Lu Xun: "Werke"
Studienausgabe
in 2 Bänden
Herausgegeben von Wolfgang Kubin
Lu
Xun (1881-1936) gilt als einer der ersten und einflussreichsten
modernen chinesischen Autoren, der durch die Verwendung von
Umgangssprache in seinen Texten und die Einbeziehung
ausländischer - vor allen europäischer -
Einflüsse die chinesische Literatur von den klassischen
formalen und inhaltlichen Vorgaben löste und damit
für die breitere Masse sowie für
ausländische Leser zugänglicher machte.
Die vorliegende Werkausgabe sammelt sechs seiner Werke in zwei
Bänden. Die jeweiligen Bücher werden gegen Ende noch
durch überaus umfängliche Endnoten ergänzt,
sodass unverständliche Passagen schnell aufgelöst
werden können, die häufig heute nicht mehr bekannte
Namen von damals sehr populären Persönlichkeiten und
Ähnliches beinhalten.
Band I:
Blumen der Frühe am Abend gelesen (orig.: Zhao Hua Xi Shi)
In dieser Sammlung von Kurztexten betätigt sich Lu Xun in
erster Linie autobiografisch, indem er in ihnen anhand von Kritik, die
an ihm und seinem Werk geübt worden ist und anhand von Kritik,
die er am klassischen System und auch am politischen System
üben will seine eigene Geschichte und die auf ihn wirkenden
Einflüsse ab seiner frühen Jugend beschriebt.
Darüberhinaus erklärt er unter Anderem, warum er
Katzen nicht sonderlich schätzt.
Diese größtenteils sehr satirischen Texte sind
voller interessanter Sprachbilder und Metaphern und zeigen deutlich
einige der literarischen und gesellschaftspolitischen Hauptanliegen des
Autors, wobei auch die Selbstironie beileibe nicht zu kurz kommt.
Altes frisch verpackt (orig. Gushi Xinbian)
In dieser Anthologie versammelt Lu Xun acht klassische Geschichten der
chinesischen Literatur, wie etwa die Hintergrundgeschichte des
Mondfestes in einer modernisierten bzw. erweiternden Form, sodass man
etwa in "Die Flucht zum Mond" eine Art Korrektur der bekannteren
Ursprungsgeschichte bekommt, oder in "Die Nachfahren der
Göttin" eine sehr nachdenklich stimmende Neufassung eines
klassischen Schöpfungsmythos.
Zwei der sicherlich für Freunde der chinesischen Literatur
wichtigsten Texte sind aber neben den eher historischen "Wicken" und
"Wider den Angriffskrieg" die beiden auf Laozi
und Zhuangzi
bezogenen
Geschichten "Die Reise über den Pass", (hierin wird die
wunderbar gezeigt, wie wenig ein Philosoph in seiner eigenen Zeit
gelten kann, und in der auch Laozis Verhältnis zu Konfuzius
eine Rolle spielt), und "Auferstehung", worin Zhuangzi als sehr
seltsamen Tölpel dargestellt wird.
Alle diese Geschichten weisen neben ihrer zitierend-satirischen
Funktion auch einige literarische und politische Bezüge zu
ihrer jeweiligen Entstehenszeit auf, sodass sich die Lektüre
der Endnoten wirklich lohnen kann.
Das Totenmahl (orig. Fen)
Bei diesem Buch handelt es sich um eine Sammlung von Essays, die Lu Xun
für Zeitschriften geschrieben hat, sowie einige Reden, die er
zu verschiedenen Anlässen gehalten hat. Bereits im Vorwort
gibt er zu, dass einige dieser Texte voller Wiederholungen und
Füllsel sind, weil die Herausgeber mehr an bestimmten
Textlängen als an einer bestimmten Qualität
interessiert waren.
In diesen Texten setzt er sich mit der Rolle der Frau, der Stellung der
Chinesen in der Welt und ihrem Charakter, die er beide überaus
negativ sieht, und einigen damals aktuellen politischen Entwicklungen
auseinander. Dabei erweist er sich als recht kritisch und greift unter
Anderem Prinzipien wie die Filialität oder Opfer der
Keuschheit an, die seiner Meinung nach mit zur moralischen
Rückständigkeit des chinesischen Volkes beitragen.
Andere Aufsätze beschäftigen sich mit der
menschlichen Evolution, der europäischen
Wissenschaftsgeschichte und insbesondere mit dem Einfluss der
europäischen Literatur auf die Literaturen der Welt, wobei er
vor allem Lord Byrons Werk hervorhebt und dabei gerade in Bezug auf die
Krise in Griechenland einige interessante Informationen liefert. Und
auch Sprachkritik sowie die Übertragbarkeit oder
Unübertragbarkeit europäischer Konzepte auf das
chinesische
Denken und Fühlen werden thematisiert.
