Amos Oz: "Judas"
Dieser
Roman ist, obwohl der Autor die Handlung unverdächtig in das
Jahr 1959 verlegt hat, von hoher Aktualität und steckt voller
Anspielungen auf die gegenwärtige Politik in Israel und den
Zustand seiner zerrissenen Gesellschaft. Gleichzeitig ist er ein
Liebesroman und eine theologisch spannende Auseinandersetzung mit dem
Phänomen des Verrats im Allgemeinen und mit der Figur des
Jesusjüngers Judas im Besonderen.
Wir befinden uns zu Beginn des Romans in Jerusalem, Ende 1959. Der
junge Schmuel Asch ist an einen vorläufigen Tiefpunkt seines
Lebens gekommen. Seine Verlobte hat ihn verlassen und einen anderen
Mann geheiratet. Sein Vater ist in Konkurs gegangen und kann ihm sein
Studium nicht mehr finanzieren. Und mit seiner Magisterarbeit
über "Jesus in den Augen der Juden" steckt er auch fest - je
tiefer er in die Materie eindringt, desto klarer wird ihm, dass zwei
Jahrtausende völlig gereicht haben, zu diesem Thema alles zu
sagen. Er beschließt alles, was er hat, zu verkaufen und in
die Wüste zu gehen. Er will dort bei einem Siedlungsprojekt
als Hilfskraft arbeiten. Da entdeckt er am Schwarzen Brett der
Universität ein Stellenangebot: Gesucht wird ein
Gesprächspartner für einen gebildeten, gehbehinderten
alten Mann; geboten wird etwas Geld sowie freie Kost und Logis.
Der alte Mann, er heißt Gerschom Wald, lebt nicht allein. Mit
im Haus wohnt seine schöne Schwiegertochter Atalja, in die
sich Schmuel schnell verliebt. Sie jedoch ist sehr
zurückhaltend mit ihrer Zuneigung, genauso wie mit
Informationen über ihre Geschichte und ihr Leben. Erst im
langen Verlauf des Romans offenbaren sich die Geheimnisse ihrer
Vergangenheit sowie der ihres Vaters. Er war eine der
führenden Persönlichkeiten bei der Gründung
des Staates Israel. Seine idealistischen Vorstellungen vom
künftigen Zusammenleben von Juden und Arabern hatten zum
Zerwürfnis mit denen geführt, die dann die Teilung
Palästinas durchsetzten, z. B. David Ben Gurion, und damit zum
unrühmlichen Ende seiner politischen Karriere. Fortan galt er
als Verräter.
Als Verräter gilt auch seit 2000 Jahren im ganzen christlichen
Abendland der Jesusjünger Judas Ischarioth. Schmuel fragt sich
im Rahmen seiner Forschungen immer wieder, wieso der wohlhabende Judas
seinen Herrn für dreißig Silberlinge an die
Römer ausliefert, und er, (respektive Amos Oz), entwickelt
eine Theorie, die Judas und seine Motivationen in
einem ganz anderen
Licht erscheinen lässt. Judas war wohl von Jesus als dem
Messias so überzeugt, dass er mit der Verhaftung Jesus dazu
bringen wollte, sich nun endlich zu offenbaren und sozusagen als
glorreicher Retter vom Kreuz zu steigen. Und sein Selbstmord ist
demnach nicht Ausdruck von Schuldgefühlen, sondern von
endloser Enttäuschung über seinen theologischen
Irrtum.
Lizzie Doron hat in ihrem etwa zeitgleich mit Oz' Buch "Judas" in
Deutschland erschienenen Roman "Who The Fuck Is Kafka"
die
Überzeugung vertreten, dass die beiden verfeindeten
Völker, wollen sie eine Chance haben, zu überleben,
das Unverständnis füreinander überwinden
müssen. Gleichzeitig ist sie sich mit David Grossmann und
vielen Anderen einig, dass ohne die israelische Armee das Land schon
längst nicht mehr existieren würde, und die Juden,
wie es Nasser zuerst formulierte, von den Arabern ins Meer getrieben
worden wären.
Amos Oz legt dem greisen Gerschom Wald, den er mit dem jungen Schmuel
unzählige Gespräche über die Geschichte
Israels führen lässt, im Jahr 1959 etwas in den Mund,
das in der Gegenwart nach wie gültig ist:
"Die Wahrheit ist, dass alle Macht der Welt den Feind nicht in
einen Freund verwandeln kann. Man kann den Feind zum Sklaven machen,
aber nicht zu einem Liebenden. Mit aller Macht der Welt kann man einen
Fanatiker nicht zu einem aufgeklärten Menschen machen. Und mit
aller Macht der Welt kann man aus einem Rachedurstigen keinen Freund
machen. Und genau da liegen die existentiellen Probleme des Staates
Israel: einen Feind zum Liebenden zu machen, einen Fanatiker zu einem
Gemäßigten, einen Rachsüchtigen zu einem
Freund."
Auch die Haltung seiner Schwiegertochter Atalja, (sie hat ihren Mann,
Walds Sohn, im Unabhängigkeitskrieg verloren), könnte
in der Gegenwart und für die Gegenwart formuliert sein, was
sicher auch die Absicht von Oz war:
"'Einen Staat habt ihr gewollt', schleudert sie Gerschom Wald
entgegen als spucke sie ihre Worte aus. 'Unabhängigkeit habt
ihr gewollt. Ihr habt ganze Flüsse reinen Blutes vergossen.
Ihr habt eine ganze Generation geopfert. Ihr habt Hunderttausende
Araber aus ihren Häusern vertrieben. Ihr habt Schiffsladungen
von Hitler-Überlebenden direkt vom Kai aufs Schlachtfeld
geschickt. Nur damit es hier den Staat der Juden gab. Und jetzt kann
man sehen, was ihr bekommen habt.'"
Wie Lizzie
Doron ist auch Amos Oz, wie David Grossmann und viele
Andere, bei aller auch fundamentaler Kritik davon überzeugt,
dass die militärische Macht und ihr Einsatz notwendig sind, um
den schnellen Tod Israels und seiner jüdischen
Bevölkerung zu verhindern. Ohne die Armee hätten die
Araber ihre seit Nasser immer wieder wiederholte Drohung wahrgemacht
und die Juden ins Meer getrieben.
Es war und ist eine verzweifelte Zwickmühle, die da mit
großer literarischer Kunst beschrieben wird. Während
der Lektüre spürt der Leser geradezu
körperlich die Qual, die Intellektuelle wie Doron, Oz oder
Grossmann nicht erst seit gestern aushalten. Der Rezensent kann es
allen Menschen sehr empfehlen, die sich, aus welchen Gründen
auch immer, weigern, die Hoffnung für dieses Land und seine
Menschen aufzugeben, und denen die einseitige Parteinahme für
die Palästinenser von vielen Medien und den Linken gegen den
Strich geht.
Und doch schleicht sich beim Leser immer mehr die Gewissheit ein, dass
es für den Konflikt zwischen Juden und Arabern keine
Lösung gibt und auch in baldiger Zukunft nicht geben wird.
Warum man dennoch nicht aufgeben darf, das hat Amos Oz mit seinem
vielleicht besten Buch literarisch großartig gezeigt.
(Winfried Stanzick; 03/2015)
Amos
Oz:
"Judas"
(Originaltitel "Habesorah al pi Yehuda")
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
Suhrkamp, 2015. 335 Seiten.
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Beck)
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