Sylvie Schenk: "Schnell, dein Leben"
Vom
Schweigen und Lieben
Louise wächst im Frankreich der Nachkriegszeit in den Alpen
auf. Johann wird als kleiner Junge von den Eindrücken des
Zweiten Weltkrieges wie so viele andere deutsche Kinder auch in seinem
späteren Leben noch geprägt sein. In Lyon treffen die
beiden aufeinander, verlieben sich und heiraten schließlich.
Ihr gemeinsames Leben in
Deutschland ist umgeben von einem Mantel des
Schweigens, den sie über die Erfahrungen der Kindheit legen.
Louise erfährt allerdings von dem gemeinsamen Freund Henri von
der Vergangenheit ihres deutschen Schwiegervaters. Louise und Johann
suchen in ihrer Ehe lange nach den Worten, vor denen sie Angst haben,
sie auszusprechen.
"Schnell, dein Leben" wirkt wie ein Tribut an das Schweigen der
1950er-Jahre. Zwei Eheleute sind gefangen in einem Käfig des
Schweigens über die Gräueltaten der vorangegangenen
Generation. Obwohl sie ein Leben miteinander teilen, ist es ihnen
unmöglich, einander schmerzliche Erinnerungen und dunkle
Geheimnisse anzuvertrauen. Sylvie Schenk nimmt den Leser in diesem
Roman mit auf eine Reise, die jedem von uns bekannt vorzukommen
scheint. Vor allem Sylvie Schenk selbst ist in diesem Text
präsent. Die autobiografischen Facetten sind nicht zu
übersehen.
Selbst anno 1944 in Frankreich geboren, wächst die Autorin als
Kind der 1950er-Jahre auf. Ihre Wege führen sie
schließlich nach Deutschland, wo sie heute lebt und arbeitet.
Einem aufmerksamen Leser entgehen die Parallelen zwischen der Autorin
und ihrer Protagonistin Louise nicht. Wie viele biografische Elemente
verbergen sich wohl hinter Johann, Louises Ehemann, oder dem deutschen
autoritären Schwiegervater?
Gekonnt verknüpft Sylvie Schenk eine
deutsch-französische Liebesgeschichte mit der Aufarbeitung des
Zweiten
Weltkriegs. Das Erzählen in der Du-Form bringt dem
Leser die anfangs banal wirkende Geschichte von Louise und Johann
unglaublich nah und trägt zu einem schnellen Lesefluss bei.
Der Roman "Schnell, dein Leben" stellt einen Bruch dar, denn das Schweigen
wird auf mehr als nur eine Weise gebrochen. Der Bruch befreit die
Charaktere von ihrem stillen Gefängnis, und er scheint auch
die erfahrene Autorin selbst zu befreien. Sie ist es immerhin
höchstpersönlich, die von einem kurzen Leben
schreibt, das voller unerwarteter Ereignisse stecken kann und doch
unfassbar gewöhnlich zu sein scheint.
"Schnell, dein Leben" erzählt von der Banalität des
Lebens mit kraftvoller Einfühlsamkeit, die bei jedem Leser
einen bleibenden Eindruck hinterlassen wird.
(Sabrina Brugner; 07/2016)
Sylvie
Schenk: "Schnell, dein Leben"
Hanser, 2016. 160 Seiten.
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