Gustaaf Peek: "Göttin und Held"


Literarische Pornografie?

"Göttin und Held" heißt der vierte Roman des 1975 in Leiden geborenen Gustaaf Peek, der erste, der ins Deutsche übersetzt worden ist.
Im Mittelpunkt dieses Romans stehen Tessa und Marius, zwei Menschen, die einander fast ihr ganzes Leben lang kennen. Einmal sind sie zusammen, dann wieder nicht. Auch wenn sie nicht zusammen sind, treffen sie sich heimlich in Hotelzimmern oder an anderen geheimen Orten. Tessa hatte einen Sohn, allerdings mit Paul, von dem sie geschieden ist. Wegen Marius. Nach der endgültigen Trennung scheitern beide am Verlust des Anderen. Das ist, mehr oder weniger, die Geschichte, die hier erzählt wird. Es geht um Liebe, um Intimität, um das Wesen der Liebe, die Anziehungskraft und andere Faktoren, die Hirn ausschalten und Leidenschaft einschalten.

Gustaaf Peek bedient sich eines Kunstgriffs und erzählt seinen Roman quasi vom Ende zum Anfang hin. Eine Idee, die natürlich auch andere Autoren bereits erprobt haben. Unter Anderen Martin Amis, der seinen antifaschistischen Geniestreich "Pfeil der Zeit" nicht nur von hinten nach vorne, sondern das Leben des Kriegsverbrechers Todd Friendly wirklich rückwärts erzählt, also alles, nicht nur von Geschichte zu Geschichte wandernd. Das erzielt eine lawinenartige Wucht, die, im besten Sinn des Wortes, den Leser einfach erschlägt, auch mit Einsichten, die nur durch diese Erzählform sichtbar werden. Eine solche Notwendigkeit besteht in "Göttin und Held" leider nicht, was natürlich auch am Kern der Sache liegt, obwohl, nicht nur. Eigentlich könnte man, der Rezensent hat es ausprobiert, den Roman auch von hinten nach vorne (also de facto in chronologischer Reihenfolge) lesen, es würde nicht viel ändern.
Eine wirkliche Entwicklung fehlt in diesem Roman, der sich zu sehr auf den Austausch von Intimitäten konzentriert. Dadurch entsteht ein Leseerlebnis, das sich wie eine Ansammlung von Geschichten, Flickwerk und Momentaufnahmen liest.

Gustaaf Peeks Prosa, die überzeugend von Nathalie Lemmens übersetzt wurde, ist ausgezeichnet und sehr präzise, was einen überraschenden Kontrast zum tatsächlich fast pornografischen Inhalt dieses Romans darstellt. Es gibt kaum ein Kapitel, in dem nicht großräumig Platz für detaillierte Beschreibungen der sexuellen Triebe der beiden Protagonisten eingeräumt wurde. Entweder miteinander oder mit anderen Partnern. Dazu kommt die eine oder andere Geschichte der "abweichenden Art": entweder mit einer Prostituierten, mit der Marius die Intimitäten mit Tessa nachstellt, oder mit Billy, die früher ein Mann war, und nun, quasi letzte Freundin Tessas, kuriose erotische Möglichkeiten ebenfalls erlaubt.

Auch die Geschichte von Tessas Sohn, der sich das Leben genommen hat, wird zwar angedeutet, aber nicht näher ausgedeutet, was dazu führt, dass dieser Erzählstrang ebenso in einem Hauch von Nichts verpufft. Somit eine weitere ausgelassene Möglichkeit, tiefer in die Hintergründe der Beziehung von Tessa und Marius einzudringen. Die sexuelle Komponente der Beziehung lässt zwar eine sehr aufgeschlossene, freizügige Intimsphäre zu, die allerdings keinen Roman trägt. Egal, wie literarisch dieser sein mag.

Was wahrlich schade ist, denn schreiben, das kann Gustaaf Peek nämlich, und wie. Seine Sätze sind blendend konstruiert, der Wechsel zwischen Dichte und Knappheit im Sinn des Vorantreibens der Handlung würde perfekt passen, wenn nur das Was nicht wäre. Die erotische oder sinnliche Komponente, von einem niederländischen Rezensenten (im inneren Buchumschlag) als "pikant" bezeichnet, ist einfach zu viel des Guten, wodurch auch die eine oder andere wirklich gelungene und möglicherweise tatsächlich erotische Sexszene im Sumpf der unzähligen geschlechtlichen Handlungen einfach untergeht. Zu oft liest man, wie aus dem Penis des Helden erste Lusttropfen kommen, bevor er sich zuckend in seine Göttin ergießt. Zu oft liest man, wie seine Lippen ihre Nippel umschließen, "sie seinen Schwanz fest mit einer Hand umschloss, er seinen Finger in sie hineinschob". Sätze wie "Er küsste sie, seine Zunge strich zärtlich über die ihre, sie verstand, dass er sein Sperma in ihrem Mund schmecken wollte" kommen zu oft in unterschiedlichen Variationen. Gegen all das wäre prinzipiell nichts einzuwenden, wäre es, im Sinn der literarischen Entwicklung des Romans, notwendig, nur ist es in dieser Häufigkeit nicht notwendig. Nimmt man diese Komponente allerdings weg, bleibt eigentlich nicht viel übrig.

Letztendlich ist "Göttin und Held" ein Roman, der zwar die Liebe zeigen will, sich aber in pornografischem Inhalt verliert. Als Leser bedauert man ernsthaft, von Tessa und Marius nur diese Seite kennengelernt zu haben, gerne wäre man tiefer gegangen. Nur, wäre da etwas übrig geblieben, das es wert gewesen wäre, erforscht zu werden? Diese Frage bleibt zumindest dem Rezensenten unbeantwortet. Leider.

(Roland Freisitzer; 08/2016)


Gustaaf Peek: "Göttin und Held"
(Originaltitel "Godin, Held")
Aus dem Niederländischen übersetzt von Nathalie Lemmens.
DVA, 2016. 335 Seiten.
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Gustaaf Peek, 1975 geboren, studierte Anglistik in Leiden. Für seinen dritten Roman "Ich war Amerika" erhielt er den "BNG Nieuwe Literaturprijs" sowie den prestigeträchtigen "F. Bordewijk-Preis". "Göttin und Held", ein Verkaufsschlager in den Niederlanden, ist sein vierter Roman und wurde für den "Libris Literatuur Prijs" nominiert.