Gonçalo M. Tavares: "Joseph Walsers Maschine"
Im
Schatten des Krieges
"Joseph Walsers Maschine" ist der zweite Roman einer (allerdings nur
lose verbundenen) Tetralogie des 1970 in Luanda (Angola) geborenen und
in Portugal aufgewachsenen Schriftstellers Gonçalo M.
Tavares, der mit dem Gewinn des "Prémio José
Saramago" auf sich aufmerksam machen konnte. Der erste Roman dieses
Zyklus, der von Tavares mit "O Reino" ("Das Königreich")
betitelt wird, heißt "Klaus Klump: Ein Mann" und ist bisher
noch nicht in deutscher Sprache erhältlich. Der anno 2012
ebenfalls bei der DVA erschienene, zu den literarischen
Höhepunkten des Jahres 2012 zählende Roman "Die
Versehrten" (Originaltitel: "Jerusalem") ist eigentlich der dritte Teil.
"Er war ein seltsamer Mensch, und seine Frau musste
unweigerlich lachen bei seinen Worten. 'Als wären sie
Materialien, die denken', hatte Joseph Walser gesagt.
Natürlich waren die Menschen Materialien, die denken!
Materialien mit einer Seele, würde Margha sogar sagen."
Dass Gonçalo M. Tavares oft in Verbindung mit
Franz
Kafka gebracht wird ist bei näherer Betrachtung nur
allzu verständlich. Auch wenn die extrem reduzierte Prosa des
jungen Portugiesen stilistisch doch ganz andere Wege geht. Was die
beiden Autoren allerdings wirklich verbindet, ist das sich breit
machende Gefühl, trotz glasklarer Prosa in einem dunklen,
gefährlichen Sumpf gefangen zu sein. Die unaufgeregt ruhig und
schnörkellos komponierten Sätze lösen beim
Leser eine ähnlich ausgerichtete Beklemmung aus. Das kommt
auch daher, dass man ebenso wenig weiß, in welcher offenbar
deutschsprachigen, aber gar nicht deutschen Stadt Joseph Walser den
Krieg gegen seine Maschinen führt, der offenbar bald von einem
sich der Stadt nähernden Krieg abgelöst wird, wie man
auch nicht weiß, wo genau Kafkas berühmtes Schloss
denn eigentlich zu finden sei.
"Joseph Walser sah sich unentwegt dem Feind
gegenüber; doch da er effizient war und unentwegt eine
präzise Aufmerksamkeit an den Tag legte, gelang es ihm Tag
für Tag, Jahr für Jahr, diesen Feind auf eine Distanz
zu halten, die es ihm erlaubte, ihn letztlich als Freund zu
betrachten."
Während sich der skurrile und bescheidene Joseph Walser mit
seiner Maschine in einem freundschaftlichen Krieg befindet,
löst der nahende wirkliche Krieg doch so etwas wie Unruhe in
ihm aus, vor allem, da er vermutet, dass es, um auch diesen Krieg
überleben zu können, andere Methoden und Strategien
brauchen würde, als er sie beherrschte. Von dieser Vorstellung
besessen, macht er einen fatalen Fehler und verliert bei einem selbst
verschuldeten Arbeitsunfall mehrere Finger. Er muss feststellen, dass
seine Frau ihn betrügt. Ebenso wird er, ohne es wirklich zu
beabsichtigen oder danach zu bereuen, in seiner Männerrunde
zum Verräter an einem Widerstandskämpfer.
"Doch der Krieg ging weiter, und obwohl der Widerstand erste
Anzeichen von Schwäche aufwies, rissen die Todesfälle
unter den Militärs nicht ab. Das wichtigste Ereignis der
letzten Zeit war die Ermordung Orthos gewesen, jedes bedeutenden
Offiziers und Kriegshelden, der bereits mehreren Attentaten entgangen
war. Er war auf seiner eigenen Hochzeit umgebracht worden. Der Krieg
ging also weiter: wie ein Verrückter oder etwas anderes."
