Samanta Schweblin: "Das Gift"


Ein äußerst vielversprechender Debütroman

Nach dem gelungenen Erzählungsband "Die Wahrheit über die Zukunft" (2010, Suhrkamp) hat der deutsche Traditionsverlag nun "Das Gift" veröffentlicht, Samanta Schweblins Debütroman. Und der hat es in sich, auch wenn er "nur" 127 großzügig bedruckte Seiten umfasst.

In Argentinien, irgendwo im Landesinneren, auf einem Gut der Großgrundbesitzer Sotomayor, trinkt ein ausgeliehener, teurer Zuchthengst vergiftetes Wasser. Carlas Mann ist nicht anwesend, und weil sie um den Preis dieses Pferdes weiß, kümmert sie sich gerade um das Bisschen zu lange um das Tier, sodass sie ihren Sohn David nicht mehr daran hindern kann, auch mit diesem Wasser in Berührung zu kommen. Während das Pferd stirbt, kann der Sohn gerettet werden.
Allerdings von der "Frau im grünen Haus", die behauptet, die Heilung nur durch Transmigration möglich machen zu können, in welcher der Geist sich einen anderen Körper sucht und ein anderer Geist in diesen Körper eintritt. In Wahrheit ist das natürlich nur eine oberflächliche Erklärung dafür, dass sich das Wesen des Kindes durch die Vergiftung stark verändert hat. Wie, das weiß man nicht genau.

Jahre später trifft Amanda, eine Städterin auf Urlaub mit ihrer Familie, wieder auf David. In verwirrend virtuos komponierten Dialogen wird nun versucht, ein Bild dessen zu zeichnen, was damals wirklich passiert ist.
"'Als ich eine Entscheidung getroffen hatte, gab es kein Zurück mehr, und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr schien es mir der einzig mögliche Weg zu sein. Ich habe David auf den Arm genommen, und er weinte, vermutlich spürte er meine Angst. Dann verließ ich das Haus. Omar stand mit zwei Männern neben dem Pferd und diskutierte, wobei er sich unentwegt die Haare raufte. Zwei weitere Nachbarn sahen vom hinteren Teil der Koppel aus zu und mischten sich gelegentlich in das Gespräch ein, indem sie ihre Meinung quer über das Feld brüllten. Ich ging weg, ohne dass sie es bemerkten, und gelangte auf die Straße', sagt Carla und zeigt ans Ende meines Gartens, hinter das Tor. 'Dann ging ich zu dem grünen Haus.'"

Als Amandas Tochter Nina ebenfalls mit pestizidverseuchtem Wasser in Berührung kommt, zeichnet sich weiteres Unheil ab ...

Samanta Schweblins "Das Gift" hätte ein großartiger und im literarischen Sinn spannender Roman sein können, die dazu notwendige kongeniale Übersetzung von Marianne Gareis wäre ja vorhanden, wenn da nicht durchgehend diese oft übertrieben unnötige Verwirrung wäre, welche die Autorin definitiv bewusst als Nebel über ihren Text gelegt hat. Verfluchte Orte, verseuchtes Wasser, argentinische Pampa, zwei vielleicht zu exzessiv liebende Mütter und zwei Kinder, deren Handlungen offensichtlich missverstanden werden, die teilweise die nüchternsten Betrachter zu sein scheinen; die Zutaten für einen literarischen Albtraumtext wären vorhanden.

Immer wieder fragt man sich, wer jetzt überhaupt gerade der erzählende Dialogteilnehmer ist, in welcher Zeit man sich jetzt befindet (Davids Vergiftung oder Ninas), was das soll, auch wenn es ein System gibt, das die Zuordnung in den Dialogen erleichtert.
"'Ich habe es vom Fenster aus gesehen, Amanda, ein Loch neben dem anderen, und die ganze Zeit über stand ich mit einem halb abgewaschenen Tiegel in der Hand da. Hatte nicht die Kraft rauszugehen.'
Stimmt das?
Ich habe sie beerdigt, beerdigen ist nicht töten.
Carla sagt, es gibt noch mehr, es gibt da noch was Schlimmeres, das sie mir auch erzählen will."


Die Stimmung dieses Buches ist filmisch besonders präzise gezeichnet, man kann die zigarettenrauchgeschwängerte Luft in den Dialogen oder die brütende Hitze am Feld, die Koppel, Davids Tierbegräbnisse und andere Szenen richtig sehen. Das ist mindestens genauso überzeugend wie einzelne Dialoge, in denen man mit jedem Wort spürt, welch außergewöhnliches Talent in dieser 1978 in Buenos Aires geborenen, derzeit in Berlin lebenden Autorin steckt.

Das erste Zitat bzw. der erste Klappentext auf der Innenseite des Schutzumschlags ist ein Zitat aus der spanischen Literaturzeitschrift "PÁGINA 1 / 2", worin behauptet wird, "Samanta Schweblin wäre die beste Erzählerin ihrer Generation". Das würde der Rezensent nach "Das Gift" (noch) nicht unterschreiben, die Lust und Neugier auf weitere Werke dieser Autorin sind allerdings definitiv geweckt.

(Roland Freisitzer; 08/2015)


Samanta Schweblin: "Das Gift"
(Originaltitel "Distancia de rescate")
Aus dem Spanischen von Marianne Gareis.
Suhrkamp, 2015. 127 Seiten.
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