John Freely: "Kopernikus"
Revolutionär des Himmels
Der
Astronom aus dem entlegensten Winkel der Welt
Niklas Koppernigk (1473-1543), den wir heute eher als Nikolaus
Kopernikus oder Nicolaus Copernicus kennen, gilt zweifelsohne als
Einer, der die Welt augenscheinlich und sprichwörtlich auf den
Kopf stellte. Nach den großen Astronomen der Antike, die
bereits den Umfang der Erdkugel zu berechnen wussten, war er nach 1400
Jahren der Erste, der den Umlauf der Planeten - und so auch der Erde -
um die Sonne erkannte und mathematisch beweisen konnte. Somit schuf er
in seinem Werk "De revolutionibus orbium coelestium" das
heliozentrische Weltbild. Auch wenn "revolutio" hier nichts Anderes
bedeutet als Umdrehung, war er als Astronom ein Revolutionär -
somit passt zumindest der Titel des vorliegenden
populärwissenschaftlichen Werks.
John Freely, der 1926 geborene Autor, lehrte bis zu seiner
Pensionierung Physik und Wissenschaftsgeschichte an
Universitäten in Istanbul; außerdem
veröffentlichte er zahlreiche Reisebücher und
historische Sachbücher über das antike Griechenland
und vor allem den Nahen und Mittleren Osten. Aus diesem Spezialwissen
versteht man auch die Wichtigkeit, die der Autor der Vermittlung
antiker Wissenschaft durch islamische Gelehrte zumisst. Kopernikus
lernte die entsprechenden Werke meist während seiner
Studienjahre an der Universität Krakau und vor allem in Padua
und Bologna kennen. Als Arzt, Domherr, verhandlungserfahrener Kanzler
und bestens mit den bedeutendsten Gelehrten Mitteleuropas vernetzter
Gelehrter verbrachte er dann den Rest seines Lebens
überwiegend in Frauenburg (heute Frombork) im heutigen
Nordostpolen. Als "entlegensten Winkel der Welt"
pflegte er seinen Wohnort im Fürstbistum Ermland zu benennen.
Die
Renaissance war vor allem eine Zeit der Wiederentdeckung und
der kritischen Lektüre antiker Schriften. Offenkundig in
dieser Tradition reiht John Freely eine Fülle von angelesenen
Informationen aneinander, verkettet längere Zitate -
meist, doch nicht immer, Schlüsselstellen - von Kopernikus'
Werken (oder jener seiner Vorgänger, Nachfolger und Kritiker)
mit oftmals nur kurzen eigenen Texten. Dabei bedient er sich
ausführlich der zweifellos richtungweisenden Bücher
der us-amerikanischen Wissenschaftshistoriker Edward Rosen (1906-1985)
und Owen Gingerich (geb. 1930). Nicht jedes der zahlreichen Zitate und
bei Weitem nicht jede Detailinformation erhellt sich in dieser
Darstellungsweise dem zwar interessierten, nicht aber
astronomiegeschichtlich vorgebildeten Leser. Ein Aussieben der
Informationsfülle, eine Konzentration auf die wesentlichen
Elemente der Biografie und des Werks von Nikolaus Kopernikus und vor
allem eine zusätzliche Darstellung der astronomischen
Vorstellungen und Berechnungen in Diagrammen oder Grafiken
wären für das Verständnis durchaus hilfreich
gewesen. Im ganzen Buch finden sich nur sieben Abbildungen, meist
Wiedergaben von Buchillustrationen aus Kopernikus' Zeiten! Auch eine
Zusammenfassung oder Zeittafel fehlt.
Ärgerlicher noch ist eine gewisse Schludrig- und
Schlampigkeit, die im Einzelfall nicht klar trennbar Autor,
Übersetzer oder Lektor zu verantworten haben: Meist
heißt die beschriebene Person Kopernikus, manchmal auch wie
im Englischen Copernicus, (Seite 316); Nicolai Copernici wird als "Variante"
(Seite 10) bezeichnet, nicht als Genitiv erkannt. Der Werktitel
"Copernicana de motu terra sontoniam explicani", der nur
oberflächlich lateinisch aussieht, es aber nicht ist (Seite
137), oder der Name Sigismund von Halberstein (statt Herberstein, Seite
135) mögen auf fehlerhaftes Abschreiben bei den Recherchen
zurückzuführen sein.
