Sven Hänke: "Nackte Hochzeit"
Wie ich China lieben lernte
Über
den kulturellen Hürdenlauf, nackt zu heiraten, und den
deutsch-chinesischen Kulturzusammenprall
Wir allen kennen sie, die farbenprächtigen Fotos in
China-Reiseführern und die Berichte über für
europäische Mägen ungewöhnliche Speisen.
Chinesische Festivitäten haben die Gewohnheit, voller Farben
und Lebensfreude zu sprühen. Der Stolz auf die
jahrtausendealte Zivilisation versetzt so manchen Touristen in Staunen.
All das und noch viel mehr macht die Magie Chinas aus.
Das 21. Jahrhundert wirft ein ganz anderes Licht auf das Land des
Orients. Über die Großstädte sind dichte
graue Wolkendecken gelegt. Rauchschwaden, eine Konsequenz der
blühenden Industrie, hüllen die Menschen auf den
Straßen ein. Die Stadt bedeutet in China Fortschritt, auch
wenn dieser sozusagen auf dem Rücken der Umwelt stattfindet.
Das Land bedeutet Stillstand, beruflich und ökonomisch, umso
verständlicher ist der hohe Bevölkerungsanteil in den
Städten. Über die Politik in China - nun ja -
über die sollte man wirklich erst dann reden, wenn man eine
Ahnung davon hat. Kommunismus hin oder her, China pflegt eine sehr
bipolare Politik im In- und Ausland.
China. Das Land der
Mitte. Das Land des Orients.
Das Land des Fortschritts. Doch was steckt eigentlich dahinter?
Wer
sind die Menschen, die dieses Land bewegen? Und wie lernt man
es, diese
Menschen und ihre Kultur zu lieben? |
"Bofu sieht mich streng an. Das sonst so heitere Gesicht unter seinem akkuraten Bürstenhaarschnitt verfinstert sich. Bis vor wenigen Sekunden hatte er meine vorübergehende Sprachlosigkeit wohl noch für einen schlechten Scherz gehalten. Aber jetzt lächelt er nicht mehr. Auch der Moderator der Feier, der irritierenderweise aussieht wie eine asiatische Variante des jungen Ulli Potofski und der zuvor durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, schafft es nur noch mit Mühe, sein professionell eingefrorenes Lächeln weiter aufrechtzuerhalten. Bislang war er sehr souverän. Als ich mich bei dem Versuch, mit einer hölzernen Waage Dingdings Schleier zu lüften, ausgesprochen ungeschickt angestellt hatte, blieb er ruhig. Irgendwie schaffte er es, dass der ganze Saal meine Tollpatschigkeit für einen Teil der Show hielt. Als ich mich seiner Anweisung widersetzte, beim Kotau mit den Knien etwas näher an Bofu heranzurutschen, ignorierte er das einfach." (Beginn des Buchs) |
So kann man die Beliebtheit des Namens "Hitler" einem allgemeinen
Unwissen zuschreiben. Die Begeisterung für
Fußballvereine Deutschlands scheint allerdings eine
Bildungslücke im Bereich der Geschichte auszugleichen. Trotz
dieser Umstände, über die so mancher
Europäer nur den Kopf schütteln kann, fällt
es einem nicht schwer, sich für das Land China und seine
Bewohner zu begeistern.
Eine Bewohnerin hatte es dem Autor besonders angetan. Ding Wu Ding,
oder vom Autor liebevoll Dingding genannt, hat mit ihrer offenen und
selbstbestimmten Art seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dingding
konnte aus einem unerfindlichen Grund dem Sarkasmus des Autors
ebenfalls etwas abgewinnen. Nun war es an Sven Hänke, sein
Gesicht auf traditionell chinesische Weise zu bewahren. Vor Dingding
und der gesamten Familie. Es galt nicht nur,
überflüssige Bescheidenheit der Verwandtschaft zu
ignorieren, sondern auch keine Anstrengungen und Mühen zu
scheuen, um das Herz jener zu erobern. An und für sich kein
Problem, gäbe es da nicht sprachliche und kulturelle
Differenzen zwischen Deutschland und China.
Der Stammbaum einer Familie beinhaltet, anders als im Deutschen, nicht
nur die Namen der Familienmitglieder, sondern auch die
jeweilige höfliche Bezeichnung, welche die Position in der
Familie zeigt. So wird etwa die Mutter des Vaters "Nainai" genannt und
der Vater des Vaters "Yeye". Dann waren da noch der ältere
Bruder des Vaters oder der jüngere Bruder und dessen
Ehefrauen, die Cousins, Nichten und Neffen, Tanten und Onkel
mütterlicher und väterlicherseits. Sie alle
beanspruchen ihren eigenen "Titel". Wollte man sein Gesicht bewahren,
musste man diesen kulturellen Hürdenlauf der Bezeichnungen
bestehen. Außerdem mussten Dingding und Sven nackt heiraten,
was bedeutete, dass man dem Zuspruch der Familie nicht entkommen konnte.
