Gerhard Falkner: "Apollokalypse"
Berlin,
drei Männer, der Teufel und die Erektion
Im Zentrum von "Apollokalypse", dem ersten Roman des 1951 geborenen
Lyrikers und Übersetzers Gerhard Falkner, steht definitiv
Berlin.
Das Berlin der 1980er- und 1990er-Jahre. Mauerfall und Wendezeit bieten
den Kontrapunkt zur Geschichte dreier junger Männer, die jenen
Typus repräsentieren, der die Sorglosigkeit der Kinder der
Nachkriegsgeneration geprägt hat. Alles geht, nichts ist
notwendig, die eigene Existenz darf ruhig die geplanten Wege verlassen,
um in eine Art "außerplanmäßiges
Existieren" zu schlittern. Drogen, Exzesse aller Art und sehr viel Sex.
Dass diese jungen Männer von allen möglichen
deutschen Städten in Berlin zusammenkommen, ist nicht
überraschend.
Der Titel des Romans, der eine Symbiose des Schönen (Apollo),
der
Verführung (Kalypso) und der unvermeidlichen
Zerstörung (Apokalypse) darstellt, sagt bereits viel
über den auf mehr als vierhundert Seiten ausgebreiteten Roman
aus, der, wie seine Darsteller, permanente Wechsel zwischen
Höhen und Tiefen hat.
Die drei jungen Männer sind schräge Typen und
teilweise sehr unsympathisch. Einen Bezug zu oder eine Identifizierung
mit einem der Protagonisten zu finden, ist, zumindest für den
Rezensenten, fast nicht möglich. Protagonist Eins ist ein
irgendwie sehr analfixierter Dandy, der auf dem
besten Weg zum seinen Charakter konterkarierenden Spießer
ist. Protagonist Zwei dafür schizophren und
künstlerisch ambitioniert. Dass er nicht gut enden wird, ist
von Anfang an klar. Protagonist Drei, der Ich-Erzähler, ist
ein extrem narzisstischer, getriebener, sexbesessener Kerl, der, und
dazu legt Gerhard Falkner genug Spuren, nicht nur
Stasi-Zuträger war, sondern anscheinend auch
RAF-Vergangenheit
aufzuweisen
hat. Eine mögliche Beteiligung an einem Anschlag
ist auch nicht ausgeschlossen. Das wird angedeutet, aber nie
ausgeleuchtet. Darum scheint es Gerhard Falkner auch nicht zu gehen.
Das Dunkle und Böse, das steht sowieso im Mittelpunkt dieses
nicht leicht zu lesenden Romans, denn zu diesem eitlen,
schrägen Trio gesellt sich, das verlangt die Symbolik ja
geradezu, ein Teufel dazu. Verführer,
Psychoanalytiker und unheimlicher Doppelgänger in
einem: Ist er Mefisto
höchstpersönlich?
Ein Doppelgänger, der die Rollen gehörig aus dem
Konzept bringt, wenn er andeutet, selbst Original zu sein und somit
auch der eigene Patient?
Die Sexualität, oder besser, der Sex, steht in diesem Roman
wortwörtlich überall. Denn die männlichen
Figuren erwecken den Eindruck, eine derart explosive Potenz zu
besitzen, dass dafür Waffenscheine ausgestellt werden
müssten. Gleichzeitig sind die weiblichen Figuren mit einer
Lüsternheit ausgestattet, die vielleicht in diesen Jahren, die
der Rezensent teilweise noch als Schulkind erlebt hat, an der
Tagesordnung standen? Vielleicht ein typisches Merkmal einer Zeit, die
noch nicht von Aids
belastet war. Nichtsdestotrotz auch
ermüdend, zumindest aus heutiger Sicht. Auf der einen Seite
gibt es da Isabel, die Frau aus dem Westen, eine Verkörperung
der Aphrodite vielleicht, extravagant, gut und schön. Auf der
anderen Billy (Biljana), die böse oder zumindest
bösartige Frau aus dem Osten. Klischee? Vielleicht.
