Stefan Bollmann: "Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist"
Modernes und schillerndes
Plädoyer für einen großartigen Dichter und faszinierenden Menschen
Ohne seine Großartigkeit außer Acht zu lassen gelingt es Bollmann,
Goethe als einen Menschen zu skizzieren, der mit den Problemen und
Freuden des Lebens hadert, wie jeder andere auch. Man lernt Goethe als
einen Freund, einen Genossen kennen, der ähnlich lebt und leidet wie man
selbst auch. Dadurch bewerkstelligt es der Autor, den Menschen hinter
dem großen Dichter und Schriftsteller sichtbar zu machen. Auf sehr
sympathische Weise gelingt es Stefan Bollmann, den Namen "Goethe" nicht
mit einem abgehobenen, unerreichbaren Literaten zu assoziieren, sondern
mit einem sensiblen, nachdenklichen Menschen, der sympathisch und
intelligent wirkt.
"Der Italienfahrer
Goethe, einer der ersten Zeugen der tiefen Sehnsucht, mit der wir
heute auf Reisen gehen, hielt es genau umgekehrt: Auf die
Vorbereitungen verschwendete er nur wenige, auf die Fragen des
Zurückkommens hingegen ausführliche und bemerkenswerte Gedanken."
(Seite 120)
Auch für Interessierte, die sich mit Goethe, seiner Persönlichkeit und
seinem Leben sowie seinen Werken schon intensiver befasst haben, werden
neue Informationen dabei sein. Bollmann zeigt den großen Schreiberling
von einer ganz persönlichen, vielleicht noch nie entdeckten Seite. Und
der Eine oder Andere wird tatsächlich Erkenntnisse für sein eigenes
Leben aus Goethes Gedanken und Ansichten ziehen können. Der deutsche
Lyriker galt und gilt seit jeher als sehr nachdenklicher und
reflektierender, philosophisch anmutender Denker, der das Leben und den
Sinn ergründen wollte.
"In jungen Jahren, wenn man das Leben noch vor sich hat, ist das
eigene Leben das wichtigste Projekt, dem sich alles andere
unterordnet. In späteren Jahren hingegen hat nichts mehr Macht, uns
ins Unglück zu stürzen, als die Erkenntnis, im Leben immer nur den
Erwartungen anderer entsprochen zu haben oder Sachzwängen gefolgt zu
sein." (Seite 15)
Bollmann scheint eine ganz besondere Verbindung zu Goethe aufgebaut und
vertieft zu haben. Es wirkt, als würde er auf eigenartige Weise mit dem
seit 1832 Verstorbenen harmonieren. Goethe und Bollmann vermögen in
"Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist" tatsächlich davon zu
überzeugen, dass es eine Bereicherung ist, Goethe zu lesen und ein
Jammer wäre, diesen großartigen Schriftsteller und reflektierenden
Menschen aus seinem Leben auszuschließen - man würde einige interessante
Gedanken und Überlegungen entbehren.
Dieses Buch ist viel mehr als eine Biografie oder ein Sachbuch. Es ist
ein alltagsphilosophisches Manifest und eine Bewusstmachung der Freuden
und Leiden des Lebens, wie sie jeder durchlebt. Eine
"Wahlverwandtschaft" mit diesem Buch einzugehen, wird man sicher nicht
bereuen.
Der Erschaffer von "Die Leiden des jungen Werthers", "Der Erlkönig", "Faust"
und vielem mehr setzte sich auch mit ganz alltäglichen Dingen wie Jugend
und Pubertät, Leidenschaft, Sex, Reisen und dem Nachhausekommen,
Kreativität und dem Hadern mit den eigenen Stärken und Schwächen
auseinander.
"Wie fühlt es sich an, wenn man wie Goethe nach fast zweijähriger
Abwesenheit wieder nach Hause zurückkommt? [...] Die Daheimgebliebenen
hingegen sind enttäuscht, dass man nicht einfach glücklich ist, wieder
zu Hause zu sein. Sie finden einen verändert, ohne genau sagen zu
können, wie und inwiefern." (Seite 151)
Bollmann verbindet seine eigenen Gedanken mit denen des großen Lyrikers
Goethe. Dabei erfährt der Leser nicht nur einen ideellen Zuwachs
im philosophischen Sinn, sondern auch handfeste Informationen über
Goethe und sein Leben, die zum Teil wohl noch nicht bekannt waren. Der
Autor stellt den nachdenklichen Exzentriker auf eine außergewöhnliche
Weise dar. Er rückt die schillernde Persönlichkeit aus der Mitte des 18.
und dem Anfang des 19. Jahrhunderts in ein ganz neues Bild und zeigt dem
Leser Seiten an Goethe, die ihm bisher vielleicht verborgen waren.
Ein großartiges Buch, das Biografie, Philosophie und gekonnten
Schreibstil in sich vereint und den Leser überzeugen kann, dass ein
Leben ohne Goethe wirklich sinnlos ist.
(Alexandra Gölly; 06/2016)
Stefan
Bollmann: "Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist"
DVA, 2016. 282 Seiten.
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Stefan Bollmann, geboren 1958, promovierte nach einem Studium der Literatur, Geschichte und Philosophie über Thomas Mann. Anno 1998 tauschte er den Beruf des Hochschullehrers gegen den des Lektors in Publikumsverlagen.