Mircea Cărtărescu: "Die schönen Fremden"

Erzählungen


Der Autor als junger Mann

Die neueste Veröffentlichung des wahrscheinlich wichtigsten lebenden rumänischen Autors Mircea Cărtărescu, "Die schönen Fremden", ist ein Band mit drei Erzählungen, die eine fast gänzlich andere Seite seines Schaffens zeigen als jene, welche die bisher veröffentlichten Romane der "Orbitor Trilogie" (bestehend aus "Die Wissenden", "Der Körper", "Die Flügel") oder auch "Nostalgia" oder "Travestie" gezeigt haben. Sein akribisches Durchleuchten verschiedener Realitätsebenen, das Schöpfungsgeschichte, Politik und diverse Erinnerungen mit fantastischem Surrealismus verschmelzen lässt, ist in diesen drei Erzählungen hintenangestellt. Bei der Lektüre dieser drei Texte meint man fast, den Autor in einem Moment ertappt zu haben, in dem er sich einer ideologisch verpönten Sehnsucht hingibt, nämlich dem Schreiben eines witzigen Textes.

Inwieweit diese Texte autobiografisch sind oder nicht, ist allerdings schwer zu sagen. Auch wenn jeder dieser Erzählungen eine Episode aus dem vermeintlich wirklichen Leben des Autors zugrundeliegt. Doch so, wie bereits Max Frisch in seinem großartigen "Gantenbein" gezeigt hat, ist die Realität immer jene, die man sich selbst erfindet.

Die erste der drei Erzählungen zeigt Cărtărescus Reaktion auf den Erhalt eines ominösen Briefes aus Belgien, in dem er, ganz dem damaligen Zeitgeschehen verpflichtet, das tödliche Gift Anthrax vermutet. Auch wenn nicht ganz verständlich ist, wieso sich der Protagonist, alter ego oder höchstpersönlich, so paranoid verhält, die Folgen dieser Schrulligkeit sind erheiternd zu lesen. Cărtărescus Prosa, kongenial von Ernest Wichner übersetzt, führt durch die kafkaeske Bürokratie der rumänischen Polizei, durch leere Gänge, mit korrupten und unfähigen Polizisten, die ihre Tätigkeit offensichtlich nur dazu nutzen, um ihren Frauen beispielsweise neue Zähne zu schenken. Seine literarische Ohrfeige für die Polizei Rumäniens ist wirklich witzig, man kann sich zumindest ein Schmunzeln nicht verkneifen. Nicht ganz einleuchtend bleibt am Ende die Frage, warum es der fiktive Cărtărescu überhaupt so weit hat kommen lassen, obwohl die Literatur die Frage nach einer klärenden Antwort ja nicht wirklich stellt.

Die zweite Erzählung beschäftigt sich mit einer Reise, die Cărtărescu als Teil einer elitären Gruppe von rumänischen Literaturschaffenden nach Frankreich führt. Auch hier bestimmen Peinlichkeiten und absurde Vorkommnisse das Geschehen, während die Gruppe kreuz und quer durch Frankreich reist. Kulturelle Unterschiede, welche die versuchte Wertschätzung zu Erniedrigungen verkommen lässt. Das Bild, das die Franzosen von Rumänen haben, das miserable Essen, das unwissende Publikum und die unfreundlichen Betreuer. All das, genauso wie das Gefühl, als einer von zwölf eingeladenen Literaten "nur" ein "Dutzendautor" zu sein, verletzt das Ego des Protagonisten. Lediglich die Erinnerung an die Reise, als man als junges Genie mit geschätzten Kollegen durch Frankreich gereist ist, ist schön.
Dass diesem Text ein wichtiger Bestandteil fehlt, um bei der Gratwanderung zwischen Humor und einem Zustand, den man in Österreich "Sudern" nennt, beim Humor zu bleiben, ist schade. Hier wäre ein wenig Selbstironie, es muss ja wirklich nicht viel sein, hilfreich gewesen. Auch wenn Cărtărescu sich selbst, bzw. sein alter ego, wahrscheinlich sogar sehr bewusst als narzisstisch gestörten Künstleregomanen darstellt.

In der dritten Erzählung begibt sich der noch ganz junge Mircea Cărtărescu auf eine Lesereise durch die rumänische Provinz, die ihm zu Ruhm und Ehre verhelfen soll. Seine Vorstellungen von üppigen Festbanketten und schüchternen, nach Autogrammen lechzenden Verehrerinnen werden rasch durch die Realität zunichte gemacht, die sich als nächtliche Autofahrt mit betrunkenem Lenker entpuppt, und statt schüchternen Verehrerinnen will man ihm eine abgetakelte, picklige Provinzhure als Überraschungsgeschenk darbieten.

So bleibt am Ende dieses Erzählungsbandes ein leider etwas gedämpftes Gefühl zurück. Da sind einerseits der gelungene Anfang sowie die durchgehend großartige Prosa, die den Leser auch in den doch immer wieder auftretenden mühsamen Momenten durchhalten lässt. Andererseits gibt es jene Momente, die, ohne die Schärfe der wirklich selbstironischen Brille, zu etwas lauen und doch nervenden Egotrips werden. Hier ist, auf gewisse Art und Weise, eine unglaubliche Nähe zu Karl-Ove Knausgård und Tomas Espedal zu spüren.

Mircea Cărtărescu ist einer der ganz großen europäischen Autoren. Ob Humor seine Stärke ist, sei dahingestellt. Vielleicht liegt der Mangel ja auch beim Rezensenten. Cărtărescu muss man lesen, keine Frage. "Die schönen Fremden" zu lesen, tut trotz aller Bedenken und Ärgernisse irgendwie auch gut, weil man sieht, dass selbst dieser Meister nicht frei von den üblichen Problemen ist, mit denen sich man als schaffender Künstler herumplagt. Das beruhigt. Von dieser Seite aus betrachtet, dringt man ganz tief in die Persönlichkeit des Autors ein. Und das ist ziemlich starker Tobak. Ob es einem gefällt, oder nicht.
Deshalb, eindeutig, absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 02/2016)


Mircea Cărtărescu: "Die schönen Fremden. Erzählungen"
(Originaltitel "Frumoasele straine")
Übersetzt aus dem von Rumänischen von Ernest Wichner.
Zsolnay, 2016. 301 Seiten.
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