Alex Bellos: "Warum die Elf hat, was die Zehn nicht hat"
Entdeckungstouren in die faszinierende Welt der Zahlen
Was hat die Mathematik,
was andere Fächer nicht haben?
Zuletzt ist die Mathematik wieder durch die selektive Wirkung bei der
neuen Zentralmatura aufgefallen. Schon zuvor waren Ableitungen, das
passgenaue Einschreiben eines geometrischen Körpers in einen anderen
oder die Wahrscheinlichkeit, mit der drei Kugeln derselben Farbe aus
einer Urne mit Dutzenden anderen gezogen werden, selten dazu geeignet,
die Jugend zu begeistern. Traumatisierte Erwachsene, die auf Grund
ebensolcher Erfahrungen keinen technischen oder kaufmännischen Berufsweg
eingeschlagen haben, fragen sich auch heute noch nach dem Warum dieser
spaßlosen Übungen.
Alex Bellos, der britische Journalist mit den Schwerpunkten Brasilien,
Fußball
und - wie ein scheinbarer Fremdkörper in der Aufzählung von
Leidenschaften - Mathematik, kontert famos den weithin grassierenden
Vorwürfen, dass die Zahlenkunst uninteressant und unbegreiflich sei, und
beschämt dabei Generationen von Mathematiklehrerinnen und -lehrern, die
vor allem davon lebten, dass sich an der Schulmathematik bis zur Matura,
siehe oben, ohnehin niemand vorbeischwindeln kann. Das Lesen des Buchs
ist, ein bisschen fachliches Interesse vorausgesetzt, wie ein lang
ersehnter nachgeholter Schulausflug.
Dabei geht der flott schreibende Autor auch bei geometrischen und
mathematischen Phänomenen, die schon Pythagoras
und seine Kollegen vor gut zweieinhalb Jahrtausenden entdeckt und
erforscht haben, vor wie bei Reportagen in den Feuilletons guter
Blätter: Er beginnt mit alltäglichen Beobachtungen und vertieft sich
anschließend in das Porträt eines Mathematikers oder eines Anwenders,
z.B. eines Engländers, der fast alle 6500 Triangulationspunkte
Großbritanniens besucht hat oder des Erfinders eines elliptischen
Billardtisches. (Hier wird bewusst nicht "gegendert". Frauen kommen in
der Mathematik und somit in diesem Buch noch (?) sehr selten vor.) Dann
schildert er ganz plastisch und mit Verweis auf Alltagserfahrung dessen
Beobachtung oder Einfall und lässt dem gerade so viel Theorie folgen,
dass die Praxis abgesichert ist und der Leser das erhebende Gefühl hat,
dies mit den eigenen mathematischen Kenntnissen zu verstehen. Anekdoten
und ein Hinweise auf die Etymologie mathematischer Begriffe würzen die
Texte.
Bereits für sein erstes Buch ("Alex im Wunderland der Zahlen")
erhielt Alex Bellos namhafte Sachbuchpreise: vier Monate lang war es
unter den besten Zehn der "
"Sunday Times". Wöchentlich verfasst er populäre
Mathematik-Kommentare für den Blog der britischen Tageszeitung
"The Guardian".
Der Titel selbst und das erste Kapitel führen eigentlich von der
Mathematik weg, vielleicht wollte der Verlag mit dem Wort "Mathematik"
niemanden verschrecken. Darin beschreibt er die ungleiche Verteilung von
Lieblingszahlen. 9,7% von mehr als 30.000 Briten wählten die Sieben, 10
ist abgeschlagen auf Rang 23, 20 an der 50. und 30 an der 69. Stelle.
Darin begründet sich der Werbewert einzelner Zahlen, auch der Nutzen für
Taschenspielertricks und für die Aufdeckung von Wahlfälschungen. Denn
die Verteilung von größeren Zahlen, die mit den Ziffern 1, 2, 3, …
beginnen, ist konstant (Benford'sches Gesetz). Es gibt immer mehr
Prozentzahlen, Einwohnerzahlen von größeren Städten oder Hausnummern,
die mit 1 beginnen als mit 2.
Bei den übrigen neun Kapiteln (warum doch nicht insgesamt elf?) spricht
er dann schon stärker die Mathematik an: Kegelschnitte (Kreis, Hyperbel,
Ellipse, Parabel), Winkelfunktionen und ihr Nutzen bei der
Landvermessung durch Triangulation, imaginäre Zahlen, π und die
Euler'sche Zahl, Differenzieren und Integrieren werden zwar aufbauend
zueinander in Beziehung gesetzt, doch ist prinzipiell jedes Kapitel auch
für sich lesbar. Grafiken, Illustrationen und Fotos tragen ganz
entscheidend zum Verständnis bei. Längere mathematische Beweisführungen,
die den Lesefluss aufhalten und vielleicht sogar abbrechen lassen
können, lagert der Autor ans Ende des Buches aus.
