Paul Baeten Gronda: "Straus Park"
Liebe,
Kunst und die Nazis
Die wechselnden Ehrengastländer bei der "Frankfurter
Buchmesse" sind ein Segen für Leser, die Interesse an einer
tiefergehenden Erforschung der Literatur eines bestimmten Landes haben.
In diesem Jahr stehen die Niederlande und Flandern im Fokus, was dazu
geführt hat, dass unzählige Autoren für den
deutschsprachigen Markt entdeckt worden sind. Wie eben P. B. Gronda,
Joost de Vries oder Kris
van Steenberge. Ein angenehmer Nebeneffekt
ist, dass leider längst vergriffene Bücher, wie
beispielsweise jene von Willem
Frederik Hermans, neu aufgelegt werden,
oder noch nie in deutscher Sprache veröffentlichte Romane
großer Autoren eine Erstübersetzung ins Deutsche
erhalten. Eine Situation, in der Leser, Verlage und Autoren profitieren.
Der dem Roman des 1981 geborenen Belgiers den Titel gebende "Straus
Park" ist ein kleiner Park, der an der Upper West Side Manhattans
zwischen Broadway und West End liegt. Eigentlich ist er nicht mehr als
eine kleinere Grünanlage, die eine Skulptur ziert, welche an
das Unternehmer Ehepaar Isa und Isidor Straus erinnert, das bei einer
Atlantiküberquerung an Bord der "Titanic" ums Leben gekommen
ist.
Die Verbindung des Parks zum Roman ist die, dass Amos Grossman,
verwöhnter Spross einer reichen jüdischen
Kunsthändlerfamilie, an den Park grenzend lebt. Amos Grossman
ist als Protagonist ein perfektes Beispiel dafür, dass es sich
mit viel nicht selbst verdientem Geld im Rücken nicht
unbedingt leicht lebt. Während er von Affäre zu
Affäre springt, ist er wechselhaft und jähzornig, ein
wie vom Teufel Getriebener, der erst zu Besinnung kommt, als die
englische Kunsthistorikerin Julie Dane ihren Platz in seinem Leben
einnimmt. Plötzlich meint er, zu wissen,
was Liebe ist, was dazu führt, dass P. B. Gronda
Amos über die Liebe und deren verschiedenen Arten sinnieren
lässt, was zumindest eindrucksvoll zeigt, wie unsensibel und
unreif Protagonist Grossman ist.
"An dem Morgen, als Alison zu ihrem Flug nach Chicago abgeholt
wurde, lag die Scheidung von Farren fast sieben Jahre zurück.
Es kam Amos unglaublich vor, dass er schon vor seinem
einunddreißigsten Geburtstag nicht nur eine Ehe hinter sich
hatte, sondern auch schon so lange geschieden sein konnte. Vielleicht
fand er es deshalb beängstigend, dass er nichts mehr
fühlte, als er vom Bett aus zusah, wie Alison zwischen
Küche und Badezimmer hin- und herhetzte, während ihm
eine immer intensivere Mischung von Kaffee und Parfüm in die
Nase stieg."
Der erste Teil des Romans ist sprunghaft und nicht linear komponiert,
fast so, als hätte Gronda zuerst das geschrieben, was
notwendig war, nur um danach einzelne Teile herauszufischen und diese
dann fast in beliebige Reihenfolge zu setzen. Wichtige
Verbindungsstücke scheinen bewusst ausgelassen worden zu sein.
Diese Technik kann ja unter Umständen auch wirklich
eindrucksvoll funktionieren, das tut sie hier leider nicht. Der ganze
erste Teil ist unnötig verschroben, und jeglicher Lesefluss
wird sofort zerstört. Besonders störend ist, dass die
Figuren irgendwie nie lebendig werden. Es passiert dies und das, man
begleitet den Playboy Grossman durch sein Leben und
wird doch nie Teil seiner Geschichte.
Fahrt nimmt der Roman mit dem Zeitsprung ins Jahr 1937 auf, als
Grossmans Großeltern Charlotte und Markus aus Deutschland
nach Amsterdam fliehen, in der Hoffnung, damit den Nazis entgehen zu
können. Hier finden sie, begünstigt durch eine reiche
und hochgebildete Unternehmerfamilie, Zugang zur Elite der Amsterdamer
Gesellschaft.
Während Charlotte in dieser Gesellschaft aufgeht, zieht sich
ihr ängstlicher Ehemann zurück. Ihr Durst nach diesem
Leben verleitet sie dazu, einige verhängnisvolle und
fragwürdige Entscheidungen zu treffen. Charlottes Freund- und
Liebschaft mit einem SS-Mann lässt sie leichtsinnig
ausplaudern, wo befreundete und bekannte Juden ihre
Kunstgegenstände und Schmuck versteckt haben. Durch ihren
Verrat sorgt sie für eigene Vorteile und auch dafür,
dass Andere in Lager kommen und dort ermordet werden. Letztendlich
halten die beiden aber trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere und
trotz besonders dramatischer Verwicklungen zusammen.
"'Was hast du denn gedacht?', fragte Otto, und er wirkte noch
wütender, als sie es gewesen war. 'Dass es ein ehrliches Spiel
wäre? Was glaubst du denn, was mit all den anderen Namen und
Adressen passiert, die unter anderem du mir zuspielst? Dass wir dort
kurz zur Teevisite vorbeischauen?' Er spuckte ihr die Worte ins
Gesicht, und man hatte den Eindruck, als hielte er, der König
der Verräter, sie für eine Schande für das
Menschengeschlecht."
Hier steigert P. B. Gronda das Tempo seines Romans, der sich im zweiten
Teil fast wie ein Kriegsthriller liest, und
führt danach im dritten und letzten Teil die beiden Zeitebenen
und Schicksale zusammen. In diesem dritten Teil finden sich auch die
stärksten Passagen dieses Romans, der ab dem zweiten Teil
konsequent für den ersten Teil entschädigt und so am
Ende doch noch einen versöhnten Leser
zurücklässt.
Die Übersetzung von Marlene Müller-Haas ist makellos,
sie liest sich flüssig und angenehm.
(Roland Freisitzer; 07/2016)
Paul
Baeten Gronda: "Straus Park"
(Originaltitel "Straus Park")
Aus dem Niederländischen von Marlene
Müller-Haas.
Luchterhand Literaturverlag, 2016. 320 Seiten.
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Paul Baeten Gronda wurde 1981 in Belgien geboren und lebt mit seiner Frau abwechselnd in Italien und in Leuven. Gronda ist Kolumnist für die Zeitungen "De Morgen" und "Knack" und Schriftsteller. Mit seinem ersten Roman kam er anno 2010 auf die Auswahlliste des "Academica Debütantenpreis". "Straus Park" ist der vierte Roman des in Belgien und den Niederlanden sehr erfolgreichen flämischen Schriftstellers.