Abbas Maroufi: "Fereydun hatte drei Söhne"
Tumult
im Land - Chaos im Kopf - Konfusion im Text: eine Lesereise ins
Unbekannte
"'Fereydun hatte drei Söhne.'
Mutter zeigte mit ihren Fingern die vier an.
Vater lachte und sagte: 'Ich spreche vom Shāhnāme, Banu.
Nun sei still, ich höre gerade die BBC.'"
Ausgelaugt von Jahren der politischen Agitation im
westeuropäischen Exil findet sich der iranische Kommunist
Madjid Amani in einer Nervenheilanstalt in Aachen wieder. Findet er ins
Jetzt, oder verliert er sich in seiner eigenen Vergangenheit? Er er-
und durchlebt wieder und wieder die blutigen Wirren der Islamischen
Revolution von 1979, den Sturz von Schah Mohammad Reza Pahlavi und die
Machtübernahme durch Ayatollah Chomeini. Sein Bruder Assad hat
sich den Aktivisten des neuen Regimes angeschlossen und ist
einflussreicher Revolutionswächter. Bruder Said lebt nach
Verfolgungen als Mitglied der Volksmudschaheddin im irakischen Exil.
Dem vierten Sohn der Familie Amani, Iradsch, droht als
"Revolutionsfeind" die Hinrichtung.
Über allen wacht der patriarchale Vater Fereydun, der als
Reifengroßhändler durch Beziehungen zum kaiserlichen
Hof zu Reichtum und Ansehen gekommen ist. Innerhalb kürzester
Zeit wird der iranische Traditionalist und eifrige Hörer
westlichen Rundfunks ein politisch erpressbarer Wendehals. Der
größte Wunsch des Kenners der persischen
Königsmythen ist es, einen gleichnamigen Enkelsohn zu haben,
ist doch im Schāhnāme, dem Königsbuch des Dichters Firdausi
(um 1000 n. Chr.), Fereydun einer der Stammväter des
iranischen Volkes, der die Welt unter seinen drei Söhnen
aufteilt: Iradsch, der jüngste Sohn, erhält mit dem
Iran das Herzstück des Reiches - und wird von seinen
missgünstigen Brüdern grausam getötet. Diese
tragische Episode des umfangreichen Heldenepos wiederholt sich nicht
weniger blutig in der iranischen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts
und lässt Fereyduns Familie zerstreut und ohne Aussicht auf
weitere Nachkommenschaft zurück, denn der einzige Enkel, das
Kind von Tochter Enssi, ist behindert und wird aus Scham versteckt.
Das politische, gesellschaftliche und infolgedessen vor allem
familiäre Chaos überträgt sich auf den
Duktus des in Berlin lebenden Autors und Herausgebers einer
oppositionellen Zeitschrift. Es ist ein Schreibstil, nicht unbedingt
Erzählstil, denn die Konfusion im Land und im Kopf des
psychisch angeschlagenen Protagonisten Madjid macht nicht Halt vor
einer Auflösung textueller Kohäsionen und
inhaltlicher Kohärenzen: Mitten im Satz wechselt das
Personalpronomen von "ich" auf "er" - und zurück, springt die
Erinnerung von früheren Jahren in der Heimat ins Jetzt des
psychischen Leidens und zum Versuch des Geheimdiensts, Madjid in den
Iran zurückzu(ent)führen. Auch die Verwendung des
Landesnamens ohne Artikel (in Iran, nach
Iran) bremst die Lektüre, ebenso die inkonsequente
Transliteration persischer Namen (z.B. "Iradsch", aber "Madjid", nicht
"Madschid").
Erst nach einiger Zeit ergibt sich eine Annäherung an etwas,
das sich schemenhaft als Handlungsverlauf erkennen lässt,
werden die Mitglieder der Familie Amani in ihrer fragilen
Zusammengehörigkeit greifbar. Aus der
westeuropäischen Perspektive von 2016 ist kaum eine ihrer
Handlungen oder Handlungsverweigerungen nachvollziehbar. Dennoch ist es
gerade die Drastik einer literarisch aktiven Hinführung in den
Schmerz des Exils, in die Einsamkeit der Ferne und in die geistige
Gefangenschaft im brudermörderischen Hass der verlorenen
Heimat, die dieses Buch zu einer außergewöhnlichen
und empfehlenswerten Lektüre macht, zu einer "Lesereise ins
Unbekannte", so der Untertitel von Ilija Trojanows Reihe "Weltlese".
(Wolfgang Moser; 11/2016)
Abbas
Maroufi: "Fereydun hatte drei Söhne"
Herausgegeben und mit einem Vorwort von
Ilija
Trojanow.
Aus dem Persischen von Susanne Baghestani.
Weltlese, Band 17. Edition Büchergilde, 2016. 298 Seiten.
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Abbas Maroufi, 1957 in Teheran geboren, gründete die Zeitschrift "Gardoon" und war ihr Herausgeber, bis er wegen "Beleidigung der islamischen Grundwerte" zu Gefängnis, zwanzig Peitschenhieben und Publikationsverbot verurteilt wurde. Aufgrund internationaler Proteste wurde das Urteil nicht vollzogen, die Zeitschrift jedoch verboten. Er konnte das Land verlassen und gründete in Berlin die Buchhandlung "Hedayat" und den Verlag "Gardoon". Auf Deutsch erschien u.A. der Roman "Symphonie der Toten" , für den er 2001 den "Siegfried-Unseld-Preis" erhielt. Das gegen ihn ergangene Urteil wurde bisher nicht aufgehoben.