Das wohl spannendste und durch Fotos am beeindruckendsten dokumentierte
Kapitel ist jenes über Katenoide, Kettenlinien, die entstehen, wenn ein
Seil oder eine Kette zwischen zwei Punkten schlaff durchhängt. In ihrer
Umkehrung hat diese Linie eine hochinteressante mechanische Eigenschaft.
Dreht man nämlich die Kurve um, entsteht die stabilste Form für einen
freistehenden Bogen, der sich durch sein eigenes Gewicht stützt, ohne
irgendwelche zusätzlichen Verstrebungen oder Stützen zu brauchen. Die
verwendeten Steine brauchen nicht einmal Mörtel, sondern drücken sich
perfekt aneinander. Der katalanische Architekt Antoni Gaudí hängte Seile
auf und beschwerte sie mit Säckchen mit Bleigewichten. Diese Modelle
fotografierte er und nutzte schließlich umgedrehte Fotografien dieser
dadurch entstandenen Bogenformen für die Pläne seiner Kirchen in
Barcelona.
"Warum die Elf hat, was die Zehn nicht hat" eignet sich für mathematisch
Interessierte. Maturakenntnisse sind nicht Voraussetzung, schaden aber
auch nicht beim Lesen und Wiedererkennen mancher Formel oder einiger
mathematischer Symbole. Informativ und unterhaltsam geschrieben,
bereichert es wohl alle Bücherregale, vor allem solche, in denen sich
bisher kaum mathematische Werke fanden.
(Wolfgang Moser; 06/2015)
Alex Bellos: "Warum die Elf hat, was die
Zehn nicht hat.
Entdeckungstouren in die faszinierende Welt
der Zahlen"
(Originaltitel "Alex Through the Looking Glass.
How Numbers Reflect Life and Life Reflects Numbers")
Übersetzt von Bernhard Kleinschmidt.
Berlin Verlag, 2015. 395 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Weitere Buchtipps:
DDr. Gert Mittring: "Von Pi nach Pisa. Mit Zahlen die ganze Welt
verstehen. Neues vom Rechenweltmeister"
Rechnen mit Knotenschnüren in der alten Inka-Hauptstadt
Cuzco und mit der einstigen Welt-Währung Kaurimuscheln auf den
Malediven: Kopfrechenweltmeister Gert Mittring reist einmal rund um den
Globus von Pi nach Pisa, überall dorthin, wo sich eine spannende
Zahlengeschichte abgespielt hat. Lebendige Mathematik zum Mitreisen und
Mitrechnen! (Fischer)
Buch
bei amazon.de bestellen
Max Tegmark: "Unser
mathematisches Universum. Auf der Suche nach dem Wesen der
Wirklichkeit"
Max Tegmark entwickelt eine neue Theorie des Kosmos: Das Universum
selbst ist reine Mathematik. In diesem Buch geht es um die physikalische
Realität des Kosmos, um den Urknall
und die "Zeit davor" und um die Evolution des Weltalls. Welche Rollen
spielen wir dabei - die Wesen, die klug genug sind, das alles verstehen
zu wollen? Tegmark findet, dieses Terrain sollte nicht länger den
Philosophen überlassen bleiben. Denn die Physiker von heute haben die
besseren Antworten auf die ewigen Fragen. (Ullstein)
Buch
bei amazon.de bestellen
Rudolf Taschner: "Die
Mathematik des Daseins. Eine kurze Geschichte der Spieltheorie"
Vom 17. Jahrhundert bis zum Turbokapitalismus: Rudolf Taschner über eine
mathematische Theorie, die die Welt veränderte.
Das Leben ist ein Spiel, das mathematischen Regeln folgt; unsere
Entscheidungen können berechnet, ihr größtmöglicher Nutzen kann für alle
kalkuliert werden. Diese Idee der Spieltheorie hat im 20. Jahrhundert
Wirtschafts-, Politik- und Kulturgeschichte geschrieben.
Spieltheoretiker waren Berater im
Kalten
Krieg. Und ohne dass sie es ahnten, legten sie das Fundament für
den Siegeszug des Homo oeconomicus. In seiner fulminanten Geschichte der
Spieltheorie spannt Rudolf Taschner einen Bogen von der Erfindung der
Wahrscheinlichkeitsrechnung im 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart der
globalen Finanzmärkte. Ein Buch über die Mathematik als Sinnsuche -
fesselnd wie ein Kriminalroman. (Hanser)
Buch
bei amazon.de bestellen
Albrecht Beutelspacher:
"Wie man in eine Seifenblase schlüpft. Die Welt der Mathematik in 100
Experimenten"
Jeder kann Mathematik. Und Mathematik lernt man, indem man Mathematik
macht. Am besten anhand der einhundert Experimente dieses Buches und
angeleitet von dem bekanntesten deutschen Mathematik-Lehrer, Professor
Albrecht Beutelspacher. Alle mathematischen Experimente in diesem Buch
gehen auf Exponate des
Mathematikums zurück. Sie tragen so geheimnisvolle Namen wie
"Würfelschlange", "Chaospendel", "Faxenspiegel", "Quadreieck",
"Verschwundenes Kind" oder "Parabelrechner". Manche beruhen auf
beliebten Knobel-, Würfel- oder Puzzle-Spielen, andere haben ihren
Ursprung in bekannten Kunstwerken, Naturphänomenen oder - wie der "Turm
von Ionah" - spannenden Geschichten. Manche enthalten Aufgaben,
vereinzelt lassen sie sich auch mit einfachen Mitteln nachbauen. Andere
sind reine Gedankenexperimente. Alle haben gemeinsam, dass sie
Jugendlichen und Erwachsenen spielerisch und interaktiv mathematische
Sachverhalte vermitteln und, dass sie vor allem großen Spaß bereiten.
