Gerbrand Bakker: "Jasper und sein Knecht"
Der
Hund als Meister
Der 1962 in Wieringerwaard geborene niederländische Autor
Gerbrand Bakker ist zweifellos einer der interessantesten Autoren
seiner Generation. Kargheit, Stille und fast "Beckettsche"
Skurrilität zeichnen seine Prosa aus. In "Oben ist es still"
verfrachtet der Protagonist seinen Vater einfach ins obere Stockwerk,
während er sich unten sein Leben neu einrichtet.
Nichtsdestotrotz verschwindet sein Vater einfach nicht. "Der
Umweg" ist die Geschichte eines Verschwindens. Eine Flucht,
die nur durch ihren Schatten sichtbar wird. Ein gewisser Hang zur
Morbidität findet sich in allen Werken Bakkers, die einen
eigenartigen Sog entwickeln, dem man sich eigentlich nicht entziehen
kann.
"Jasper und sein Knecht" ist gewissermaßen ein Nebenprodukt
seiner fiktionsorientierten Tätigkeit. Es ist ein Tagebuch,
das er in einem abgeschiedenen Landhaus in der Eifel ungefähr
eineinhalb Jahre lang führt.
Jasper ist ein griechischer Straßenhund, um den sich Bakker
rührend kümmert, den er sozialisieren will, der aber
auch, wie es Hunden oft eigen ist, eigentlich den wahren Chef im Haus
darstellt. So sieht sich Bakker häufig als Jaspers Knecht.
"Weiß. Kalt. Grau. Vergangene Nacht kam Jasper um
03:34 ins Schlafzimmer. Ich vermute, dass er fror. Er durfte unter die
Bettdecke.
Hund
im Glück."
In diesem Tagebuch erfährt man sehr viel über
Gerbrand Bakkers Leben als Schriftsteller. So wird dem Leser ein tiefer
Einblick in die täglichen Routinen des Autors
gewährt, ebenso ins Privatleben des Autors, der spät
zu seiner Berufung gefunden hat, dafür aber schnell
großen Erfolg hatte.
Man bekommt umfangreiche Informationen über sein Leben mit dem
Erfolg präsentiert, über seine Gedanken zu
Verfilmungen seiner Bücher, über seine Gedanken zu
Kollegen. Filme, Preise, Nominiertenlisten und Anerkennung. Jene
Momente, die aus dem Leben eines Schaffenden nicht wegzudenken sind,
egal wie gerne man sich ihnen verwehren würde.
"Ich begreife wirklich nicht, warum Tommy Wieringa vor ein
paar Jahren wegen des Drehbuchs nach 'Joe Speedboat' einen solchen
Aufstand gemacht und sogar gegen die Verfilmung geklagt hat. Das
Ergebnis war: kein Film. Ich kann mir gut vorstellen, dass
Filmproduzenten in Zukunft lieber die Finger von seinen
Büchern lassen. Er hat sich ins eigene Fleisch geschnitten."
Mit schonungsloser Offenheit geht Gerbrand Bakker hier vor. Das
führt dazu, dass man naturgemäß auch Dinge
in Erfahrung bringt, die man eigentlich nicht wissen möchte.
Künstler (und dazu zählen Schriftsteller,
Komponisten, Musiker, Maler, Bildhauer, Schauspieler und Filmemacher)
sind, so viel steht fest, ebenso Menschen, wie wir alle. Sie entfernen
die Kothäufchen ihrer Hunde genauso wie sie ihre
Wäsche waschen, ihr Mittagessen kochen, neidisch auf Kollegen
sind und Neurosen haben, die sie entweder ausleben oder nicht.
"Manchmal kann mich dieser Hund zur Verzweiflung treiben. Dann
brennt er nach einem anderthalbstündigen Spaziergang durch,
sobald ich die Leine losmache, und bleibt fünf Stunden weg.
Fiept dann vor der Haustür, ich lasse ihn herein und gebe ihm
zu fressen. Danach pinkelt er dreimal in die Küche, so dass
ich ausrutsche. Schließlich noch dunkelgrüner
Durchfall. In solchen Augenblicken denke ich: Von jetzt an lasse ich
ihn immer laufen. Lass ihn laufen, das ist offensichtlich das, was er
tun muss. Die Konsequenz ist vielleicht, dass er nicht mehr
zurückkommt."
