Christoph Peters: "Der Arm des Kraken"


Wenn die Yakuza in Kreuzberg zuschlägt

Wenn Schriftsteller aus dem Bereich Belletristik einen Kriminalroman wagen, so ist das Resultat nie wirklich vorhersehbar. Sehr oft gelingt ein wunderbarer Roman, der die Kriminalhandlung als Gerüst für gesellschaftspolitische oder tiefenpsychologische Stellungnahme nutzt, wie beispielsweise Antonio Muñoz Molinas äußerst gelungener Roman "Die Augen eines Mörders", oder wo die Krimihandlung stilisiert literarisch auffrisiert wird, hauptsächlich als gelungener Spaß des Autors. Ich gehe davon aus, dass Helmut Kraussers "Aussortiert" ebenso aus diesem Grund entstanden ist, wie auch Franzobels Serie über den Wiener Inspektor Groschen. Diese Romane sind oft Zwitterwesen, dem eingefleischten Krimileser zu wenig Krimi, oder zu literarisch, dem durchschnittlichen Belletristik-Leser dann vielleicht doch zu krimihaft. Wenn beim Leser Bereitschaft vorhanden ist, Schubladendenken zu ignorieren, dann kann man in diesem Metier aber wirklich wunderbar literarische Unterhaltung im etwas morbiden Bereich entdecken.

Natürlich nur ein paar Beispiele, da es sich ja hier um Christoph Peters neuesten Roman "Der Arm des Kraken" handelt. Auch dieser Roman dürfte in erster Linie ungebändigten Spaß des Autors an einem imaginären Berliner Blutbad als Motivation gehabt haben. Und darüber kann sich jeder Leser dieses Romans nur freuen.

Wie erwartet, man kennt ja Christoph Peters als ausgezeichneten Stilisten seines Metiers, ist schon auf den ersten Seiten klar, dass dieser Kriminalroman literarisch weit über der Masse der Krimi- und Thrillerliteratur steht. Auch wenn der Autor eine bewusst frechere Dialogform wählt, als in seinen anderen Romanen.

"In dem schmalen Raum zwischen einer Reihe einzementierter Natursteinbrocken, die eine Atmosphäre von Wildbach schaffen sollten, und der Mauer, vor der in wenigen Minuten auf einer Breite von vier Metern eine Wand Sturzwasser niedergehen würde, lag ein junger Mann mit weit geöffneten Augen, die schräg hinauf in den Himmel starrten, und einem scharf umrissenen, blutig violettfarbenen Loch unterhalb des Kinns. Sobald der Wasserfall ansprang, würde man ihn von hier oben aus nicht mehr sehen."

Gleich im ersten Kapitel befindet man sich in der Mitte eines morgendlichen Treffens von Hundehaltern im Park, die gleich die alles in Gang setzende Leiche eines Japaners finden werden. Peters' Beobachtungsgabe fördert hier wundervolle, kleine Details zutage, die das Geschehen immens beleben und spannend machen. Fast noch stärker gleich darauf, ein über ein ganzes Kapitel gehender Gedankenmonolog der Kommissarin, der vielleicht gar darauf bedacht ist, alle Henning Mankell-Leser, die sich bis hierher verirrt haben, zu verscheuchen. Möglicherweise auch nicht, den Effekt könnte dieses Kapitel allerdings haben.

Obschon das Opfer Japaner ist, fällt der Verdacht rasch auf die Vietnamesen, die hier das Geschäft aus dem Hintergrund koordinieren und kontrollieren.
Zusätzlich trifft ein anderer Japaner in Berlin ein. Fumio Onishi, Angestellter der Yakuza und Auftragsmörder ohne Skrupel. Er soll klären, wer Yuki (ebenfalls Yakuza-Angestellter) getötet hat. Bei seinen Ermittlungen zieht er gleich eine Blutspur des Schreckens durch Kreuzberg.

Natürlich hat Kommissarin Bartsch wenig bis keine Ahnung, mit wem sie es hier zu tun hat. Und Fumio Onishi ist ein Mörder, der besondere ethisch-moralische Grundsätze hat und stur seinen Regeln folgt. Eine interessante, bewusst klischeegeladene Auseinandersetzung mit Klischees zwischen den Kulturen Deutschlands und Japans.

"Fumio Onishi ging weder zügig noch langsam, bemühte sich, seine Atmung zu kontrollieren, nichts zu denken, nur wahrzunehmen, was vorhanden war, rechts, links, vor, hinter, über und unter ihm, so, wie er es von Meister Harada gelernt hatte. 'Du musst auch das Nichtsichtbare erfassen, achte auf die unscheinbarsten Kleinigkeiten'."

Die Handlung ist wirklich spannend und zieht den Leser immer weiter in die Geschichte, die sich zusehends verdichtet und ungebremst auf ihr tatsächlich unvorhersehbares Ende zusteuert, hinein.

Zusätzlich ist "Der Arm des Kraken" ein herrlicher Berlinroman, der fesselt und gänzlich überzeugend ist. Sowohl als Krimi, als auch als literarisches Werk.
Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 09/2015)


Christoph Peters: "Der Arm des Kraken"
Luchterhand Literaturverlag, 2015. 347 Seiten.
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