Damit verliert das wissenschaftsgeschichtliche Buch bei sorgsamer
Lektüre trotz vieler interessanter und wahrscheinlich
richtiger Fakten langsam den Anspruch, als historisch und inhaltlich
richtig wahrgenommen zu werden. Weitere Beispiele? Kopernikus' erster
Biograf Pierre Gassendi verfasste sein Werk laut Seite 6 im Jahr 1554
(falsch), laut Seite 10 hundert Jahre später (richtig).
Moldawien - so wie der heutige Staat östlich von
Rumänien, englisch Moldova - und Wallachei sind falsche, nur
halb aus dem Englischen (Moldavia and Wallachia)
übersetzte historische Ländernamen, richtig
wären Moldau und Walachei (Seite 139). Ähnlich ist es
mit der teils ungewöhnlichen Wiedergabe von polnischen
Königsnamen oder den Deutschordensrittern, die ab Seite 12
durchgehend zu "Deutschrittern" verkürzt wurden.
Dennoch: Wer das Buch aufmerksam liest, findet viel Interessantes aus
einer Zeit, in der mit wissenschaftlichen Methoden erstmals nicht nur
die Erde ihres geglaubten Platzes verwiesen wurde, sondern die bekannte
Welt größer und die Religionsgemeinschaften kleiner
wurden. Kopernikus war Zeitgenosse von
Christoph
Kolumbus (1451-1506) und
Martin
Luther (1483-1546). Letzterer nannte den katholischen
Domherren Kopernikus nachweislich einen Narren.
(Wolfgang Moser; 10/2015)
John
Freely: "Kopernikus. Revolutionär des Himmels"
(Originaltitel "Celestial Revolutionary. Copernicus, the Man and His
Universe")
Übersetzt von Enrico Heinemann.
Klett-Cotta, 2015. 372 Seiten, mit s/w Abbildungen.
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Weitere
Buchtipps:
Dava Sobel: "Und die Sonne stand still. Wie Kopernikus unser Weltbild
revolutionierte"
Schon um das Jahr 1514 verfasste Nikolaus Kopernikus eine erste Skizze
seiner heliozentrischen Theorie. Nicht die Erde stand demnach im
Mittelpunkt des Universums, sondern die Sonne, und die Planeten
umkreisten sie. Diese Schrift war revolutionär, aber nur einem
kleinen Kreis von Astronomen bekannt. Anhand zahlloser
Sternenbeobachtungen entwickelte Kopernikus seine Theorie weiter, das
betreffende Manuskript hielt er jedoch unter Verschluss. Die
geheimnisumwitterte Existenz dieser Schrift trieb Wissenschaftler in
ganz Europa um. Im Jahr 1539 begab sich schließlich der junge
deutsche Mathematiker Georg Joachim Rheticus nach Frauenburg, um
Kopernikus zu überreden, sein Werk zu
veröffentlichen. Unter dem Titel "De revolutionibus orbium
coelestium" ("Über die Umschwünge der himmlischen
Kreise") sollte das Buch unser Verständnis von unserem Platz
im Universum für immer verändern.
Elegant erzählt Dava Sobel die Geschichte der Kopernikanischen
Revolution und bettet sie in die Geschichte der Astronomie von
Aristoteles bis zum Mittelalter ein. (Berlin)
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Lars
Jaeger: "Die
Naturwissenschaften. Eine Biografie"
Mit "Die Naturwissenschaften. Eine Biografie" legt
Lars Jaeger ein Grundlagenwerk vor, das auch Lesern ohne Vorkenntnisse
anschaulich und verständlich in großen verbindenden
Bögen die Geschichte der Naturwissenschaften von ihren
Ursprüngen bis heute erzählt und erklärt.
