"Frühling und Herbst des Lü Bu We"
Das Weisheitsbuch der alten Chinesen
Diese
Sammlung chinesischer Weisheiten stammt aus dem dritten Jahrhundert vor
Christus und ist aus unterschiedlichen Quellen zusammengesetzt. In mehr
als 26 kleineren Büchern, wohl entsprechend der damaligen
Veröffentlichungsform, versuchte man darin alle wichtigen
Aspekte des menschlichen Lebens im individuellen Bereich, in der
Familie und im Staatswesen zu berücksichtigen. Dazu ist das
Buch in drei Hauptkomplexe eingeteilt, nämlich "Die
zwölf Aufzeichnungen", "Die acht Betrachtungen" und "Die sechs
Abhandlungen", wobei zu vermuten ist, dass diese jeweils auf andere
Quellen zurückgehen.
Die zwölf Abhandlungen beziehen sich auf den Jahreskreis und
beschreiben zunächst einmal, welche Handlungen durch die
Priester, Adligen, den Kaiser und andere Personen in einem gegebenen
Monat jeweils zu erledigen sind - und auch, was man unbedingt
unterlassen sollte. Daneben wird zum Charakter des jeweiligen Monats
passend (Tierzuordnung, Elementzuordnung, Yin-Yang-Gewichtung etc.)
noch auf andere relevante und in diesem Monat sehr wichtige Dinge
eingegangen. So finden sich unter Anderem allerlei Tipps zu
Selbstkultivierung und zum Umgang mit seinen Mitmenschen.
Auf die letzteren Aspekte, auch in Bezug auf die Schaffung eines gut
funktionierenden Staatswesens, mit Bezug auf historische Vorbilder und
ihre Anwendbarkeit (oder auch Nichtanwendbarkeit) in der Gegenwart,
wird anschließend wesentlich detaillierter in den acht
Betrachtungen eingegangen, eine Zahl, die im Daoismus Vollkommenheit
darstellt und eben dem Bestreben nach einer Vervollkommnung der eigenen
Person und des Staatswesens dienen soll.
In den sechs Abhandlungen geht es vornehmlich um das Finden einer
Balance zwischen den verschiedenen Bereichen, Ämtern und
Personen eines Staatswesens und auch darum, wie sich Störungen
dieser Balance lang-, mittel- und kurzfristig auswirken
können. Auch hier spielt die Zahl 6 eine besondere Rolle,
steht sie im Daoismus doch für die sechs Harmonien, deren
Abstimmung für den Erhalt der Gesundheit und für ein
langes
Leben von großer Bedeutung ist. Auch für die
Ernährungsgrundlagen sind sie von größter
Bedeutung, daher beschäftigt sich das letzte Buch auch
ausgiebig mit der Landwirtschaft.
Die Daoisten
haben von Anfang an sehr genaue Beobachtungen ihrer Umwelt
vorgenommen, diese reflektiert und aufgezeichnet. Geradezu eine
Binsenweisheit: Da Menschen in früheren Zeiten nicht
dümmer gewesen sind als wir heute, wenn sie auch ihr Wissen
nicht unbedingt in uns vertrauten Kategorien wie Staatskunde,
Psychologie, Soziologie, Geschichtswissenschaften etc. abgelegt haben,
wurden doch vielfach die gleichen Beobachtungen gemacht, die wir
heutzutage anstellen, und daraus (sehr häufig richtige)
Schlüsse gezogen, weswegen man beim Lesen dieses Buchs bei
gleichzeitiger Betrachtung der aktuellen Nachrichten entweder laut
lachen kann oder sich angewidert schütteln muss. Nur allzu
oft kann man sehen, dass sich bei allem technischen Fortschritt in den
Menschen und ihren Staatswesen in den letzten mehr als 2000 Jahren nur
sehr wenig verändert zu haben scheint. Einzelne Kapitel
möchte man am liebsten kopieren und bestimmten
Entscheidungsträgern zusenden, in der Hoffnung, dass sie diese
lesen und verstehen.
Die mehr als 150 Kapitel dieser Sammlung sind in teils etwas
antiquiertem Sprachstil verfasst, und einige der historischen
chinesischen Konzepte und Anspielungen bedürfen der
Erläuterung, wozu zum Teil die mehr als 40 Seiten Anmerkungen
am Ende des Buchs beitragen können. Außerdem gibt es
noch Hinweise zur chinesischen Astrologie (von
Richard
Wilhelm oder seinem Lektor fälschlicherweise
als Astronomie bezeichnet, was nun nicht so ganz Dasselbe ist), ein
Register der Personen- und Ortsnamen, ein Register der chinesischen
musikalischen Ausdrücke und auch eine Auflistung der
chinesischen Sternbilder.
Es finden sich eigentlich keine neuen Erkenntnisse für einen
lebenserfahrenen, interessierten Menschen in diesem Buch, aber
jüngere Menschen könnten darin durchaus zeitlich und
kulturell angepasst Überraschendes und Erhellendes finden. Auf
jeden Fall kann das Buch allfällig vorhandenen
übertriebenen Stolz auf die Errungenschaften unserer Zeit ein
wenig eindämmen.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2017)
"Frühling
und Herbst des Lü Bu We. Das Weisheitsbuch der alten Chinesen"
Übersetzt und herausgegeben von Richard Wilhelm.
Anaconda. 560 Seiten.
Buch
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