Leonardo Padura: "Die Palme und der Stern"
José
Maria Heredia gilt vielen als der Vater der eigenständigen
kubanischen Dichtkunst und auch des Gedankens eines
unabhängigen Kubas. Geboren zu Beginn des 19. Jahrhunderts als
Sohn eines Beamten des damaligen spanischen Königs, dessen
Besitz Kuba zu diesem Zeitpunkt war, wächst er ab seinem
dritten Lebensjahr erst einmal in Penascola, einigen
kontinental-amerikanischen Küstenstädten und
Venezuela auf, bevor seine Familie in seinem 14. Lebensjahr auf die
Insel zurückkehrt.
In geradezu Proustscher
Manier verliebt er sich zunächst in
den Geruch der Insel, die immer noch unter spanischer Herrschaft steht
und ein wichtiger Umschlagspunkt des Sklavenhandels ist. Und es ist der
Ort, an dem der junge Heredia beschließt, seine
Dichterkarriere zu beginnen - und wenig später auch seine
politische Karriere als Befürworter der
Unabhängigkeitsbewegung, die er mit mehr Idealismus als
politischem Durchblick betreiben soll. Seine - vergleichsweise kurze -
Lebensgeschichte soll er in einem verschollenen autobiografischen Roman
niedergelegt haben, den Leonardo Padura auf der Grundlage seines
Schreibstils und der historischen Daten, die man über Heredia
hat, zu rekonstruieren versucht.
Leonardo Padura erhielt übrigens im Jahr 2015 den mit 50.000
Euro dotierten "Prinzessin-von-Asturien-Preis" in der Sparte Literatur.
Die in Ich-Form geschriebene Erzählung ist nur ein
Handlungsstrang des Romans "Die Palme und der Stern". In
chronologischer Reihenfolge gibt es dann noch die Erzählung um
José de Jesús, einen Nachfahren Heredias, der
finanziell mehr und mehr ins Elend stürzt und
schließlich kaum noch etwas hat, um seine medizinische
Versorgung zu bezahlen. Er hat die Idee, mit Hilfe von Informationen
aus dem unveröffentlichten Manuskript seines
Großvaters zu Geld zu kommen; doch dummerweise hat er es der
Freimaurerloge,
in der bereits sein Großvater Mitglied war,
zur Aufbewahrung gegeben, und nach einer Polizeirazzia sind etliche
Unterlagen der Loge verschollen. Darunter auch das fragliche Manuskript.
Der junge Dichter
und Politaktivist Fernando Terry und seine Freunde
haben in ihrer Studienzeit und kurz danach nach dem Heredia-Manuskript
gefahndet, doch verschiedene unglückliche Umstände
zwingen Fernando, Kuba zu verlassen und die nächsten
Jahrzehnte im Exil zu leben - so ähnlich wie Heredia die
meiste Zeit seines kurzen Lebens, von dem er tatsächlich nur
sechs Jahre auf seinem geliebten Kuba verbracht hat. Nun kehrt er auf
die Insel zurück, immer noch überzeugt, dass ihn
einer seiner damaligen Kameraden verraten und so sein Leben versaut hat
- genau, wie Heredia sein Leben im Exil als eine unangemessen grausame
Strafe erlebt hat, obwohl es ihm objektiv gesehen beruflich dort besser
gegangen ist.
Gerade in den "Tagebuch"-Passagen ist "Die Palme und der Stern"
überaus expositorisch, d.h. es wird viel erzählt und
erläutert, und es gibt nur wenige zeigende Passagen; und die
sind meist auf einzelne Szenerien bezogen und nicht notwendigerweise
handlungsrelevant. Man muss dazu allerdings sagen, dass dies - genau,
wie die häufige Nabelschau des Erzählers - sehr
typisch für die Literatur des 19. Jahrhunderts ist und diese
Passagen als das, was sie sein sollen, recht authentisch wirken. Die
Handlungsfragmente zu José de Jesús sind zum Teil
ziemlich lückenhaft, und die Charaktere wirken in diesen
Bereichen nicht gerade besonders ausgearbeitet.
Tatsächlich sind die Charaktere in Fernandos
Erzähllinie am besten ausgearbeitet; wohl auch, weil sie
annähernd in jener Zeitperiode stattfindet, die Padura in
seinen anderen Romanen schwerpunktmäßig als
Hintergrund verwendet hat. Fernando weist in seiner Biografie - und
auch in seinem Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens - sehr
große Ähnlichkeiten mit José Maria auf.
Das bezieht sich leider auch auf das durchgehende Gejammer auf sehr
hohem Niveau, das insbesondere Fernandos Freunden mit der Zeit
fürchterlich auf die Nerven geht. Gerade diese
"Jammer"-Passagen gestalten die Lektüre der
Handlungsstränge um diese beiden Hauptcharaktere zum Teil eher
zäh.
Sicherlich wird in "Die Palme und der Stern", das spanischsprachige
Original ist bereits im Jahr 2002 erschienen, eine bedeutende Figur der
kubanischen Literaturgeschichte vorgestellt, und anhand des Vorworts
und des Nachworts erhält der Leser auch eine gute Einordnung
der fiktiven Romanhandlung in die mögliche historische
Realität, aber mit seinen ausgiebigen
Namenserwähnungen in Bezug auf die spanische und kubanische
Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist dieses Buch
nicht unbedingt leicht zugänglich, wenn man in diesem Bereich
nicht schon ein wenig bewandert ist.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2015)
Leonardo
Padura: "Die Palme und der Stern"
(Originaltitel "La novela de mi vida")
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein.
Unionsverlag, 2015. 461 Seiten.
Buch
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