Dabei wird nicht nur deutlich, wie sehr das abendländische
Denken vom jeweiligen Forschungsstand beeinflusst wurde; der Autor
zeigt auch auf, wie wichtig ein Verständnis der Entwicklung
der Naturwissenschaften für die kluge Gestaltung unserer
Zukunft ist. Denn mit den immer schnelleren technologischen
Veränderungen zeichnen sich heute bedeutende
Umwälzungen in unserem Denken und Leben ab, die auch neue
erkenntnistheoretische und ethische Fragen aufwerfen.
Lars Jaeger liefert beides: Orientierungshilfe und spannende
Lektüre. Indem er den "Lebensweg" der Naturwissenschaften in
seiner ganzen Dramatik beschreibt, gelingt es ihm zugleich, etwas
Grundlegendes zu vermitteln: die große Magie des Wissens. Ein
Buch zum Eintauchen und Festlesen. (Springer Spektrum)
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Heinz Oberhummer, Martin Puntigam, Werner
Gruber: "Das Universum ist eine Scheißgegend"
Wissenschaftlich fundiert und voller schwarzem Humor erklären
die "Science Busters" das Weltall.
Das Universum riecht komisch, klingt komisch und ist so gut wie
leer.
Fast überall wird man entweder verstrahlt, bekommt keine Luft
oder verbrennt. Und das sind noch die schönsten
Plätze. Mit anderen Worten: Das Universum ist eine
Scheißgegend. Oder, um mit Gerhard Polt zu sprechen: "Dort
fahren wir nicht mehr hin." In diesem Buch geben die beiden Physiker
Prof. Heinz Oberhummer und Werner Gruber sowie der
preisgekrönte Satiriker Martin Puntigam eine Reisewarnung und
erklären, warum der Kosmos kein Streichelzoo ist, wo man gegen
außerirdische Bakterien unterschreiben kann, was sich
Sternschnuppen wünschen, wenn sie einen Menschen sehen, wie
das Universum endet - und wer das dann alles zusammenräumen
muss. (Hanser)
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Manfred Rumpl: "Reisende in Sachen
Relativität"
Physikgenie auf der Suche nach der Formel zur Vermessung der Welt.
Erwin
Schrödinger, Nobelpreisträger für
Physik und Weggefährte Albert Einsteins, treibt ein
großer Traum an: der Traum von Wahrhaftigkeit und Wahrheit,
die Verschmelzung von Physik und Metaphysik. Er ist ein ewig
Suchender,
ein Getriebener von dem Verlangen nach Erkenntnis ebenso wie von
seiner
Liebe zu den Frauen: Viele begehrt er, viele verführt er - und
stets ist da Anny, seine Frau, die ihm alles verzeiht. Die
Besessenheit
von der "Theorie von Allem", einer umfassenden Darstellung des
Innersten der Welt, die er gemeinsam mit Albert Einstein zu denken
beginnt, lässt ihn auf seiner rastlosen und von
gesellschaftlichen Skandalen begleiteten Reise von einem Kontinent
auf
den anderen bis an sein Sterbebett nicht mehr los.
Manfred Rumpls kunstvoller Roman führt in die irrlichternde
Welt eines Genies, voller Zweifel und Kämpfe mit sich selbst,
und zeichnet das Leben eines unangepassten Mannes nach, der immer
wieder an die Grenzen der Wissenschaft ebenso wie an jene des
Zwischenmenschlichen stößt. (Picus)
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Ian
Mortimer: "Zeiten der Erkenntnis. Wie uns die
großen historischen Veränderungen bis heute
prägen"
Welches der vergangenen zehn Jahrhunderte hat die
größten Veränderungen erlebt, welches hat
uns als Menschheit am weitesten vorangebracht? Mit dieser Frage
beginnt
Ian Mortimer seine Reise durch die Geschichte des europäischen
Westens, vom 11. Jahrhundert bis heute. War es das 15. Jahrhundert
als
das Zeitalter der Entdeckungen? Oder doch das 16. mit dem Erfindung
des
Buchdrucks und der Reformation?