Mit Charme und ironischem Unterton erzählt Sven Hänke
von seinen Erlebnissen in China. Von den Essensgewohnheiten und der
Seegurke, die kulturelle Traumata auslösen kann, bis zur
Zensur und Harmonie in den Medien erläutert der Autor seine
subjektiven Eindrücke - sprachliche Barrieren
miteingeschlossen. Man darf keine politischen Diskussionen oder
Erörterungen über die chinesische Gesellschaft
erwarten, sondern sollte diese Buch mit Humor und Gelassenheit
genießen. Die Lektüre bietet einen unterhaltsamen
und manchmal überspitzten Zusammenprall der Kulturen und
lässt den Leser oft schmunzeln.
Fazit:
Für Chinaliebhaber und Weltoffene ein amüsantes Muss.
(Sabrina Brugner; 01/2016)
Sven
Hänke: "Nackte Hochzeit. Wie ich China lieben lernte"
Rowohlt Berlin, 2015. 256 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Sven
Hänke stammt aus Brunsbek in der Nähe von Hamburg.
Nach dem Studium ging er nach
China, um dort an der
Universität Deutsch zu unterrichten. Dort traf er seine
spätere Frau - und blieb fünf Jahre länger
als geplant. Als Blogger wurde er bald zu Chinas
bekanntestem Deutschlehrer. Fünfzigtausend Abonnenten folgen
seinem Weibo-Mikroblog. Heute lebt Sven
Hänke mit seiner Frau in Berlin.
Weitere Buchtipps:
Mai Jia: "Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong"
Alles beginnt Ende des 19. Jahrhunderts mit Großmutter Rong.
Um die Kunst der Traumdeutung zu erlernen, schickt die Matriarchin
ihren Enkel ins Ausland - und dieser kommt als moderner Mann wieder.
Aus der Salzhändlerdynastie Rong wird eine Familie von
Mathematikern, in die einige Generationen später Jinzhen
hineingeboren wird. Der Junge mit dem übergroßen
Kopf ist von einer fast mythischen Aura umgeben, denn er versteht die
Welt der Zahlen wie kein Anderer. Mitte der 1950er-Jahre gelingt es
ihm, für den chinesischen Geheimdienst einen als
undechiffrierbar geltenden Code zu brechen, und er wird als
Nationalheld gefeiert. Doch dann taucht ein noch schwierigerer Code auf
und droht, ihn in den Abgrund zu ziehen ... Wie kein Zweiter vermag es
der Erfolgsautor Mai Jia, das rätselhafte Leben eines
tragischen Genies einzufangen und mit großem epischem Atem in
all seinen Schattierungen darzustellen. (DVA)
Buch
bei amazon.de bestellen
Ma
Jian: "Die dunkle Straße"
Weit entfernt vom chinesischen Wirtschaftswunder und von den hellen
Lichtern von Peking und Schanghai liegt ein riesiges
ländliches Hinterland, das die brachialen Folgen von
Industrialisierung und Ökonomisierung zu tragen hat. Dort
leben die Bäuerin Meili und ihr Mann Gongzi, ein Nachkomme von
Konfuzius
im siebzehnten Glied. Die beiden wollen neben ihrem ersten
Kind, einem Mädchen, einen Sohn, um das Erbe fortzusetzen. Da
ihnen die Behörden, die für alle die Einkindehe
vorschreiben, mit Zwangssterilisation drohen, fliehen sie. Auf dem
Jangtse, einem letzten Hort staatlicher Unorganisiertheit und mithin
gewisser Freiheiten, führen sie ein illegales
Tagelöhner- und Flussnomadenleben. Jahrelang schlagen sie sich
auf vergifteten Gewässern und in ruinierten Landschaften
durch, bevor sie schließlich mit drei Kindern auf einem
Müllplatz für die Ausschlachtung westlichen
Elektronikschrotts landen ...
Bei Ma Jian stehen die einfachen Menschen im Vordergrund und ihre
dramatischen Schicksale im Zuge eines gewaltigen politischen Umbruchs.
Sein erschütternder Roman über ihr Leben ist
Geschichte von unten; es ist auch die Geschichte des Jangtse, seiner
ökologischen Krisen durch Staudammbau und Begradigung; es ist
die Geschichte der chinesischen Industrialisierung und des Preises, den
die Menschen dafür zu zahlen haben - ein ungeschminktes,
schockierendes Porträt von China im Wandel. (Rowohlt)
Buch
bei amazon.de bestellen
Timothy
Brook: "Wie
China nach Europa kam. Die unerhörte Karte des Mr. Selden"
Wer China heute verstehen will, der muss den Blick zurück an
den Beginn seiner Machtentfaltung richten, den Moment, als China mit
der modernen Welt in Berührung kam. Diesen tiefgreifenden
Wandel bildet eine unglaubliche, erst im Jahr 2009 wiederentdeckte
Karte voller faszinierender Details ab.
