Petros Markaris: "Zurück auf Start"
Ein Fall für Kostas Charitos
Auch
dieser Krimi von Petros Markaris ist einer, der nicht nur im
Griechenland der Krise spielt, sondern sich von dieser nährt,
nicht zuletzt Tatmotive mit ihr verknüpft. Das Buch ist in
Griechenland,
wo die Auswirkungen der Krise bekanntlich bedeutend heftiger als
anderswo in Europa zum Tragen kommen,
2012, also noch vor der SYRIZA-Regierung,
die zumindest eine atmosfärische
Veränderung bewirkt hat,
herausgekommen.
Außerdem beschäftigt sich Markaris in dem Buch
ausgiebig mit den Fünfziger Jahren in Griechenland und den
Folgen des vorausgegangenen
Griechischen Bürgerkrieg 1946-1949, der mit einem Sieg der
rechten Regierung über
den bewaffneten Arm der
Kommunistischen Partei Griechenlands endete. Der Bürgerkrieg
hinterließ ein verwüstetes, verarmtes und
traumatisiertes Land, wo insbesondere die Verlierer oft kaum das
tägliche Brot für ihre Familien verdienen
konnten und ihr Heil im Ausland, in erster Linie in
Deutschland, suchten, auch wenn sie für den dazu
erforderlichen Reisepass unter Umständen eine
Reueerklärung unterschreiben mussten.
So ein Grieche, der als Kind mit den Eltern nach Deutschland ausgewandert ist, nun, in Krisenzeiten, mit der Absicht, seinem Land zu helfen, nach Griechenland zurückgekehrt ist und in Athen eine Firma zum Errichten von Windrädern führt, wird denn auch zum ersten Opfer. Alles deutet auf Selbstmord hin, wozu der etwas naive, korrupten Praktiken abholde Mann im übrigen Gründe gehabt hätte, wäre da nicht ein anonymes Schreiben an die deutsche Botschaft, das behauptet, Makridis' Tod sei Mord gewesen, unterzeichnet mit "Die Griechen der fünfziger Jahre". Einzig Kostas Charitos will das Schreiben nicht so recht als üblen Scherz abtun, und da er ein Kommissar mit feinem Gespür ist, erhält er alsbald die Bestätigung: der Leiter eines Nachhilfeinstituts wird erschossen aufgefunden, diesmal sicher nicht durch eigene Hand, mit einer altertümlichen Waffe, einem Smith & Wesson-Revolver, wie ihn die griechische Armee im Bürgerkrieg verwendete, dazu passend im Netz ein Bekennerschreiben: "Die Griechen der fünfziger Jahre" schicken es gemeinsam mit einer alten Schwarzweiß-Fotografie griechischer Schulkinder und rufen außerdem zu einer radikalen Reform des Bildungswesens sowie generell zu einer Rückbesinnung auf - zurück auf Start!
Auf der Verbrecherjagd - es gesellen sich bald weitere Morde hinzu - begleiten wir Kostas Charitos durch die unterschiedlichsten, die Kluft von Arm und Reich zur Schau stellenden Stadtviertel eines durch die Krise entstellten, gewaltbereiten Athens, "tags wirkt die Stadt müde, abends todtraurig" heißt es, wenigstens der Autoverkehr ist aufgrund verbreiteter Sparnotwendigkeit stark zurückgegangen. Die Tristesse der Umgebung sickert auch in das Privatleben des Kommissars. Der in Mittelgriechenland lebende Vater seines Schwiegersohns muss von der Steuerlast erdrückt sein Geschäft aufgeben und hat mit seiner Frau der Einladung, doch eine Zeitlang bei der Familie Charitos in Athen zu leben und da seine neue Situation in aller Ruhe zu überdenken, Folge geleistet, wodurch die Wohnung enger und das Haushaltsgeld knapper wird - ein Glück, dass Frau Charitou aus dem Nichts Delikatessen vorzusetzen vermag, ein Pech allerdings, dass sie gern auf Polizisten schimpft. Des Ehepaares Tochter wiederum, eine Anwältin, wird, da sie einen somalischen Einwanderer vertritt, von Schlägern der "Goldenen Morgenröte", der faschistischen Partei des Landes, brutal verprügelt. Dies gibt nicht nur Anlass zu großer Sorge, sondern zur Beschäftigung mit der Unterwanderung der Polizei durch gewalttätige Elemente, denen mit einer fahrlässigen, wenn auch verständlichen Rücksichtnahme begegnet wird - Wachhunde der Macht werden benötigt, wenn wieder einmal Massendemonstrationen das Land gänzlich ins Chaos zu stürzen drohen. Die von Morgenrötesympathisanten offen zur Schau gestellte Zuwandererfeindlichkeit stößt in einem Land, wo sich Arme von Bettelarmen bedroht fühlen, kaum auf ernsthaften Widerspruch. Der Athener Alltag zeigt sich von Korruption bestimmt, in vielen öffentlichen Ämtern läuft ohne Schmiergelder nichts, in manchen muss man sogar von einem regelrechten Schattenstaat sprechen. Den moralischen Verfall, der von Vielen Besitz ergriffen hat, bringt ein in die Mordfälle verwickelter Bauunternehmer auf den Punkt, dessen Menschenbild sich auf zwei Kategorien reduziert hat: viele Mafiosi, die schmieren und schmieren lassen, und wenige Sturköpfe, die das nicht tun.
