Petros Markaris: "Der Tod des Odysseus"

Erzählungen


Sieben Erzählungen über Türken, Künstler, Mörder und Sonstige

Unter diesem eines griechischen Krimischriftstellers wohl würdigen Titel ist kürzlich ein Band mit sieben Erzählungen von Petros Markaris in deutscher Übersetzung erschienen. Immerhin bei drei dieser Geschichten handelt es sich um Kurzkrimis, und auch Markaris' weithin bekannten und beliebten Kommissar Kostas Charitos sehen wir in einigen Geschichten wieder, nicht nur bei der Mörderjagd, sondern auch - dies stellt einen offensichtlichen Schwerpunkt des Erzählbands dar - in Zusammenhang mit der Türkei, den griechisch-türkischen Beziehungen und mit seiner (Markaris' wie Charitos') Geburtsstadt Konstantinopel bzw. Istanbul bzw. - wie die Griechen ihre alte Hauptstadt gerne nennen - einfach der "polis", der "Stadt".

In der Titelgeschichte träumt so ein aus Konstantinopel stammender, nun in Athen lebender Grieche nicht nur davon, am Lebensabend in seine Heimatstadt, auch wenn er dort mittlerweilen keine Seele mehr kennt, zurückzukehren, sondern führt dies Vorhaben tatsächlich aus und kann dem engeren Landsmann Kostas Charitos so von einigen Erfahrungen berichten, muss am Ende jedoch leidvoll zur Kenntnis nehmen, dass Konstantinopel nun einmal nicht Ithaka ist.

In "Auf vertrautem Boden" ist der Held ein türkischer Polizeiinspektor, der normalerweise das Verbrechen in der Bosporusmetropole zu bekämpfen hat, sich beim Besuch seines in einem Kaff bei Düsseldorf in Rente befindlichen Vaters jedoch in einen heiklen Mordfall im Deutschtürkenmilieu hineinziehen lässt. Markaris nutzt dabei ausgiebig die Gelegenheit, die Verfilzung von türkischen Vereinen, ohne die für Türkischstämmige in Deutschland trotz anderslautender staatlicher Gesetze oft nichts läuft, mit Islamisten, Immobilienhaien, deutschen Rechtsradikalen, staatlichen Verbindungsleuten etc ausgiebig zu beleuchten, wie überhaupt vermerkt werden kann, dass politische, historische, gesellschaftliche Aufklärungsarbeit und damit verbunden das Aufzeigen verschiedenster Missstände und Übel in diesen Bereichen Markaris' wichtigstes Anliegen beim Erzählen seiner Geschichten, Krimis oder anderer, zu sein scheint. Der türkische Polizist vermag zwar mehr Licht in die Sache zu bringen, stößt dennoch an die Grenzen des Beweis- und Durchsetzbaren und meint am Ende ein wenig frustriert zu seiner nach Deutschland mitgereisten Frau, das Verwunderliche an ihr sei nicht, dass sie als EDV-Expertin mehr verdiene als er als Polizist, sondern dass sie dabei Kopftuch trage.

Die mit knapp hundert Seiten längste Erzählung des Bandes führt in das Konstantinopel/Istanbul während dreier Tage im September 1955 und thematisiert, wie fragil die Situation der griechischen Minderheit in ihrer Stadt geworden ist, wie wenig es bedarf und wie rasch sich die damit einhergehenden einschneidende Veränderungen abspielen können, um von ehrbaren, teils wohlhabenden und die Rechte genießenden Bürgern zu Staatsfeinden, zu vom Pöbel an Leib und Besitz bedrohtem Freiwild zu werden. Markaris entwirft auf wenigen Seiten ein überzeugendes Bild der Konstantinopolis-Griechen jener Tage, bringt ihre unterschiedlichen Schichten, typischen Berufe, Gesprächsthemen, Denkweisen und Sorgen zur Sprache, nicht zuletzt die komplizierte, gefährliche Beziehung zur türkischen Mehrheit (in der Erzählung unter anderem repräsentiert durch eine Art Symbiose zwischen der Hauptfigur, einem griechischen Tuchhändler, und einem türkischen Polizeioffizier). Um etwas von dem wechselseitigen Misstrauen und den Vorurteilen nachvollziehbar zu machen, berührt Markaris auch wichtige Ereignisse der Jahrzehnte zuvor, die Besetzung Konstantinopels durch die Mächte der Entente nach Ende des Ersten Weltkriegs, die Verbesserung der bilateralen Beziehungen mit dem Besuch des griechischen Königspaars in der Stadt oder den ausbrechenden Zypernkonflikt, der für die kommenden Ausschreitungen (ausgelöst durch einen Anschlag auf das Geburtshaus Kemal Atatürks in Saloniki) den Boden bereitet. Die Kritik des Schriftstellers an den türkischen  Verhältnissen ist bei alledem relativ zeitunabhängig; so heißt es in Anlehnung an den Wahlspruch der drei Musketiere sarkastisch, dass von den drei großen nichtislamischen Minderheiten der Stadt, Griechen, Armeniern und Juden, die einen immer auch für die "Verfehlungen" der anderen büßen müssen. Oder: "In diesem Land entscheiden die Ärzte, wie viel Medizin, und die Polizisten, wie viel Prügel verabreicht werden."

Einen zweiten Schwerpunkt dieser Erzählungen bilden Verbrechen im griechischen Künstlermilieu. Anscheinend hat Markaris mit der Zeit so seine Blicke in diese (durch ihre geografische und sprachliche Randlage womöglich besonders zu Selbstüberschätzung neigende) Welt getan und möchte etwas von der massiven Ballung an Neid, Ruhmsucht, Selbststilisierung, Anbiederung, Konkurrenzkampf (z.B. um EU-Förderungen), Skrupel- und Kompromisslosigkeit, die er dort vorgefunden, dem Leser nahebringen.

Im übrigen gilt auch von diesem Buch, dass auf eine einfache (betont unintellektuelle), aber hellsichtige, aufgeweckte Art erzählt wird, wodurch Bekanntes mitunter neuartig erscheint, fremde oder kompliziertere Sachverhalte hingegen bis zu einem gewissen Grad als schlüssig und allgemeinverständlich erfahren werden können.

(fritz; 12/2016)


Petros Markaris: "Der Tod des Odysseus. Erzählungen"
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes, 2016. 214 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Digitalbuch bei amazon.de bestellen