Lisa Randall: "Dunkle Materie und Dinosaurier"

Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums


Die führende theoretische Forscherin bringt Licht ins Dunkel

"Ob eine dunkle Scheibe existiert, werden wir nur dann wissen, wenn wir zunächst einmal annehmen, dass es so ist, und dann herausfinden, ob die Annahme zulässig ist. Am Ende haben alle gewonnen."
(S. 391)

Fürwahr, erstaunlich sind die Zusammenhänge des Universums, ob große, ob kleine, vermeintliche oder tatsächliche. In ihrem vierten Buch nimmt die renommierte us-amerikanische Physikerin Lisa Randall den Leser mit auf eine Zeitreise durch das uns heute bekannte Universum und lässt ihn am Abenteuer der zeitgenössischen Forschung teilhaben. Komplizierte und komplexe Wissenschaftsgebiete auf möglichst griffige Weise einer interessierten Allgemeinheit zugänglich zu machen, lautet die Devise der am 18. Juni 1962 geborenen Forscherin, sobald sie populärwissenschaftliche Verkaufsschlager verfasst oder als gern gesehener Gast in Fernsehgesprächsrunden auftritt. Darüberhinaus hat Lisa Randall auch bereits zahlreiche anerkannte wissenschaftliche Veröffentlichungen vorgelegt und nimmt als gefragte Vortragende an fachspezifischen Tagungen teil.

Die vor 66 Millionen Jahren ausgestorbenen Dinosaurier stehen allerdings nicht so sehr im Mittelpunkt der Ausführungen, wie es der Buchtitel vermuten lassen würde (lediglich stellenweise kommen Dinosaurierliebhaber auf ihre Kosten), und die bisweilen launigen Vergleiche, Analogien und USA-spezifischen Bezüge der selbstbewussten Physikerin mögen in ihrer Heimat auf Verständnis treffen, im deutschsprachigen Raum wirken manche davon seltsam (z.B. die angeblich vorgefallene Verwechslung von "Kosmologin" und "Kosmetikerin" oder die Erwähnung einer nur in den USA bekannten Fernsehköchin). Stilistisch erinnert die Machart des Buches an jene rasant geschnittener Fernsehdokumentationen, die unter einprägsamen Titeln abwechslungsreich Vermischtes zu bestimmten Themen streifen, solcherart Schulwissen auffrischen, zusätzliche Ein- und Überblicke verschaffen und den Sprachschatz der Allgemeinheit um faszinierende Modevokabel erweitern.
Die von Lisa Randall, die sich nicht gerne mit ihrem Pionierdasein als Frau im Wissenschaftsbetrieb konfrontiert sieht, und ihren Kollegen Matthew Reece, JiJi Fan und Andrey Katz in den Blickpunkt gestellte, seit 2013 entwickelte, derzeit spekulative Theorie wurde und wird in Fachkreisen skeptisch bis enthusiastisch aufgenommen und diskutiert.

"Wenn wir recht haben, lag der Auslöser für den Einschlag eines 15 Kilometer großen Asteroiden vor 66 Millionen Jahren in dem Gravitationseinfluss einer Scheibe aus dunkler Materie, die sich in der Mittelebene der Milchstraße befindet." (S. 395)

Warum aber "Dunkle Materie und Dinosaurier"? Übrigens sei dunkle Materie keineswegs "dunkel", sondern "transparent", so die Autorin, und diese dunkle, nicht mit Licht interagierende Materie mache 85 Prozent der Materie im Universum aus. Lisa Randall und ihre Mitarbeiter vermuten das Vorhandensein einer Scheibe dunkler Materie in der Milchstraße, die für die Flugbahn jenes Kometen verantwortlich gewesen sein könnte, dessen Einschlag nach heutiger Lehre einst das Aussterben der Dinosaurier zur Folge hatte, und die Erwähnung von Dinosauriern erregt bekanntlich stets Aufmerksamkeit.
Ein interessanter Ansatz, und diesem geht die Expertin für Teilchenphysik, Stringtheorie und Kosmologie in ihrem Buch ebenso umfassend wie ausführlich auf den Grund, Lisa Randall ermittelt sozusagen abstrakt in alle Richtungen. Freilich ist ihr bewusst, dass die kommenden Jahre zusätzliche weitreichende wissenschaftliche Erkenntnisse bringen werden, welche die Gültigkeit mancher Hypothesen bestätigen oder verneinen können.
Die Forscherin erläutert die heutzutage allgemein anerkannten Fakten über die Entwicklungen vom Urknall bis zum heute sichtbaren Zustand des Universums und wagt sich dabei wie erwähnt weit hinaus.

Es geht also um Beobachtungen, Indizienketten, Rechenmodelle und Messungen, um kosmische Hintergrundstrahlung, dunkle Energie und dunkle Materie, um die kosmische Inflation, allerlei Begriffsklärungen, die Urknalltheorie, um verschiedene Himmelskörper, um die Evolution des Universums, speziell um unser Sonnensystem, um die Umlaufbahn der Sonne durch die Ebene der Milchstraße, um Galaxien, Gravitation und Gezeitenkräfte der Milchstraße, um die Oort-Wolke, um Weltraumteleskope und Raumsonden, um die Ursprünge des Lebens auf der Erde, um die Periodizität von Bombardements aus dem All und dadurch verursachte Aussterbeereignisse, um Einschlagkrater (vor allem um den 66 Millionen Jahre alten Krater vor Yucatán, Chicxulub) und um Methoden zur Suche nach dunkler Materie.

Die Strukturierung in übersichtliche Kurzkapitel sowie gelegentlich eingeflochtene Erlebnisberichte und Anekdoten von Zusammentreffen mit anderen Wissenschaftern und Laien tragen zur Lesefreundlichkeit bei, einige Abbildungen veranschaulichen zudem das Beschriebene, und neugierweckende bis zugkräftig klingende Kapitelüberschriften laden zum Schmökern ein. Einige Beispiele: "Die Dunkle-Materie-Geheimgesellschaft", "Schock und Ehrfurcht", "Rasende Kometen aus der Oort-Wolke", "Die Materie der unsichtbaren Welt", "Die Suche nach der dunklen Scheibe".

Fazit:
Ein ambitioniertes Sachbuch, das unter einem vermarktungstechnisch gut gewählten Titel angesichts des sperrigen Themas verhältnismäßig kurzweilig über den aktuellen Stand der kosmologischen Forschung sowie gegenwärtig laufende Wissenschaftsprojekte informiert. Überdies stellt die Professorin für theoretische Physik an der Universität Harvard in Cambridge, Massachusetts dem Leser auf unbeschwerte Weise auch derzeit neue Hypothesen vor.

Goethe schrieb einst so treffend unter dem Titel "Parabase" über den menschlichen Forschergeist:
"Freudig war, vor vielen Jahren,
Eifrig so der Geist bestrebt,
Zu erforschen, zu erfahren,
Wie Natur im Schaffen lebt.
Und es ist das ewig Eine,
Das sich vielfach offenbart:
Klein das Große, groß das Kleine,
Alles nach der eignen Art;
Immer wechselnd, fest sich haltend,
Nah und fern und fern und nah,
So gestaltend, umgestaltend -
Zum Erstaunen bin ich da."

(kre; 06/2016)


Lisa Randall: "Dunkle Materie und Dinosaurier.
Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums"

(Originaltitel "Dark Matter an the Dinosaurs:
The Astoundig Interconnectedness of the Universe")
Übersetzt von Sebastian Vogel.
S. Fischer, 2016. 459 Seiten.
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