Karel Čapek: "Der Krieg mit den Molchen"


Ein Gleichnis der menschlichen Unreife und der Reifung eines Buches

Gestern erschienen - heute gefeiert - morgen vergessen. Man versuche, sich an die Träger renommierter Literaturpreise und an aktuelle Verkaufsranglisten zu erinnern - besser: man rufe die entsprechenden Listen der letzten Jahre im vergessensfreien weltweiten Netz ab. Doch die Frage nach der Nachhaltigkeit einer Auszeichnung bleibt damit unbeantwortet. Welches der prämierten Werke wird in zwanzig Jahren noch in Bibliotheken oder gar in fünfzig Jahren in Anthologien für den Schulgebrauch zu finden sein?
Dem Rezensenten geht es dabei nicht um das Herbeijammern von Klassikern der zeitgenössischen Literatur, wohl aber um Überlegungen zu einer epochenübergreifenden Lektüre und Wertschätzung von Meisterwerken.

Anno 1936 schrieb der tschechische Schriftsteller Karel Čapek diesen in seiner tschechischen Heimat unvergessenen Roman "Der Krieg mit den Molchen"; er verweist trotz der - oder eher gerade durch die satirische - Verfremdung klar auf die damaligen politischen Machverhältnisse und Bedrohungen. Als Dystopie mit realistischen Elementen trägt das Buch auch deutliche Züge der literarischen Science Fiction der Vorkriegszeit.

Eine Generation und ein totalitäres Regime später übersetzte Eliška Glaserová das Werk im Jahr 1964 für den Ostberliner "Aufbau-Verlag" ins Deutsche, denn trotz seiner bürgerlichen Wurzeln und ablehnenden Haltung gegenüber dem Kommunismus wurde Karel Čapek, dessen als Maler und Schriftsteller bekannter Bruder Josef im Konzentrationslager Bergen-Belsen zu Tode kam, in der ČSSR und anderen Staaten des damaligen Ostblocks geehrt, verlegt und gelesen. Wiederum in der DDR illustrierte der Grafiker und Buchillustrator Hans Ticha den fantastischen Roman für eine Neuausgabe des "Aufbau-Verlags" im Jahr 1987. Daran arbeitete er laut Nachwort ein Jahrzehnt lang. Als Redigitalisat erscheint das epochale Werk jetzt, 2016 und achtzig Jahre nach der Erstausgabe, in bibliophiler Aufmachung der "Edition Büchergilde" in einer Auflage von 1.000 Exemplaren.

"Der Krieg mit den Molchen" ist ein Werk, das durch Intertextualität, Metafiktion und seinen collageartigen Aufbau ganz und gar postmodern wirkt, auch wenn dieser Begriff erst viel später aufkam.

Dem Kapitän van Toch, eigentlich ein Tscheche namens Vantoch aus der mährischen Kleinstadt Jevíčko, fallen in der Südsee kindsgroße und aufrecht gehende Molche auf. Von Natur aus zutraulich und gelehrig, lassen sie sich leicht zähmen. Van Toch stattet sie mit Messern zur Bekämpfung von Haien aus, damit die gehorsamen und schmerzunempfindlichen Wesen selbst dort nach Perlen tauchen können, wo es für Menschen zu gefährlich ist. Mit dem aus demselben Ort stammenden Industriellen G. H. Bondy baut der Seemann ein weltumspannendes Zuchtprogramm für die ausgestorben geglaubten Riesenmolche auf, das Salamandersyndikat. Bereits dieser erste Teil wird abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven erzählt, darunter auch in Form eines Protokolls der Generalversammlung der "Pazifischen Export-Gesellschaft".

