Harald Haarmann: "Auf den Spuren der Indoeuropäer"

Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen


Die Geschichte unserer Sprache - interessant wie eh und je, aber nicht neu

Berittene Steppennomaden wanderten mit ihrer Kultur und Sprache ab dem vierten Jahrtausend vor Christus aus ihrer südrussischen Urheimat nach Westen und Osten. Allmählich widmeten sie sich auch dem Pflanzenbau, vermischten sich mit anderen Kulturen und wurden zunächst auch in Südosteuropa, später in Mitteleuropa, dann auf der anatolischen Halbinsel, in Persien und andernorts, schließlich von Island bis Sri Lanka sesshaft. Heute sind die Nachfahren unserer sprachlichen Ahnen auf allen Kontinenten vertreten, auf dreien (Europa, Amerika und Australien) weit in der Überzahl.

Doch zurück zur Jungsteinzeit: Detailreich erklärt Harald Haarmann, wie man wissen kann, welche Sprache Menschen gesprochen haben, von denen nur wenige Begräbnisstätten und Grabbeigaben, vor allem Keramik und Kleinskulpturen, geblieben sind. Dass sie gesprochen haben, ist ja offensichtlich. Wie ihre Sprache lautete und klang, ist nicht überliefert - aber man kann herausfinden, was und worüber sie gesprochen haben müssen: über ihren Alltag, ihre Tiere und Nahrungsquellen. Wörter für Pferd, Ziege, Schaf, Weide, Herde, Biene und einige Bäume und Wildtiere sind in vielen der heutigen indoeuropäischen Sprachen ähnlich - auch wenn diese Ähnlichkeit für Laien nur wenig augenscheinlich ist, sondern erst durch die konsequente Anwendung von Lautgesetzen und Lautverschiebungen deutlich wird. Somit lässt sich, sofern man sich des Klimawandels der letzten siebentausend Jahre bewusst ist, der gemeinsame Siedlungsraum auf die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres eingrenzen. Die prähistorische Archäologie, die Paläobotanik und schließlich die Genetik und noch einige andere moderne Wissenschaften lassen es zu, diese sprachlichen Überlieferungsreste mit archäologischen Funden aus dem Gebiet zu identifizieren. Ein paar Tausend Jahre später, aber nicht mehr in der so genannten Urheimat, begannen Indoeuropäer auch zu schreiben: Hethiter in Anatolien, Minoer im vorklassischen Griechenland, Perser und Inder. Der Rest ist Geschichte ...

Dieses erste Drittel des Buches ist den seit rund 200 Jahren immer nur annähernd beantworteten Hauptfragen der historischen Sprachwissenschaften gewidmet: Woher stammen die Indoeuropäer? Wie sprachen sie? Wie und wo lebten sie? Darauf folgen Darstellungen der einzelnen indoeuropäischen Sprachen und Sprachfamilien: Griechisch, Romanisch, Keltisch, Germanisch, Baltisch, Slawisch, Iranisch, Indisch und ausgestorbene Zweige wie das Tocharische in Zentralasien, Hethitisch in der heutigen Türkei usw.

Erstaunlich oft fallen immer dann, wo es um Nordosteuropa geht, geistige und sprachliche Ausflüge ins Finnische und andere uralische Sprachen auf. Sind diese etwa auch indoeuropäisch? Nein, aber sie bewahren Zeugnisse früher Kontakte mit unseren Sprachvorfahren - und sie sind das Lieblingswissensgebiet des Autors.
Hingegen finden die modernen Sprachen Süd- und Mitteleuropas (Portugiesisch, Katalanisch, Slowenisch, Tschechisch, Slowakisch, ...) nur sehr kurze Erwähnung.

Der in Finnland lebende und mit vielen Sprachen des europäischen Westens (Keltisch), Nordens (Finnisch, Samisch) und Ostens (Ostslawisch, Baltisch) vertraute Harald Haarmann ist ein notorischer Vielschreiber, angeblich der einzige Sprachwissenschaftler, der vor allem von seinen Veröffentlichungen leben kann.

So kann es passieren, dass die Fülle von bemerkenswerten und lesbaren Informationen in seinem rund vierzigsten Buch ein wenig unausgegoren und eigentlich nur wie ein neu kompiliertes Autoplagiat wirkt. Besonders die Darstellung der indoeuropäischen Sprachen und Sprachfamilien ist eine sprachlich kaum veränderte Wiedergabe aus zwei enzyklopädischen Werken des Autors: "Lexikon der untergegangenen Sprachen" (Beck'sche Reihe, 2002) und "Kleines Lexikon der Völker" (Beck'sche Reihe, 2004). Und ganz besonders ist das Einführungswerk "Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen" (C.H. Beck Wissen, 2010), Modell für den vorliegenden Band.

Dass trotz zahlreicher, fast durchgängiger Reprisen immer noch einige Fehler und Unstimmigkeiten zu finden sind, lässt nachdenken, warum aus zwei, drei Büchern nach nur wenigen Jahren ein neues entstehen musste. Die Meinung des Rezensenten: Es geht um die inhaltliche Etablierung der Anfang 2014 begründeten Sachbuchreihe "C.H.Beck Paperback".

Trotzdem ist es lesenswert.

(Wolfgang Moser; 04/2016)


Harald Haarmann: "Auf den Spuren der Indoeuropäer.
Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen"

C.H. Beck, 2016. 368 Seiten mit 26 Karten und 24 Abbildungen.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen"

Harald Haarmann beschreibt anschaulich, was wir über die Ursprache der Indoeuropäer und ihre Urheimat in der südrussischen Steppe wissen, und erklärt, wie die berittenen Steppennomaden ab dem 4. Jahrtausend v. Chr. nach Westen und Osten gewandert sind. Allmählich vermischten sie sich mit anderen Kulturen und wurden schließlich in Persien, Indien, Westeuropa und andernorts sesshaft. Nicht nur die Sprachen der Indoeuropäer legen Zeugnis von dieser Entwicklung ab, sondern auch ihre Mythen sowie archäologische Funde. (C.H. Beck)
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