Marcellus Emants: "Ein nachgelassenes Bekenntnis"


"Was ein Mensch für Wahrheit hält, ist doch nur für ihn selbst vollkommen wahr." - Zwischen Wahn und Realität

Marcellus Emants, geboren 1848 in Voorburg in den Niederlanden, schuf mit seinem Roman "Ein nachgelassenes Bekenntnis" ein psychopathologisches Profil des Willem Termeer, der in einem Meer von Leidenschaften, Angst und Neid hilflos vor sich hintreibt und sich stetig weigert, das Eigene Ich zu akzeptieren.

Willlelm Termeer, so scheint es, lebt ihn seiner eigenen Welt. Was ist Wahrheit, und was ist Lüge? Mit dieser Frage ist der Leser von Willem Termeers Lebensgeschichte ständig konfrontiert. Der Protagonist beginnt sein Buch mit einem Mordgeständnis. Wahl scheint ihm hier keine zu bleiben, denn er verspüre diese Lust, von alldem was geschehen gewesen sei, zu berichten. Er beichtet nicht nur. Er unterbreitet dem Leser eine Rechtfertigung für die Tat, Einflüsse, die ihn zwangsläufig zum Mord veranlassten. Auf der Reise zum eigenen Ich scheint Termeer schonungslos und erbarmungslos seine vermeintliche Wirklichkeit offenzulegen.

Doch klären wir zuerst die Fakten: Wer ist Willem Termeer? Willem Termeer ist der Sohn reicher Eltern. Seine Mutter ist eine gehässige, kaltherzige, eitle Frau. Sein kränklicher und jähzorniger Vater stirbt in einer Nervenheilanstalt. Seine Einschulung empfindet er als kräftezehrend. Überall um sich herum sieht er die Feindseligkeit in den Augen der Menschen. Er sei wie das schwache Kaninchen gewesen, das man zusammen mit wilden Tieren in einen Käfig gesetzt hätte. Nach dem Tod seiner Eltern bricht Termeer sein Studium ab und lebt seine Gelüste aus. Er heiratet Anna und tritt in die Fußstapfen seiner Eltern. Auf der Suche nach Glückseligkeit und Liebe fühlt er sich schlussendlich doch gefangen in der Ehe mit seiner Frau, ist geplagt von Jähzorn und Eitelkeit, sieht überall Feindseligkeit und Spott ihm gegenüber. Schließlich bleibt ihm nichts weiter, als sich von diesem leblosen Klotz am Bein namens Anna zu befreien. Denn frei zu sein bringt ihn näher zu Carolien.

Ist dies alles wahr? Bleibt ihm keine andere Möglichkeit? Ist Willem Termeer das Opfer einer ihm feindlich gesinnten Gesellschaft? Er selbst weiht den Leser ein: "Was ein Mensch für Wahrheit hält, ist doch nur für ihn selbst vollkommen wahr."
 
Eines fällt auf in diesem Roman: Der Protagonist ist gefangen zwischen Wahn und Selbstzweifeln. Er ist geplagt von Minderwertigkeitskomplexen, die geschürt wurden von der Teilnahmslosigkeit und Verurteilung seiner Eltern. Er neigt zu Übertreibungen und farbenfrohen Ausschmückungen. Seine Zukunft sieht er als Schriftsteller und wird bitter enttäuscht, als sein Werk, eine Offenlegung seines Charakters, von einem Verlag abgelehnt wird. Schnell gibt Willem Termeer seinen Versuch auf, bis er schließlich den Mord an seiner Frau auf Papier gesteht. Seine Minderwertigkeitskomplexe lassen ihn in Selbstmitleid baden. Eitelkeit und Egoismus empfindet er als eine schreckliche Krankheit, die ihn befallen hat. Nichts kann ihn zufriedenstellen. Nichts kann ihn glücklich machen. Nichts kann die Leere füllen. Er ist ein Opfer, dem keine Wahl bleibt.

Marcellus Emants wird als Naturalist verstanden. Wie aber J.M. Coetzee, südafrikanischer Schriftsteller und Literat, im Nachwort treffend anmerkt, lässt Emants' detailreiche Milleubeschreibungen vermissen, und auch sein Pessimismus entspricht nicht dem Genre der Naturalisten. Emants' Themen drehen sich um unglückliche Ehen und enttäuschte Liebe, wofür "Ein nachgelassenes Bekenntnis" ein Paradebeispiel darstellt. Marcellus Emants ist vielmehr ein Kind der Tachtiger, einer literarischen Bewegung in den Niederlanden der 1880er-Jahre. Als Anhänger der Psychopathologie bricht er mit den literarischen Traditionen seiner Zeit und kreiert 1894 mit "Ein nachgelassenes Bekenntnis" ein Werk, das scharfzüngig und gesellschaftskritisch seinen Protagonisten und den Leser verzweifelt nach Wahrheit und Erkenntnis suchen lässt.
Was ist Wahn, und was ist Realität? Diese Frage hallt wie ein Echo bis zum letzten Wort des Romans wider.

(Sabrina Brugner; 10/2016)


Marcellus Emants: "Ein nachgelassenes Bekenntnis"
(Originaltitel "Een nagelaten bekentenis")
Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. Nachwort von J. M. Coetzee.
Manesse, 2016. 320 Seiten.
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Marcellus Emants wurde 1848 als Sohn eines Richters in Voorburg bei Den Haag geboren. Das Jurastudium gab er nach dem frühen Tod seines Vaters zugunsten einer Schriftstellerlaufbahn auf. Selbst dreimal verheiratet, war sein bevorzugtes Thema die enttäuschte Liebe und unglückliche Ehe.