Emanuel Bergmann: "Der Trick"
"Also
gingen sie Sushi
essen. Max bestellte Thunfisch, Schwertfisch und
Seeigeleier, obwohl Dad meinte, dass Seeigel nicht koscher seien.
Sie
waren so eklig, dass er fast gekotzt hätte, und als seine
Eltern sich plötzlich an den Händen
berührten und ihm sagten, dass sie ihn sehr, sehr lieb
hätten und dass sich für ihn absolut nichts
verändern würde, wurde er rot und musste gegen die
Tränen ankämpfen. Er fing an zu zittern."
(Aus dem Roman)
Der Diogenes Verlag präsentiert mit Emanuel Bergmann und
seinem Debütroman "Der Trick" ein überaus
hoffnungsvolles Erzählertalent.
Der Autor sagte in einem Interview mit der Presseabteilung seines
Verlags, die beiden Ebenen des Buches, Deutschland und die USA,
spiegelten seine eigene Geschichte, wobei er selbst sich sehr in dem
kleinen Max wiederfände.
Sein fulminanter und den Leser von der ersten Seite an bezaubernder
Roman erzählt die Geschichte zweier jüdischer Jungen.
Der eine heißt Mosche Goldenhirsch, ist fünfzehn
Jahre alt, als die Erzählung mit dem Jahr 1934 beginnt, und
lebt mit seinem Vater in Prag.
Sein Vater ist Rabbiner an einer kleinen
unbedeutenden Synagoge und leidet unter dem frühen Tod seiner
Frau ähnlich stark wie sein Sohn seine Mutter vermisst. Doch
so ein Leben zu führen wie sein Vater, also ein Rabbiner zu
werden, wie dieser es sich wünscht, kommt für Mosche
nicht infrage. Als er eines Tages in einem Zirkus, der in Prag Station
macht und in dessen Vorstellung er sich geschlichen hat,
natürlich gegen den Willen seines Vaters, einen Zauberer
sieht, ist er völlig fasziniert von dessen Welt und Magie.
Mosche läuft von zu Hause fort, schließt sich dem
Zirkus an, und wird erst sehr viel später in Auschwitz seinen
Vater kurz vor dessen Tod wiedersehen.
Der andere Junge heißt Max Cohn, auch er Kind
jüdischer Eltern, und lebt im Jahr 2007 in Los Angeles. Er
steht vor der größten Krise seines bisher
zehnjährigen Lebens, denn seine Eltern, die sich schon seit
geraumer Zeit nicht mehr vertragen, wollen sich scheiden lassen und
damit alles zerstören, was Max' Leben bisher ausgemacht hat.
Als er in der Garage unter altem Gerümpel seines Vaters die
Schallplatte eines Zauberers, des "Großen Zabbatini", findet,
ist er davon überzeugt, dass dieser Mann mit seinem Zauber von
der "Ewigen Liebe" seine Eltern wieder miteinander versöhnen
kann.
Er begibt sich auf die Suche nach ihm und findet ihn
tatsächlich in einem jüdischen Altenheim.
In wechselnden Kapiteln lässt Emanuel Bergmann
leichtfüßig die beiden Geschichten aufeinander
zukommen. Bald schon wird dem Leser klar, dass aus dem jungen Mosche
Goldenhirsch in den 1930er- und 1940er-Jahren der "Große
Zabbatini" geworden ist, der mit seiner Kunst des Mentalismus, auf die
er sich als selbstständiger Künstler spezialisiert
hat, nach Lehrjahren in ganz Europa schlussendlich im Berlin Adolf
Hitlers zu einem gefragten Berater avancierte, bei dem sich auch
die
politische Oberschicht die Türklinke in die Hand gab. In einer
komisch-grotesken Szene lässt Emanuel Bergmann den
"Großen Zabbatini" an einer Stelle sogar mit dem
Führer zusammentreffen, als der inkognito den Rat des Magiers
sucht.
Doch irgendwann, man hat es schon lange geahnt, helfen ihm auch falsche
Pässe nicht mehr. Er wird verraten und landet
zunächst in Theresienstadt, wo er dem Lagerleiter noch alle
seine Kunststücke beibringen darf, bevor auch er sich in einem
Güterzug nach Auschwitz wiederfindet. Dort begegnet er einem
kleinen Mädchen und rettet ihm das Leben.