Über 400 Jahre lang liegt eine riesengroße Karte
Chinas, ein handgezeichnetes, mit Blumen und Schmetterlingen
ornamentiertes Einzelstück, unbeachtet im Keller einer
Bibliothek in Oxford. Als der China-Spezialist Timothy Brook sie im
Jahr 2009 findet und sofort anfängt, sie zu untersuchen, gibt
sie ihm zunächst immer mehr Rätsel auf.
Der Forscher wird zum Detektiv, der herausfinden will, warum die Karte
gleichzeitig so perfekt, exakt und modern wie grundverkehrt ist. Der
Leser schaut dem Wissenschaftler über die Schulter, wie er die
Geheimnisse der Karte schrittweise entschlüsselt. Er kommt dem
britischen Entdecker der Karte im 17. Jahrhundert auf die Spur, dem
mutigen und hochgebildeten Menschenrechtsanwalt, Orientalisten und
Poeten John Selden. Er lernt Michael Shen kennen, alias Shen Fuzong,
den ersten chinesischen Besucher des englischen Hofs, der zum
Katholizismus übertrat und die Karte unter die Lupe nahm,
bevor sie in Vergessenheit geriet.
Mit Hilfe dieser kuriosen Geschichten wird die Zeit des 17.
Jahrhunderts plastisch, eine Epoche, in der die Beziehungen in Kultur,
Wissenschaft und Handel zwischen China und Europa ihren Anfang nahmen.
(Klaus Wagenbach)
Buch
bei amazon.de bestellen
Sabine
Knight: "Die
chinesische Literatur. Eine Einführung"
In ihrer kurzen Geschichte der chinesischen Literatur gibt Sabina
Knight einen kompakten Überblick darüber, wie sich
die jahrtausendealte Literatur Chinas vom Altertum bis in die
Gegenwart
entwickelt hat. Sie beschreibt, welch zentrale Rolle die literarische
Kultur in Gesellschaft und Politik spielte und wie eng das Band war,
das ästhetische und ethische Lehren verknüpfte. Die
Darstellung der erzählenden und der lyrischen Gattungen steht
im Vordergrund, darüber hinaus werden Philosophie
und
Geschichte Chinas, Oper und Theater angesprochen.
Der eigentliche, scharf umrissene Literaturbegriff entwickelte sich in
China erst im späten 19. Jahrhundert. Dieses Buch
trägt dem breiter gefassten traditionellen chinesischen
Verständnis vom geschriebenen Wort Rechnung; darin werden die
Literatur, die Geschichte und das chinesische Denken als Teile eines
gemeinsamen Ganzen begriffen. (Reclam)
Buch
bei amazon.de bestellen
Bi Feiyu: "Sehende Hände"
Als der blinde
Masseur Wang Daifu mit einer Freundin, aber mittellos
und ohne Perspektive in seine Heimatstadt Nanjing zurückkehrt,
kann er bald Hoffnung schöpfen: Sein alter Freund von der
Blindenschule, der ehrgeizige, belesene Sha Fuming, heuert ihn als
Therapeuten in seinem Tuina-Massagesalon an. Abends schlafen Wang
und
seine Freundin im nahegelegenen Wohnheim, in dem alle Mitarbeiter
nächtigen, Frauen und Männer getrennt. Geschichten
von Liebe, Freundschaft und Eifersucht entspinnen sich rund um die
Mitarbeiter, zu denen nun auch noch Du Hong stößt,
die eigentlich Pianistin werden wollte und von großer
Schönheit ist. Für Wang aber reißen die
Sorgen nicht ab: Kaum verdient er wieder Geld, muss er für
seinen Bruder alles riskieren, da dieser sich erpressbar gemacht
hat.
25 Jahre hat der große chinesische Schriftsteller
recherchiert und das Thema der blinden Masseure mit sich
herumgetragen,
bevor er sich an diesen Roman wagte, der uns mit seinen plastischen
und
berührend beschriebenen Verwicklungen in das Leben im modernen
China hineinzieht. (Blessing)
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Rainer
Kloubert: "Peking. Verlorene Stadt"
Mit "Peking" beschließt Kloubert nach "Peitaiho" und
"Yuanmingyuan" seine China-Trilogie: In scharfem Kontrast zur
Realität des 21. Jahrhunderts mit seinen Hochhäusern
und Schnellstraßen führt der Erzähler in
die alte Kaiserstadt mit ihren Mauern und Toren, Türmen und
Palästen,
ihren Gärten, Höfen,
Häusern und Straßen, in ihre Restaurants, Spelunken,
Läden und Bordelle, zu ihren Bewohnern und ihren Ritualen.
(Elfenbein)
Buch
bei amazon.de bestellen