Nicht alles wird jeden Leser interessieren, aber trotz seiner
Selbstkritik sind die Texte auf jeden Fall sprachlich weitgehend
ansprechend und inhaltlich immer wieder überraschend. Der
ausgiebige Endnotenapparat erweist sich als sehr hilfreich.
Band II:
Applaus (orig. Nahan)
Die vorliegende Sammlung von Kurzgeschichten zeigt Lu Xuns Weg zur
Position eines Vordenkers und "Vorschreibers" über die
Verurteilung des alten Kaiserreichs ("Das Tagebuch eines
Verrückten", "Ein heller Glanz"), kafkaeske Einflüsse
("Eine Bagatelle"), eine Betrachtung der Veränderung der
eigenen Lebensumstände ("Heimat",) und die der chinesischen
"Durchschnittsbauern" ("Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann") und
vieles mehr; wie einige Gedanken zur chinesischen Oper, zu der
Bedeutung von Zöpfen im Ansehen eines Chinesen und vor allen
Dingen auch hier noch einmal bezüglich der Einstellung des
Autors zu
Katzen und zur Traditionellen Chinesischen Medizin im
Vergleich zur westlichen.
Zwischenzeiten - Zwischenwelten (orig. Pangchuan)
Auch in dieser Kurzgeschichtensammlung gibt es wieder Texte mit eher
kafkaesekn Zügen, wie etwa "Ein Gelehrter namens Gao" und eher
autobiografische zur Veränderung der eigenen
Lebensumstände, wie etwa "Der Einsame". Überhaupt
geht es in vielen der Geschichten um persönliche
Tragödien, die entweder einem Erzähler selbst oder
auch einigen seiner Bekannten aus Kindheitstagen widerfahren sind, um
die Frage nach dem Schreiben über das Glück in der
Ehe und zwischen Brüdern, wobei hier auch wieder eine Kritik
der traditionellen
chinesischen Medizin eine Rolle spielt, und
schließlich gibt es in "Am Pranger" ein wahrlich treffendes
Beispiel für die Vorliebe der Chinesen für
"Straßentheater" in jeder Form, wie man es auch heute selbst
in chinesischen Großstädten noch häufig
sehen kann, und sei es nur beim berüchtigten "Oma-Opa-Tanzen".
Das
trunkene Land (orig. Jiwai ji shiyi)
Hier liegt nun eine Sammlung sämtlicher Gedichte Lu Xuns vor,
zudem eine längere Reminiszenz am Ende. Die Gedichte sind
thematisch vielfältig und aufgeteilt in solche im klassischen
Stil, Gedichte in Umgangssprache und Balladen. Wie in jeder
Gedichtsammlung findet man dabei leicht zugänglich
erscheinende Texte, leicht dahinplätschernde Beobachtungen und
einige eher undurchdringlich wirkende Texte.
Wolfgang Kubin hat als Herausgeber in einem längeren Nachwort
seine eigenen Erfahrungen mit Lu Xuns Welt ab dem Jahr 1968
dargestellt, einschließlich der Arbeiten und Studien, die
schließlich zur vorliegenden Werkausgabe geführt
haben. Dabei setzt er sich mit der in- und ausländischen
Literaturkritik sowie den Problemen der verschiedenen
Übersetzungen des Gesamtwerks auseinander, wobei er auch
einige sehr eklatante Fehler in älteren Übersetzungen
bzw. Übertragungen aufzeigt.
Auch dieser Band endet mit einem umfänglichen
Anmerkungsapparat. Diesmal sind einige der Anmerkungen deutlich
länger ausgefallen, als es die Gedichte sind, auf die sie sich
beziehen, und beinhalten allerlei mehr oder minder interessante
biografische Informationen aber auch verschiedene
Interpretationsansätze.
Man kann diese Werkausgabe mit und ohne die Anmerkungen
genießen, was vom jeweiligen Leseziel eines Interessenten
abhängt. Das Schöne dieser Ausgabeform ist dabei,
dass man tatsächlich die Wahl hat und darüberhinaus
in den Anmerkungen auch immer wieder Hinweise zu
weiterführender Literatur bekommt.
Eine ebenso treffende wie nützliche Darstellung des Werks
eines der wichtigsten Autoren der modernen chinesischen Literatur!
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2015)
Lu
Xun: "Werke"
Studienausgabe in 2 Bänden, herausgegeben von Wolfgang Kubin.
Übersetzer: Ruth Cremerius, Katharina Barten, Gudrun Erler,
Anika von Greve-Dierfeld, Gudrun Fabian, Raoul David Findeisen,
Angelika Gu, Petra Häring-Kuan, Christine Homann, Barbara
Hoster, Wolfgang Kubin (auch Herausgeber) Michaela Link (auch
Herausgeberin), Stefan Meadje, Yu Ming-chu, Florian Reissinger, Sabine
Rott Bettina Schröder, Ekkehard Sillem, Irmagrad Wiesel,
Friederike Wohlfahrt, Thomas Zimmer.
Unionsverlag, 2015. ca. 1600 Seiten.
Bände
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