(C.H. Beck)
Buch
bei amazon.de bestellen
Karl Sigmund: "Sie nannten
sich Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rand des Untergangs"
Der Wiener Kreis ist aus dem Geistesleben des 20. Jahrhunderts nicht
wegzudenken. Anknüpfend an Russell
und Einstein
versucht ein Team von Mathematikern, Naturwissenschaftlern und
Philosophen die Grundlagen einer wissenschaftlichen Weltauffassung zu
legen, im scharfen Gegenwind der reaktionären Politik der
Zwischenkriegsjahre. Anschaulich, einfach und einprägsam stellt Karl
Sigmund eine der spannendsten Episoden der radikalen Moderne dar - einer
Episode, die vom Nationalsozialismus zerstört wurde, aber im
angelsächsischen Exil reiche Früchte trug. Viele der damals angerissenen
Fragen haben heute noch ihre Auswirkungen: Es führt eine Linie von der
symbolischen Logik Carnaps und Gödels zur Informatik, und die
wissenschaftliche Weltauffassung ist so selbstverständlich geworden,
dass wir sie kaum mehr wahrnehmen. Ein Buch für alle an der
Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts Interessierten, das
naturwissenschaftlich und geisteswissenschaftlich orientierte Leser in
gleichem Maß anspricht. (Springer Spektrum)
Buch
bei amazon.de bestellen
Thomas
de Padova: "Allein gegen die Schwerkraft. Einstein 1914-1918"
Berlin 1914: Während die Welt untergeht, erfindet Albert Einstein sie
neu und wird zum leidenschaftlichen Pazifisten.
Albert Einstein hat unser Verständnis von Raum und Zeit für immer
verändert. Thomas de Padovas Biografie lässt Einsteins Allgemeine
Relativitätstheorie in gänzlich neuem Licht erscheinen.
Berlin 1914: Einsteins Welt zerbricht. Seine Ehe mit Mileva scheitert,
Deutschland zieht begeistert in den Krieg. Kollegen wie Max
Planck unterschreiben den rassistischen "Aufruf an die
Kulturwelt", sein Freund Fritz Haber führt an beiden Fronten einen
grausamen Gaskrieg. In bestechend klarer Prosa zeigt de Padova erstmals,
wie Einstein in seinen frühen Berliner Jahren zum leidenschaftlichen
Pazifisten wird - und wie er inmitten einer kollabierenden Welt die
Physik neu erfindet. (Hanser)
Buch
bei amazon.de bestellen
Matt Parker: "Auch Zahlen
haben Gefühle. Warum sie romantisch, sozial oder selbstverliebt sein
können und was sich sonst noch mit Mathematik anstellen lässt"
Matt Parker lebt Mathematik. Sekunden nur braucht er, um jeden Namen im
binären Code niederzuschreiben. Im Jahr 2012 hat er mit seinem Team
einen funktionierenden Computer aus Dominosteinen gebaut (im Buch
erfährt man, wie man es macht). Seine Videos auf "Youtube"
wurden inzwischen über fünf Millionen Mal aufgerufen. Mit seinen
Mathe-Programmen und Aktionen tourt er seit einigen Jahren durch England
- und hat als Komödiant Fernsehruhm erlangt. Kurz: Parker betreibt
Mathematik nur aus einem Grund: weil es Spaß macht. Und auch sein Buch
macht einen Riesenspaß. Hier stimmt es einmal wirklich: Dieses Buch will
nicht belehren; es will einfach zeigen, wie es geht. Sie lesen Näheres
über seltsame Phänomene wie Alberne Zahlen, Primknoten, Narzisstische
Zahlen und ihre lügnerischen Vettern, die Münchhausen-Zahlen, lösen das
Pizza-Problem und teilen den Würfelknoten, bugsieren eine Euromünze
durch einen dafür viel zu kleinen Kreis aus Karton und erfahren, wie man
einen 4-D-Würfel basteln oder mit nur zehn Fingern eine Million Zahlen
darstellen kann. Und Parker illustriert dies alles reich, aber so
schlicht, dass jedermann sofort versteht, worum es geht. (Rowohlt)
Buch
bei amazon.de bestellen