Dieses Mädchen ist der Grund, warum der kleine Max
überhaupt am Leben ist. Aber das weiß man erst am
Ende eines Romans, der durch seine leichte und lebendige Sprache
besticht, eine Sprache, die mit aller Ernsthaftigkeit vom Holocaust und
von Auschwitz erzählt, von der Zerbrechlichkeit des Lebens und
von seinem Zauber, der Menschen immer wieder die Kraft gibt, neu
anzufangen, und die Hoffnung, auch die Hoffnung auf
Versöhnung, nicht aufzugeben.
Als es Max gelingt, gegen allen Widerstand seiner Eltern, den
"Großen Zabbatini" zu einer Vorführung
anlässlich seines Geburtstags einzuladen, wird auch deutlich,
was mit dem im Titel genannten "Trick" gemeint ist.
Es ist ein Lied ("Dos Kelbl"/"Das Kälbchen"), das Mosche
Goldenhirsch und auch die Handlung des Romans von der Kindheit bis zur
Stunde seines Todes begleitet. Ein Lied, das im Dritten Reich
entstanden ist und das Schicksal der Juden reflektiert:
DAS KÄLBCHEN
Auf dem Wagen liegt ein Kälbchen,
liegt da, gefesselt mit einem Strick.
Hoch im Himmel fliegt ein Vogel,
fliegt und flitzt hin und zurück.
Da lacht der Wind im Kornfeld,
lacht und lacht und lacht,
lacht den ganzen Tag über
und noch die halbe Nacht.
Donaj, donaj, donaj, donaj,
donaj, donaj, donaj, daj.
Donaj, donaj, donaj, donaj,
donaj, donaj, donaj, daj.
Das Kälbchen schreit, der Bauer sagt:
"Wer hat dich geheißen, ein Kalb zu sein?
Du hättest doch auch ein Vogel werden können!
Du hättest doch auch eine Schwalbe werden können!"
Die armen Kälblein - sie werden gefesselt
und geschleift und geschlachtet. -
Wer Flügel hat, fliegt aufwärts,
macht sich bei keinem zum Knecht!"
Man könnte den ganzen Roman eine literarische Interpretation
dieses Liedes nennen. Für den Rezensenten steht "Der Trick"
auf der langen Liste der Neuerscheinungen des Frühjahrs 2016
ganz oben.
In dem schon erwähnten Interview sagt Emanuel Bergmann am Ende
auf die Frage, ob es Parallelen zwischen der Zauberei
und der Literatur
gebe: "Beides dient der Verzauberung der Wirklichkeit. Es
gibt in dem Roman eine Szene, wo erklärt wird, dass ein
Zaubertrick wie eine Geschichte strukturiert ist.
Geschichtenerzählen und Zauberei sind beide eine Form der
Lüge. Eine Lüge, die wir brauchen, um nicht am Leben
zu verzweifeln. Im Roman heißt es: eine schöne
Lüge. Das beschäftigt mich sehr, das Thema der
notwendigen, der schönen Lüge. Das Leben ist grausam,
das Leben hat keine Struktur, wir alle kennen Schmerz, wir alle kennen
Verlust und Verzweiflung. Und das Schreckliche ist, dass es so sinnlos
ist. Es gibt keine höhere Erkenntnis, es gibt keine Belohnung,
keinen Lutscher am Ende wie beim Zahnarzt. Deshalb müssen wir
aus diesem Leid, in dem wir uns befinden, eine narrative Struktur
erschaffen, eine Geschichte. Weil wir sonst am Chaos verzweifeln
würden. Unser Lutscher ist die Lüge."
(Winfried Stanzick; 03/2016)
Emanuel
Bergmann: "Der Trick"
Diogenes, 2016. 400 Seiten.
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Emanuel Bergmann, geboren 1972 in Saarbrücken, ging nach dem Abitur nach Los Angeles, um dort Film und Journalismus zu studieren. Er war viele Jahre lang für verschiedene Filmstudios, Produktionsfirmen und Verlage in den USA und Deutschland tätig. Derzeit unterrichtet er Deutsch, übersetzt Bücher und schreibt Artikel für diverse deutsche Medien.