Juan Gabriel Vásquez: "Die Reputation"


Integrität

Der kolumbianische Schriftsteller Juan Gabriel Vásquez ist mittlerweile einer der anerkanntesten Autoren Lateinamerikas. Seine Romane "Die Informanten", "Die geheime Geschichte Costaguanas", "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" sowie der Erzählungsband "Die Liebenden von Allerheiligen" haben diese Anerkennung längst gefestigt.

Obwohl die Texte des Autors immer einen zumindest im Hintergrund schwelenden, politisch motivierten Zugang haben, sind sie nicht politische Literatur per se. Dass die dunklen Kapitel Lateinamerikas einen starken Einfluss auf die Texte des Autors haben, ist nicht überraschend.

Der Roman "Die Reputation" beginnt damit, dass sich Javier Mallarino, der als Karikaturist eine Institution in Kolumbien darstellt, auf dem Weg zu einer Ehrung für sein Lebenswerk die Schuhe putzen lässt. Währenddessen meint er, einen vor fast achtzig Jahren durch Suizid gestorbenen Karikaturisten vorbeischlendern zu sehen. Er weiß, dass das nicht sein kann, spricht den Schuhputzer darauf an, und beginnt, da dieser den Namen des längst verstorbenen Kollegen Mallarinos gar nicht kennt, über Erfolg, Reputation und Wichtigkeit seiner Tätigkeit zu sinnieren. Über die Notwendigkeit, sich diversen politischen Avancen beherzt und integer entgegenzusetzen, Zensur nicht zu akzeptieren und dafür zu stehen, seine Meinung bekunden zu dürfen, speziell wenn man wegen seiner Karikaturen oft auch selbst Einfluss auf die Politik nehmen kann.

"Eines Tages im Jahr 1931 hat Rendón La Gran Vía, ein Café im Zentrum Bogotás, betreten, ein Bier bestellt und um ein Blatt Papier gebeten. Darauf hat er dann die Karikatur eines Mannes gezeichnet, der sich eine Kugel in den Kopf jagt. Und dann hat er sich selbst eine Kugel in den Kopf gejagt. Bis heute weiß man nicht, warum."

Auch wenn Mallarino kein Interesse an einer Hofierung seiner Person hat, so ist er durch die ihm zukommende Ehrung doch geschmeichelt. Auf dem Weg vom Schuhputzer ins Teatro Colon trifft er noch seine Ex-Frau, mit der ihn allerdings offenbar Freundschaft verbindet.
Nach der Ehrung bittet ihn eine junge Frau um ein Autogramm und ein Interview, das er ihr in seinem Haus gewährt. Nachdem seine Ex-Frau überraschend die Nacht bei ihm verbringt, taucht die junge Frau mit dem Wunsch nach einem Interview bei ihm auf.

Rasch ist klar, dass Samanta Leal eigentlich kein Interview will, sondern bemüht ist, eine Situation aus ihrer Vergangenheit aufzuklären. Langsam kommt die Erinnerung Mallarinos daran, was vielleicht passiert ist, oder nicht, zurück. An einen weit zurückliegenden Abend, an eine Feier im Haus, bei der Samanta, die ehemalige Freundin der Tochter Mallarinos, zufällig auch anwesend war. Ein Abend, an dem die beiden Mädchen aus kindlichem Übermut alle Alkoholreste aus Flaschen und Gläsern ausgetrunken hatten und schlussendlich in einer Art Tiefschlaf im Schlafzimmer zur Ruhe kamen. Anwesend auch ein Politiker, der dabei ertappt wurde, dass er im Zimmer der beiden alkoholisiert schlafenden Mädchen war, das Kleid Samantas verdächtig weit nach oben gerutscht. Der Politiker verlässt das Haus, und Mallarino zeichnet am nächsten Tag eine böse Karikatur des Politikers, der ihn vor dem Ereignis noch darum gebeten hatte, ihn nicht zu zeichnen, da er nicht die Person sei, die in den Karikaturen rüberkommen würde, mit einem Caption "lasset die Mädchen zu mir kommen". Die Karriere des relativ unwichtigen Politikers war damit zerstört, ebenso dessen Ehe, schlussendlich auch sein Leben, das er durch Selbstmord beendet.

"Wir alle gingen zur Treppe, und in dem Moment kam Adolfo Cuéllar herunter. So habe ich es in Erinnerung: Cuéllar kam zuerst herunter. Ich wusste nicht, wann er hinaufgegangen war und weshalb. Mich hatte er nicht gebeten, den ersten Stock zu sehen, hatte mich auch nicht nach dem Badezimmer gefragt ... und im nächsten Moment kam er die Treppe herunter, verfolgt von Senor Leals Schreien. 'He, Sie da', schrie der ihm nach, 'Kommen Sie her, he da.' Die Schreie erklangen, als seine Schritte die Treppen herunterpolterten ..."

Die Ungewissheit, nicht wirklich zu wissen, was damals passiert ist, sowie erstmals der Gedanke, dass er Adolfo Cuéllar vielleicht unrechtmäßig verurteilt und in den Tod getrieben hat, werden in Mallarino immer stärker. Ebenso wie sich der Wunsch seiner bemächtigt, Samanta bei der Aufklärung der Ereignisse des Abends zu helfen. Koste es, was es wolle. Und es ist bald absehbar, dass er den Versuch, die Ereignisse von damals aufzuklären, nur mit dem Verlust der eigenen Reputation bezahlen kann ...

"Die Reputation" ist ein starker, wenn auch recht kurzer Roman, der sich mit den Fragen nach Integrität und künstlerischer Freiheit beschäftigt. Ein präzises, eindringliches Kammerstück, das noch lange nach der letzten Seite nachhallt.
Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 04/2016)


Juan Gabriel Vásquez: "Die Reputation"
Aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Schöffling & Co., 2016. 192 Seiten.
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