Yelena Akhtiorskaya: "Der Sommer mit Pasha"
Brighton
Beach, Brooklyn
Yelena Akhtiorskaya, geboren 1985 in Odessa und 1992 selbst mit ihrer
Familie in die USA ausgewandert, konkret nach Brighton Beach/Brooklyn,
auch "Little Odessa" genannt, hat nun ihren Debütroman "Der
Sommer mit Pasha" veröffentlicht. Der Familien- und
Emigrantenroman ist eine meist ironisch witzige Angelegenheit, der die
Angelegenheiten der Familie Nasmertov über mehrere Jahrzehnte
hinweg beleuchtet.
Alles beginnt damit, dass Pasha Nasmertov, das letzte noch in der
Ukraine lebende Familienmitglied und Sohn der bereits in den USA
lebenden Esther, soeben zu Besuch in Brighton Beach gelandet ist und
sich generell unwohl fühlt. Gelenkschmerzen,
Schweißausbrüche und Herzrasen quälen
Pasha, der stark gezeichnet von den vierzehn Stunden auf einem engen
Gangplatz in der Nähe des WCs in dem stinkenden Flugzeug ist,
das ihn letztendlich in das Land der Freien gebracht hat. Pasha, ein
Dichter, dessen Stern zu diesem Zeitpunkt möglicherweise in
der Ukraine dabei ist, aufzusteigen, ist als Figur gezeichnet, die so
viele Psychosen zu haben scheint, dass man fast dazu neigt, hier Woody
Allen als künstlerischen Ziehvater zu sehen. Aber eben nur
fast, da Pasha ein perfektes Beispiel für den literarisch
begabten, jüdischen Poeten aus Odessa ist, über den
unzählige Witze im Raum der ehemaligen Sowjetunion existieren.
Während seine Familie, Frau und Sohn, in Odessa auf ihn
warten, versucht seine Mutter, ihn dazu zu bewegen, ebenfalls ins Land
der unbegrenzten Möglichkeiten zu emigrieren. Nur: Das will
Pasha nicht.
"... und Pasha war nicht jeder, sondern ein Dichter - von
Geburt an kränklich, das Versagen aller lebenswichtigen Organe
(Herz,
Lunge) schon angelegt. Nase und Ohren waren
unverhältnismäßig groß
für seinen Kopf, der Kopf
unverhältnismäßig groß
für den Körper; er hatte vorzeitige Altersflecken
unter den Augen, einen unnatürlich starren Blick,
spindeldürre Gliedmaßen und einen sehr eigenwilligen
Stoffwechsel."
Der erste Teil des Buches konzentriert sich auf Pashas zwei Besuche in
Brighton Beach, die anno 1993 und im Jahr darauf erfolgten,
während der zweite Teil des Buches ins Jahr 2008 springt, in
dem Pashas jetzt fünfundzwanzigjährige Nichte Frida
nun ihn in Odessa besucht.
"Sommer in Odessa, das bedeutete Hustenkrämpfe,
bleischwere Papiertücher in der Tasche und blutdurchsetzter
Schleim. Der Staub fraß die Stadt auf. Die Grenze zwischen
Straße und Himmel verschwamm und verwandelte sich in eine
unbestimmbare Übergangszone. Husten steigerte sich zu
bellendem Husten und bellender Husten zum Lungenemphysem, und Leute
mit
Lungenemphysem husteten zum letzten Mal."
Erinnerungen prägen die Prosa, Gespräche,
Alltagsgeschichten und ironischen Seitenhiebe auf das Familienleben der
unzähligen Figuren, die diesen Roman bevölkern.
Vieles kreist um Fragen der Zugehörigkeit, Herkunft und die
allerwichtigsten Fragen danach, was und wer man eigentlich ist. Auch
Irrungen kommen nicht zu kurz, wie beispielweise Pashas Konvertierung
vom jüdischen Glauben zur russischen Orthodoxie.
Während Frida die zermürbende Umwelt in Odessa als
mühsam empfindet, fühlt sie sich doch dazu geneigt,
in der Ukraine
zu bleiben. Ebenso verführt von den Eindrücken, wie
ihre Verwandten von den Eindrücken in Amerika
verführt wurden. Eine Art Tauziehen um die Entscheidung, was
denn nun wirklich Heimat sein kann und soll.
Sehr stark sind Yelena Akhtiorskayas Beobachtungsgabe und
Formulierungsgeschick. Ihre Sätze sind meistens extrem
vielschichtig und geprägt von extrem genauen Beobachtungen,
die mit einer ordentlichen Prise Humor,
Ironie,
Sarkasmus und schierem
Fabulierwitz gewürzt sind. Das ist sehr unterhaltsam zu lesen
und trägt über die fehlende Stringenz in der
Entwicklung des Handlungsstrangs hinweg. Zu sehr interessiert sie sich
für die kleinen Sachen, Details und Momente. Vielleicht ist es
auch eine Handvoll Figuren zu viel, um einen wirklich grandiosen Roman
ohne Einschränkungen zu schaffen. Nichtsdestotrotz ist "Der
Sommer mit Pasha" ein extrem unterhaltender Roman, der auf eine
wirklich große Zukunft dieser noch sehr jungen Autorin
schließen lässt. Man kann nur hoffen, dass weitere
Werke folgen werden. Alles Andere ergibt sich dann sowieso von selbst.
Eva Bonnés Übersetzung ist sehr gelungen und ein
weiterer Grund dafür, eine ganz starke Leseempfehlung
für diesen Roman auszusprechen.
(Roland Freisitzer; 02/2016)
Yelena
Akhtiorskaya: "Der Sommer mit Pasha"
(Originaltitel "Panic in a Suitcase")
Übersetzt von Eva Bonné.
Rowohlt Berlin, 2016. 379 Seiten.
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