Nicht nur der Hund steht im Zentrum dieses Tagesbuchs. Auch die
Vergangenheit, die Großeltern, die Eltern, die wenigen
Freunde des Autors, der Empfang von raren Gästen, die
Notwendigkeit des Führerscheins, den er, obwohl er in der
Einöde und acht Kilometer vom nächsten Supermarkt
entfernt lebt, nicht hat. Auch seine im jugendlichen Alter bereits
auftretende
Depression,
das Erkennen dieser ebenso wie das Leben mit ihr werden beschrieben.
Gleichfalls die anhand der generellen Offenheit des Autors nicht
überraschende Freizügigkeit bei Beschreibungen seiner
homosexuellen Neigung und einiger diesbezüglicher Kontakte.
Unter Anderem mit einem Herrn, der offenbar seit Jahren seine Haare
nicht mehr gewaschen hat.
"Ich habe bei H&M zwei T-Shirts gekauft,
anschließend gegessen und nach dem Essen zum zweiten Mal
heute geduscht. Um mich auf den schlimmsten Fall vorzubereiten. Jetzt
sehe ich den Song Contest. Alle sind fertig mit dem Singen, es wird
abgestimmt. Wenn ich vom Laptop aufblicke, schaue ich in einen
riesigen
Spiegel. Ich muss immer an Derek de Lint denken, wie er in irgendeinem
älteren niederländischen Film vor einem Hotelspiegel
wichst."
So interessant viele der Beobachtungen und Erkenntnisse, die Gerbrand
Bakker hier festhält, sind, stellt sich dem Leser doch immer
wieder die Frage, worauf der Autor dieses wirklich sehr tiefe Einblicke
gewährenden Tagesbuchs eigentlich aus ist.
Spektakulär ist es nicht, eine Enthüllung ist es
jedenfalls auch nicht, sicherlich nicht in unserer Zeit, in der es
erfreulicherweise wirklich unwichtig geworden ist, mit welchem
Geschlecht sich Mann oder Frau bevorzugt vergnügt. Ein
Hundebuch ist es nur teilweise, da einige der Hundeerzählungen
doch darüber hinausgehen, was ein großer
Hundefreund, wie der Rezensent es definitiv ist, lesen muss. Ob man
einen großen Hund wirklich frei laufen lassen soll, damit er
Rehen, Motorrädern oder Radfahrern nachstellen oder diese
erschrecken kann, ist eine Frage, die gesunder Menschenverstand leicht
beantworten können sollte.
Schön geschrieben und sehr gut übersetzt ist dieses
Buch jedenfalls sicher. Man spürt das Können des
Autors in fast allen Zeilen. Was hier erschienen ist, hätte
ein weniger fähiger Autor nie so festhalten können.
Man liest weiter, obwohl man eigentlich immer wieder daran denkt, die
Lektüre abzubrechen. Warum nur das alles? Was kommt da noch?
Kommt noch etwas?
Es ist klar, dass der Autor all das loswerden musste, was er zu Papier
gebracht hat. Für sich, für sein Wohl, ja. Aber
für den Leser? Am Ende dieser fast vierhundertfünfzig
Seiten stellt sich nämlich die Frage, warum man das jetzt
alles gelesen hat. Wie viel muss oder will man aus dem Privatleben
eines (ausgezeichneten) Autors denn tatsächlich wissen?
Der Rezensent kann sie leider nicht sinnvoll beantworten und verbleibt
in der Hoffnung, dass diesem Buch bald wieder ein Werk der Fiktion
folgen wird, das überlagert, was man in der Zwischenzeit
unverhofft erfahren hat.
(Roland Freisitzer; 11/2016)
Gerbrand
Bakker: "Jasper und sein Knecht"
(Originaltitel "Jasper en zijn knecht")
Aus
dem Niederländischen von Andreas Ecke.
Suhrkamp, 2016. 448 Seiten.
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