Alledem setzt Kostas Charitos seine unverzagte Energie und eine kritische Menschenfreundlichkeit entgegen. Der Kommissar, der in der ersten Person und dem im Griechischen gern zur Stärkung von Unmittelbarkeit verwendeten Präsens erzählt, ist eine sehr menschliche Figur mit Temperament, besseren und schlechteren Tagen. Er spricht die einfache Sprache des Volkes, erweist sich in seinen Beobachtungen als heller Kopf, der sich nicht scheut, die Dinge, wie er sie sieht, beim Namen zu nennen, und bekämpft in Wort und Tat Vorurteile oder bestätigt manchmal augenzwinkernd welche, vor allem, wenn es um das deutsch-griechische Verhältnis, personifiziert durch den in Griechenland heimisch werdenden Freund der Freundin der juristischen Tochter, geht. "Zurück auf Start" ist ein Krimi mit einem sympathischen Kommissar, einem spannenden, sich erst auf den letzten Seiten klärenden Fall und der intelligenten Beschäftigung mit den Ursachen und Folgeerscheinungen der Krise nicht nur Griechenlands.
(fritz; 04/2015)
Petros
Markaris: "Zurück auf Start.
Ein Fall für Kostas Charitos"
(Originaltitel "Títloi télous. O
epílogos")
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes, 2015. 368 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Weitere
Buchtipps:
Luc Boltanski: "Rätsel und Komplotte. Kriminalliteratur,
Paranoia, moderne Gesellschaft"
Was hat die Kriminalliteratur mit der Paranoia und den
Sozialwissenschaften zu tun? Dieser Frage geht Luc Boltanski in seinem
höchst originellen Buch nach. Seine Antwort: Wie die
Sozialwissenschaften entsteht auch die Kriminalliteratur um die Wende
vom 19. zum 20. Jahrhundert, und in diese Zeit fällt auch die
Entdeckung der Paranoia in der
Psychiatrie.
Zusammen zeugen sie von einem sich zunehmend verbreitenden Zweifel an
der "Realität der Realität", der als Symptom der
Moderne gelten kann. Boltanski deckt diesen faszinierenden Zusammenhang
zwischen Kriminalliteratur, Paranoia und Wissenschaft insbesondere
durch fulminante Analysen der Romane von Arthur Conan Doyle und
Georges
Simenon auf. (Suhrkamp)
Buch
bei amazon.de bestellen
Klaus
Theweleit: "Das Lachen der Täter: Breivik u.a. Psychogramm der
Tötungslust"
Aus der Reihe "Unruhe bewahren" in Kooperation mit der Akademie Graz.
Vom Lachen der Killer wird in zahlreichen
Fällen berichtet, aber selten wird es in seiner zentralen
Bedeutung gedeutet - so die provokante These dieses Psychogramms. In
den "Männerphantasien" wagte Theweleit erstmals eine
Beschreibung des gewalttätigen faschistischen Mannes und
seines innerlich fragmentierten, äußerlich aber
gepanzerten Körpers. Auf diese bahnbrechende Theorie greift er
nun zurück, um die brutalen Mordtaten zu untersuchen, mit
denen uns die Aktualität täglich konfrontiert: Anders
Breivik, der selbsternannte Tempelritter, der 67 Jugendliche auf der
norwegischen Insel Utøya erschießt; die Killer des
"Islamischen Staats", die grausame Köpfungen im Internet
ausstellen; fanatisierte Attentäter, die die Karikaturisten
von "Charlie Hebdo" hinrichten; Kindersoldaten, die im Genozid an der
Tutsi-Bevölkerung in
Ruanda gelernt haben, zu morden und zu
vergewaltigen.
Ihnen allen gemeinsam ist "das Lachen der Täter", in dem sich
eine Tötungslust offenbart, die die jeweilige politische
Begründungssprache nur unzureichend verbergen kann. (Residenz)
Buch
bei amazon.de bestellen