrünstige, auf jene Elemente, die in den heute
erfolgreichen Kriminalromanen essenzieller Bestandteil sind. Nicht
umsonst ist "Ermordung des Glücks" auch nicht als
Kriminalroman sondern als Roman bezeichnet.
Jakob Franck, im Ruhestand nach langjähriger
Tätigkeit als Chef der Mordkommission München, kann
es nicht lassen. Obwohl er nicht mehr offiziell mitarbeiten darf, hat
er die Aufgabe übernommen, den Familien von Mordopfern die
traurige Nachricht zu überbringen, zum Beispiel der Familie
Grabbe, der er mitteilen muss, dass man die Leiche ihres mehr als einen
Monat vermissten elfjährigen Sohnes Lennard gefunden hat.
Diese Nachricht macht all ihre Hoffnungen, dass Lennard doch noch lebt,
zunichte. Und genau hier setzt der Autor an. Er zeigt, wie die Eltern
und der Onkel an der Tatsache, dass der Knabe ermordet worden ist,
zerbrechen.
Obschon Franck, der es einfach nicht lassen kann,
unterstützend ermittelt, was zwar im tatsächlichen
Polizeibetrieb wahrscheinlich nicht besonders logisch wäre,
hier aber irgendwie doch überzeugend ist, rückt die
Ermittlung eigentlich fast in den Hintergrund.
Vom Mörder fehlt jede Spur. Der kleine Lennie war an einem
regnerischen Abend auf dem Heimweg, als er verschwand. Franck geht alle
Protokolle durch und befragt die Zeugen, die sich ihm aus verschiedenen
Gründen anbieten, erneut. Dabei stößt er
auf Details, die zu Vernehmungen führen, aber nicht zur
Aufklärung des Falles beitragen. Beeindruckend ist, wie
Friedrich Ani es hier schafft Spannung aufzubauen, auch ohne
detailliert auf ermittlungstechnischen Schnickschnack
zurückzugreifen.
Er überlässt den Eltern des Buben viel Raum und
schildert, wie sich die Mutter immer tiefer in ihr Schneckenhaus
zurückzieht. Sie entzieht sich ihrem Mann und wandert fast in
das Zimmer ihres Sohnes aus. Sie erscheint nur nachts, wenn sie im
gemeinsamen Café putzt. Auch der Onkel des Buben, der eine
sehr enge Beziehung zu seiner Schwester, der Mutter des Jungen, hat.
Wie Jakob Franck bald vermutet, quält ihn ein lange
verborgenes Geheimnis, das er mit seiner Schwester Tanja Grabbe teilt.
Ein Geheimnis, von dem Stephan Grabbe allerdings nichts weiß.
Stephan wiederum versucht mit anderen Mitteln zu verstehen, mit dem Tod
des Sohnes umzugehen, und bemüht sich, die ihm entgleitende
Ehe zu retten. Eine Ehe, die, wie sich später zeigen wird,
längst im Abklingen war und wahrscheinlich nur durch den
gemeinsamen Sohn am Leben gehalten wurde. Sukzessive geht auch die
letzte verbliebene Verbindung der beiden in Trauer und Sprachlosigkeit
unter.
Hier gelingen Ani wirklich eindrückliche und bewegende
Schilderungen, die hartgesottene Krimileser möglicherweise als
überflüssig und die Spannung störend
empfinden könnten. Genau das hebt diesen Roman
natürlich aus der Schublade der Kriminalliteratur
Auch Jakob Franck leidet an Wunden, die sich in Fällen wie
diesen wieder entzünden. Seine Schwester ist als Jugendliche
ermordet worden; ein Verlust, der an ihm nagt. Seine Exfrau, mit der er
eine sehr ruhige und freundschaftliche Beziehung pflegt, spielt ebenso
eine wichtige Rolle.
Als durch eine zufällige Erkenntnis Bewegung in die
Aufklärung kommt, ist bereits eine tragische Nebenwirkung
eingetreten, die Jakob Franck nicht mehr aufhalten kann. Mehr
möchte der Rezensent nicht dazu sagen, weil der Leser sonst zu
früh zu viel wissen würde ...
Friedrich Anis Prosa ist klar und präzise,
schnörkellos und immer fein geschliffen. Der Autor scheut
angenehmerweise nicht davor zurück, dem Leser verschachtelte
Sätze zuzumuten oder ihn innerhalb von
Tatsachensätzen in die Traumwelt der Protagonisten zu
entführen. Auch jene Rückblenden, welche die
Geheimnisse der Vergangenheit offenbaren, sind nicht immer gleich
zuordenbar und fordern einen aufmerksamen Leser. Das ist im Bereich des
kriminalistischen Romans wirklich äußert erfreulich
und erinnert an besonders gelungene Symbiosen von Krimi und Literatur,
wie zum Beispiel Antonio
Muñoz
Molinas "Die Augen des Mörders"
oder auch die großartigen Romane von Georges
Simenon, mit denen dieser Roman vor allem die
düstere, verregnete Stimmung teilt.
"Ermordung des Glücks" ist ein wirklich beeindruckender und
nachhallender Roman, der hervorragend die Grenzen zwischen Belletristik
und Kriminalroman verwischt. Der Rezensent hatte zum Zeitpunkt der
Lektüre dieses Romans den ersten Band ("Der namenlose Tag")
aus der Serie um Jakob Franck noch nicht gelesen, was er allerdings
nicht als störend empfunden hat.
Empfehlenswert ist der Roman vor allem für Leser, die
hochwertiger Literatur mit kriminalistischem Einfluss nicht abgeneigt
sind, oder auch für Krimileser, die für den Genuss
eines Krimis nicht unbedingt literweise Blut
und grauenhafte
Verstümmelungen brauchen ...
(Roland Freisitzer; 09/2017)
Friedrich
Ani: "Ermordung des Glücks"
Suhrkamp, 2017. 317 Seiten.
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