Literarische Bezüge zu
Ovids
"Metamorphosen" finden sich ebenso wie Bezüge
zu
Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", die
gut integriert und sinnvolle Wegbereiter einiger im Roman auftauchender
Ideen sind.
Zu den wirklichen Stärken dieses Romans zählen die
Beschreibungen Berlins ebenso wie unzählige Szenen, in denen
sich zeigt, welche Sprachkunst Gerhard Falkner beherrscht. Nur passiert
hier auch das, was in der Kunst oft großen Künstlern
passiert, die vielleicht zu sehr auf Form, Ästhetik,
Instrumentation, Farben, Schattierungen und die gesamte
Präsentation ihres Kunstwerks schauen. Denn eine
Überfrachtung der Erzählstruktur durch allzu
ästhetisches Beiwerk, egal wie fein gearbeitet oder genau
konstruiert das sein mag, ist ebenso wie die vielleicht in gesonderter
Einzelbetrachtung wundervollste Szene einfach zu viel, wenn das, was
den berühmten Erzählstrang ausmacht, die narrative
Linie, zu sehr durch intellektuell ästhetisches Beiwerk
gedehnt wird. Die Ermüdung, welche sich während der
Lektüre breit macht, schadet dem Roman leider mehr, als die
wunderbaren Szenen positiv stimmen können.
Interessant ist auch, dass Gerhard Falkner möglichen
Einwänden im Voraus den Wind aus den Segeln zu nehmen
versucht. Seine Selbstbezichtigung, dass in seinem
erzählerischen Gewebe löchrige Momente
aufkämen und die Sexbesessenheit überhandnehme, ist
zwar ganz witzig, nur ist diese im Sinn einer erzählerischen
Funktion eigentlich nicht nachvollziehbar.
Auf Seite 106 heißt es, der Unterschied zwischen der neuen
Architektur und der neuen Literatur bestehe darin, dass man schlechte
Bücher einfach in die Ecke feuern kann, während wir
mehr oder weniger akzeptieren müssen, dass schlechte
Häuser einfach da sind und man die dadurch entstandene
Belästigung hinnehmen muss. "Apollokalypse" ist definitiv kein
schlechtes Buch, sicherlich nicht. Dafür sind die Ideen, die
Wendungen, die Auswege und Aussichten zu stark. Ebenso ist Gerhard
Falkners Prosa viel zu beeindruckend, um diesen Roman auch nur
annähernd als schlecht zu empfinden. Aufgrund der
Überfrachtung ist "Apollokalypse" jedoch ein Roman, den man
das eine oder andere Mal in die Ecke feuern möchte, es jedoch
nicht tut. Mehrmaliges Lesen ist sicherlich von Vorteil, um zwischen
all dem Beiwerk, der Dauererektion und den vielen
Verästelungen an den ästhetischen Verzierungen
wirklich die narrative Linie befreien zu können. Und dann
zahlt sich die Lektüre tatsächlich aus.
(Roland Freisitzer; 09/2016)
Gerhard
Falkner: "Apollokalypse"
Berlin Verlag, 2016. 428 Seiten.
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Gerhard Falkner, geboren 1951, zählt zu den bedeutendsten Dichtern der Gegenwart. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände, u. a. "Hölderlin Reparatur", für den er 2009 den "Peter Huchel-Preis" erhielt, und zuletzt den Gedichtband "Ignatien" (2015), mit Bildern von Yves Netzhammer. Für seine Novelle "Bruno" bekam er 2008 den "Kranichsteiner Literaturpreis". Er gehört zu den meistausgezeichneten deutschsprachigen Autoren mit Aufenthalten in der "Villa Massimo" ("Casa Baldi") und der "Akademie Schloss Solitude". Er war 2013 der erste Fellow für Literatur in der neugegründeten "Kulturakademie Tarabya" in Istanbul und zuletzt, 2014, Stipendiat in der "Villa Aurora" in Los Angeles, Kalifornien. Er lebt in Berlin und Bayern.