Mario Vargas Llosa: "Die Enthüllung"


Skandal, Politik, Sex und Telenovela

Mario Vargas Llosa, der peruanische Literaturnobelpreisträger, ist ein meisterhafter Schriftsteller. Das ist eine Tatsache, die nicht einmal ansatzweise zur Debatte steht. Seine stärksten Romane sind jene, die sich mit der lateinamerikanischen Politik und den verschiedenen Formen der Diktatur beschäftigen. Allen voran sein alles in den Schatten stellender Roman "Der Krieg am Ende der Welt", oder auch "Das grüne Haus", "Das Fest des Ziegenbocks", "Die Stadt und die Hunde", "Tod in den Anden", aber auch "Der Hauptmann und sein Frauenbataillon" - das sind literarische Meilensteine, welche für die Verleihung des Nobelpreises sicherlich ausschlaggebend waren.
Mario Vargas Llosas Schaffen enthält aber immer wieder auch Romane, in denen explizite Sexualität bzw. der Eros im Mittelpunkt steht. Diese Seite seines Schaffens ist zumeist locker und eher anzüglich unterhaltend ("Das böse Mädchen", "Lob der Stiefmutter", "Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto") oder wirklich beeindruckend, vor allem, wenn er die erotisierende Ebene kunstvoll polyphon mit anderen Elementen verbindet, wie im wirklich genialischen Roman "Tante Julia und der Kunstschreiber".

Sein neuester Roman "Die Enthüllung" scheint sich an einer Verquickung der lateinamerikanischen Telenovela mit den frivolen erotischen Fantasien eines bereits älteren Mannes zu versuchen. Ein Experiment, falls es als solches gedacht war, das leider auf ganzer Länge scheitert. Zumindest, wenn man diesen Roman am Schaffen des Autors misst.

Einerseits scheint "Die Enthüllung" eine Abrechnung mit Alberto Fujimori zu sein, der seinerzeit in der Stichwahl um das Amt des peruanischen Staatspräsidenten gegen Mario Vargas Llosa als Sieger hervorging; andererseits scheint der Roman aber auch eine Art Studie über das Scheitern der Ehe des Autors mit Patricia nach einem halben Jahrhundert Gemeinsamkeit zu sein.
Manipulationen der Presse, Verletzungen der Menschenrechte und Machtstrukturen der Diktatur. All das als Aufhänger für einen leicht dahinhuschenden Roman, der in den späten 1990er-Jahren in Lima angesiedelt ist.

Hauptprotagonisten sind Marisa und Enrique, ein Vorzeigepaar der jungen, reichen Oberschicht, die in der künstlichen Blase des Luxuslotterlebens treiben. Kurzausflüge nach Miami, teure Autos, Hotels und keinerlei Einschränkungen des Konsumwahns bestimmen ihr Leben.

Eines Tages erscheint der Skandal- und Boulevardreporter Rolando Garro, der Enrique mit Fotos erpresst, die den Vorzeigemann Enrique offensichtlich bei einer Sexorgie mit Prostituierten zeigen. Skandal und Rufverlust schaffen eine Art Zäsur im Leben der beiden Vorzeigereichen. Währenddessen betrügt Enriques Ehefrau Marisa ihren Mann mit der Frau von Enriques Anwalt. Dieses Ereignis ist übrigens der Startschuss für den Roman, der sich gleich im ersten Kapitel wie ein wirklich seicht geratener pornografischer Text liest. Dieser Abschnitt, in dem Marisa, die bis dahin noch keine lesbischen Fantasien gehabt haben soll, ihre langjährige beste Freundin verführt, oder sich zur Verführung durch diese gedrungen fühlt, ist so unglaubwürdig, dass man sich fragt, ob die Hormone des Autors ihm hier nicht einen bösen Streich gespielt haben.

Während die politische Brisanz zunehmend ausgebreitet wird, bleibt sie jedoch in den Ansätzen stecken, weil die erotische, oder besser gesagt, die pornografische Ebene eigentlich in den Mittelpunkt rückt. Nicht nur, dass Marisa ihrem Mann die Affäre gesteht, sie bezieht ihren Mann auch in diese feminin-laszive Ebene ein. So entsteht ein voyeuristisch frivoles Dreiergesülze, das leicht an gewisse Momente der beiden Stiefmutterromane Vargas Llosas erinnert. Mit dem Unterschied, dass Vargas Llosa mittlerweile gut dreißig oder gar vierzig Jahre älter ist und sein sexueller Blick nun doch sehr altersgefärbt lechzend ist. Das führt dazu, dass man immer wieder doch eher peinlich berührt den Blick abwenden möchte.

Die Verwicklungen des Journalisten, der gegen Anweisungen gehandelt hat, der ermordet wird, der unschuldig des Mordes bezichtigte Rezitator - das ist eine Ebene im Roman, die erstaunlich unpräzise gearbeitet ist und leider auf einem Niveau bleibt, das eher an Klatschpresse, als an literarische Feinarbeit erinnert.

Höchstwahrscheinlich versucht Mario Vargas Llosa, sich hier bewusst in der Seichtigkeit dieses Umfelds zu suhlen. Dass daraus kein bedeutender Roman geworden ist, liegt daran, dass er zu ungenau gearbeitet ist, zu unpräzise, zu wenig Brisanz vermittelt und zu sehr in die hier wenig überzeugende Macht des Eros abdriftet. Zu sehr werden hier Klischees bedient, zu sehr geben sich die Frauen (bewusst pluralisierend!) ihren sexuellen Ausschweifungen hin, sie scheinen gar nur daran zu denken, ohne Wenn und Aber, während die Männer seltsam naive, willenlose Mitwirkende bleiben. Vielleicht der ewige und versteckte Wunsch des lateinamerikanischen Machos, um ein weiteres Klischee zu bedienen, sich in Wahrheit einfach zurücklehnen zu dürfen und schlichtweg verführt zu werden?

Thomas Brovots Übersetzung ist natürlich ausgezeichnet, er trifft die Stimme Vargas Llosas wie immer hervorragend. Seiner Übersetzung ist es wahrscheinlich auch zu verdanken, dass man nichtsdestotrotz dran bleibt und diesen Roman fast überrascht zu Ende liest, nur um sich am Ende zu fragen, wozu man das getan hat. Der Rezensent verbleibt in der Hoffnung, dass dieser pornografisch angehauchte Ausrutscher eine kleine Verfehlung des Autors bleibt und er im nächsten Roman wieder auf der Höhe seiner Meisterschaft ist und vielleicht einen Roman schreibt, der nach diesen Orgien vielleicht auch (zur Wiedergutmachung) ohne Sex auskommt ...

(Roland Freisitzer; 11/2016)


Mario Vargas Llosa: "Die Enthüllung"
(Originaltitel "Cinco esquinas")
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
Suhrkamp, 2016. 299 Seiten.
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