Es ist schwer bis unmöglich, die Zeit näher zu
definieren, in der dieser Roman handelt. Vieles ist bewusst so
altmodisch stilisiert, dass man auf die Mitte des zwanzigsten
Jahrhunderts tippen möchte. Anderes zeigt dafür
eindeutig in unsere Zeit. Die Figuren haben zumeist absurde Namen,
wobei die Palette von Fantasienamen bis zu vermutlich bewussten
Anspielungen auf im zwanzigsten Jahrhundert geschichtlich vorbelastete
Personen reicht. Auch der Krieg wird nicht näher definiert, da
er für sich, schlichtweg symbolisch für Krieg steht,
also alle Kriege per se, ohne die Notwendigkeit, zu definieren, um
welchen es sich handelt. Weil sich der Text so bewusst der Festlegung
auf Ort und Zeit verwehrt, erscheint alles in einem zeitlosen Raum, der
so, losgelöst von den Fesseln der wirklichen Geschichte des
vorigen Jahrhunderts, zeigt, wie ausweg- und sinnlos die Kriege und das
Handeln des Menschen in Wahrheit sind. Ebenso entpuppt sich Joseph
Walsers Maschine als Motor der conditio sine qua non, der notwendigen
Bedingung des Handelns des Menschen.
"Joseph Walsers Maschine" ist ein Roman, der als Antikriegsroman, als
Parabel auf die Unsinnigkeit und Hoffnungslosigkeit der menschlichen
Existenz gelesen werden kann. Großartig von Marianne Gareis
übersetzt, fügt er sich dabei in die erste Reihe
großer Romane ein, die von Nabokovs
"Einladung zur
Enthauptung" bis zu den Romanen
José
Saramagos reicht.
"Joseph Walsers Maschine" ist, mit Verlaub, ein Geniestreich, der
allerdings möglichst kompakt mit den anderen drei Romanen
gelesen werden sollte. Man kann nur hoffen, dass die DVA die anderen
beiden Teile möglichst bald auf den deutschsprachigen Markt
bringen wird. Absolute Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 05/2015)
Gonçalo
M. Tavares: "Joseph Walsers Maschine"
(Originaltitel "A máquina de Joseph Walser")
Aus dem Portugiesischen
übersetzt von Marianne Gareis.
DVA, 2014. 171 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Gonçalo
M. Tavares wurde 1970 in Luanda/Angola geboren und wuchs in Portugal
auf. Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller unterrichtet er
Erkenntnistheorie an der Universität von Lissabon. Seit seinem
Debüt im Jahr 2001 zählt Tavares zu den bedeutendsten
portugiesischen Autoren seiner Generation. Viele seiner Bücher
sind preisgekrönt, u.A. erhielt er den "José
Saramago Preis für Autoren unter 35". Tavares hat gut 20
Bücher publiziert, die verschiedenste Gattungen umfassen,
Lyrik, Dramatik, Romane, Erzählungen, Kinderbücher
und Essays. Sein Werk erscheint weltweit in rund 30 Sprachen.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Die Versehrten"
Gibt es eine Formel für den Schrecken? Theodor Busbeck, Arzt
und Historiker, ist besessen von der Idee, das Übel folge
einer inneren Logik, und er arbeitet fieberhaft daran,
künftige Schrecken im Voraus berechnen zu können.
Seine Exfrau und Patientin Mylia trotzt seit Jahren den Prognosen der
Ärzte über
ihren immanenten Tod; Ernst Spengler, ihr
ehemaliger Geliebter, ist seit seinem Aufenthalt in der Nervenklinik
ein gebrochener Mann und des Lebens überdrüssig, und
Hinnerk Obst ist ein vom Krieg Gezeichneter. In einer schicksalhaften
Nacht treffen all diese Personen aufeinander, und die Gewalt
scheint
unausweichlich ...
Mit lakonisch eindringlicher Stimme erzählt Tavares eine
verstörende Geschichte. "Die Versehrten" ist eine
atemlos-spannende Tragödie und zugleich eine philosophische
Parabel über
das
20. Jahrhundert, "ein
vielschichtiges und bewegendes Drama über die Entfremdung in
der heutigen Welt" (Alberto Manguel). (DVA)
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen