Jane Gardam: "Eine treue Frau"


Der zweite Teil der "Old Filth"-Trilogie

Nachdem die Werke Jane Gardams in der deutschsprachigen Literaturszene bisher leider kaum Beachtung gefunden haben, hat der Hanser Verlag im Jahr 2015 mit der Veröffentlichung der drei Bände ihrer "Old Filth"-Trilogie begonnen.

"Old Filth? Failed in London? Try Hong Kong."

"Eine treue Frau" ist der zweite Teil der "Old Filth"-Trilogie, der auf den ersten Band "Ein untadeliger Mann" folgt. Auch wenn man diesen Teil als eigenständiges, in sich geschlossenes Buch lesen kann, wird jeder Leser, der bereits den ersten Teil gelesen hat, ein größeres Vergnügen bei der Lektüre haben. Durchgängig mit den handelnden Personen besetzt, die auch den ersten Band prägen, könnte man dem zweiten Teil den Untertitel "Bettys Erzählung" geben.

Edward Feathers, dessen Lebensgeschichte in "Ein untadeliger Mann" bereits erzählt wurde, ist Waise und wird auch immer einer bleiben. In London nicht vom Erfolg verwöhnt, holt ihn ein alter Freund nach Hong Kong, wo er schnell zum führenden Anwalt in Sachen Bauland wird. Bei der Entwicklung Hong Kongs ist es auch nicht verwunderlich, dass er dafür geadelt und reich wird.

"Eine treue Frau" beginnt damit, dass Albert Ross (auch Loss, da er das R nicht aussprechen kann) und Edward Feathers auf dem Weg nach Hong Kong sind. Während der Reise teilt Edward seinem Freund mit, dass er einen Heiratsantrag gemacht hat und davon ausgeht, dass er bald heiraten wird. Jane Gardam kehrt also, nachdem sie im ersten Band Edward Feathers nach Bettys Tod über seine Geschichte zu sich finden hat lassen, wieder zum Anfang zurück. Der Leser lernt nun Betty kennen, als eigenständige, interessante, soziale und leidenschaftliche Frau, die schnell bereut, Eddies kühlen, sachlichen Heiratsantrag angenommen zu haben. Auf einem Empfang trifft sie Terry Veneering, den Erzrivalen ihres zukünftigen Mannes, für den sie eine lebenslang aufflackernde Leidenschaft begleiten wird. Albert Ross kommt dahinter und erinnert sie an ihr Versprechen, Edward nie zu verlassen, an das sie sich ihr Leben lang halten wird.

Obwohl Jane Gardam hier viele Ereignisse bereits zum zweiten Mal erzählt, ist die neue Erzählperspektive, die sich ergibt, wenn Betty die Ich-Erzählerin ist, so reich an zusätzlichen Informationen, dass sich kein einziges Mal Ermüdungserscheinungen einschleichen. Der Leser erfährt nun mehr über die Zeit in London, die Fehlgeburt Bettys und die mütterliche Liebe zu Veneerings Sohn, über die Liebe, die Edward und Betty trotz mangelnder Leidenschaft verbindet, bis er wieder an dem Tag angelangt ist, als Betty beim Gärtnern tot zusammenbricht.

Durch die neue Erzählperspektive erscheinen einige Tatsachen und Geschehnisse nun in einem anderen Licht. Jane Gardam hat fast die Geschichte der Geschichte neu erzählt, dabei der weiblichen Perspektive erlaubt, neue Farbtöne in die Geschichte zu bringen, die in Kombination mit dem ersten Roman dafür sorgen, dass man ein großartiges, anregendes Leseerlebnis hat. Während man schon im ersten Band vom erzählerischen Können Gardams begeistert war, merkt man hier zunehmend, wie virtuos verschachtelt sie ihre Geschichte neu ausleuchtet und dadurch gänzlich neue Perspektiven eröffnet.

Besonders stark auch der Schlussteil, nach Bettys Tod, als Terry Veneering nun zum Nachbarn Edward Feathers' auf dem Land geworden ist. Hier lässt die Autorin, anders als im ersten Teil, Veneering zur Sprache kommen, was die spät aufgeblühte Freundschaft der beiden auch um einige neue Facetten bereichert.

Die virtuose Verschachtelung der verschiedenen Zeitebenen, der britische kühle Humor, oder auch Ironie und Selbstironie, die Meditation darüber, was England und Commonwealth ausmacht(en); all das macht aus Jane Gardams Romantrilogie nicht nur eine großartig erzählte Geschichte einiger interessanter Protagonisten und einer starken, selbstbewussten Frau, sondern auch einen besonders beeindruckenden Roman über Hong Kong und das Empire, also nicht nur, aber geradezu ein Fest für alle anglophilen Leser. Die Übersetzung von Isabel Bogdan ist ausgezeichnet und fängt die Feinheiten des englischen Originaltexts farbenreich ein.

Man darf nun hoffen, dass der dritte Band rasch nachfolgen wird. Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 03/2016)


Jane Gardam: "Eine treue Frau"
(Originaltitel "The Man in the Wooden Hat")
Übersetzt von Isabel Bogdan.
Hanser Berlin, 2016. 271 Seiten.
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Jane Gardam wurde 1928 in North Yorkshire geboren.

Zwei weitere Bücher der Autorin:

"Letzte Freunde"
zur Rezension ...

"Ein untadeliger Mann"
Das bewegende Leben eines Mannes im British Empire - Jane Gardam erzählt es mit hinreißender Ironie und Warmherzigkeit.
Alles an Edward Feathers ist ohne Fehl und Tadel - seine Garderobe, seine Manieren und sein Ruf als Anwalt mit glänzender Karriere in Hongkong. Nun ist er alt und muss mit dem Tod seiner Frau Betty zurechtkommen, so wie er immer mit allem zurechtgekommen ist. Seine perfekte Haltung täuscht alle und manchmal sogar ihn selbst. Doch mit Bettys Tod bricht etwas in ihm auf, und behutsam beginnt Feathers, vergangene Ereignisse ans Licht zu holen. An einem kalten englischen Wintermorgen setzt er sich ans Steuer seines Wagens und fährt los, das eigene Leben zu erkunden. (Hanser Berlin)
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