Herr Povondra, Portier im Hause Bondy, sammelt unsystematisch Zeitungsartikel über die Riesensalamander aus aller Welt - sofern sie nicht seine Frau verheizt. Da er einst Kapitän van Toch eigenmächtig in Bondys Direktionskanzlei führte, sieht sich als eigentlicher Urheber der weltumspannenden Molche-Hochblüte. In seinem Textfundus finden sich Preislisten für unterschiedlich ausgebildete und in verschiedenen Arbeitskategorien einsetzbare Molche, Agenturmeldungen über Streiks der australischen Gewerkschaften gegen die billigen Arbeitskräfte, Jubelmeldungen über molchische Heldentaten, Artikel über wissenschaftliche Versuche an Molchen, denen praktischerweise fast alle Organe innerhalb kürzester Zeit nachwachsen, Pseudozitate vom Schwimmer Weißmüller, dem Schriftsteller G. B. Shaw und der Schauspielerin Mae West ("Sie haben keinen Sex-Appeal. Darum haben sie auch keine Seele.") und vieles mehr. Schließlich wird in den Gazetten diskutiert, ob die Riesensalamander, die viele menschliche Sprachen, sogar Tschechisch, leicht erlernen, Schulen besuchen können oder müssen, ob man sie taufen oder in die Arbeiterbewegung aufnehmen soll. All diese intellektuellen Überlegungen hindern Bondys "Salamander-Syndikat" nicht daran, sie milliardenfach zu züchten und weltweit zur eigenen Bereicherung als Sklaven zu halten. Denn eigentlich entwickeln sie sich nur in Nachahmung der Menschen; sie verhalten sich genauso, wie es Menschen seit jeher tun. Eigenständiges Denken bleibt ihnen fremd.

Unter dem Vorwand des Aufstandes gegen die menschliche Ausbeutung erkämpfen sich schließlich zwei Molchreiche in Europa und Asien - mit deutlichen Anspielungen auf den japanischen Tenno und den deutschen Führer - mehr Lebensraum, bis sie einander im Kampf um Afrika tödlich bekriegen. Nur dank der mörderischen Selbstvernichtung der Riesensalamander überleben die Menschen.

In diesem satirischen Schlüsselwerk zum Verständnis der 1930er-Jahre, das auch in die "UNESCO"-Sammlung von 1060 repräsentativen literarischen Werken aufgenommen wurde, lassen sich alle verwerflichen Züge der damaligen Politik erkennen: die mangelhafte Überwindung der Sklaverei in den USA, die koloniale Haltung der westlichen Großmächte und besonders die Bedrohungen durch ein vermeintliches Herrenmenschentum. Dem ausbeuterischen Geschehen stehen weltfremde Wissenschaftler und schöngeistige Essayisten gegenüber, die trotz ihrer Bildung und Ausdrucksfähigkeit weder die Bedrohungen erkennen noch sozial handeln.

Die Zeitlosigkeit des Buches unterstreichen die vielfältig ausgestalteten Illustrationen des versierten Grafikers Hans Ticha. Je nach Textart changieren die Abbildungen von scheinbar unscharfen Zeitungsfotos im Stil der Vorkriegszeit hin zur Reproduktion von gerasterten Plakaten und dekorativ flächigen Illustrationen im Stil der "Pop Art" und geben in ihrer Verschiedenartigkeit der Čapek'schen Textcollage künstlerische Einheit.

Ein Buch zum Entdecken!

(Wolfgang Moser; 10/2016)


Karel Čapek: "Der Krieg mit den Molchen"
Originaltitel: "Válka s mloky"
Aus dem Tschechischen von Eliška Glaserová, Illustrationen von Hans Ticha.
Edition Büchergilde, 2016. 328 Seiten.
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Karel Čapek, 1890-1938, zählt zu den bedeutendsten tschechischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Nach einem Philosophiestudium arbeitete er als Journalist und Dramaturg. Früh thematisierte er die Bedrohung durch Diktaturen, warnte vor Faschismus und Nationalismus und lehnte den Kommunismus ab. Er hinterließ Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Reiseberichte und Feuilletons.