Auf den ersten Blick würden die meisten von uns vielleicht auf
das 20. Jahrhundert tippen, denn die Gründe liegen auf der
Hand: Flugzeuge,
Raumfahrt,
Internet,
der Siegeszug der Demokratie, die Globalisierung und vieles andere
mehr. Warum diese "Froschperspektive" zu kurz greift (wir mit
unserer
Vermutung aber dennoch nicht ganz falsch liegen), erklärt Ian
Mortimer - witzig, philosophisch und so klug wie prägnant.
(Piper)
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Leseprobe:
(...) Kopernikus kam am 19. Februar 1473 in einem Haus in der
Sankt
Anna-Straße in Thorn (dem heutigen Torun) zur Welt, einer
Stadt an der Weichsel knapp 180 Kilometer südlich von Danzig
(Gdansk) und ebenso weit nordwestlich von
Warschau. Damals
gehörte sie zum Königlichen Preußen, einer
Region des Königreichs Polen. Bei der Taufe erhielt Kopernikus
den Namen seines Vaters Niklas Koppernigk, den er aber später,
wie in akademischen Kreisen üblich, latinisierte, zu Nicolaus
Copernicus.
Die Familie Koppernigk stammte aus dem deutschsprachigen Raum. Sie
war
im 13. Jahrhundert nach Osten in die Provinz Schlesien
ausgewandert und
hatte sich in der Stadt Koperniki, wie sie nun heißt, im
heutigen Südostpolen nahe der tschechischen Grenze
niedergelassen. Um 1350 siedelte die Familie nach Krakau
über,
in die Hauptstadt des Königreichs Polen. Dort wurde Niklas
Koppernigk, der Ururgroßvater des Astronomen, 1396
Bürger der Stadt. In den Annalen taucht Nikolaus'
gleichnamiger Vater erstmals 1448 als ein wohlhabender Kaufmann
auf,
der vornehmlich Kupfer in die polnische Hafenstadt Danzig an der
Weichselmündung verkaufte. Um 1458 zog er von Krakau nach
Thorn und heiratete dort einige Jahre später Barbara, die
Tochter Lucas Watzenrodes des Älteren, eines reichen Kaufmanns
und Stadtrats.
Die Watzenrodes stammten ebenfalls aus Schlesien. Ihren Namen
verdankten sie ihrem Heimatdorf Weizenrodau bei Schweidnitz, von
wo aus
sie nach 1360 nach Thorn übergesiedelt waren. Lucas Watzenrode
der Ältere kam 1400 in Thorn zur Welt und heiratete 1436
Katherina von Rüdiger, die Witwe des Thorner Stadtrats
Heinrich Peckau. Deren gemeinsamer Sohn Johann Peckau sollte
für den jungen Nikolaus Kopernikus zu einer Art Onkel werden.
Bei seinem Tod 1462 hinterließ Lucas Watzenrode der
Ältere drei Nachkommen: Barbara, später die Mutter
des Kopernikus, Christina, die 1459 den wohlhabenden Kaufmann
Tiedeman
Van Allen heiratete, der im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts
acht
Jahre lang Thorn als Bürgermeister diente, sowie Lucas
Watzenrode den Jüngeren, den späteren
Fürstbischof von Ermland. Das Ermland in Nordpolen, zwischen
Pommern und Masuren gelegen, sollte später zu einer der vier
Provinzen des Herzogtums Preußen werden. Westlich lagen die
Gebiete von Königlich Preußen und südlich
das Königreich Polen. Die Watzenrodes hatten in wohlhabende
Bürgerhäuser in Krakau, Danzig und Thorn sowie in
bedeutende Adelshäuser in Königlich Preußen
eingeheiratet.
Thorn war auf einer alten polnischen Siedlung der Deutschritter
gegründet worden, die dort 1230 eine Burg errichtet hatten.
Drei Jahre später unterzeichnete Hermann von Salza, der
Hochmeister des Deutschen Ordens, mit Landmeister Hermann von Balk
Gründungsurkunden für Thorn und das nahe gelegene
Kulm (Chelmno). Diese Siedlungen gehörten zu den rund siebzig
Niederlassungen in Preußen, die der Deutsche Orden
gegründet und mit einer Schutzburg versehen hatte. Auch wurde
in vielen von ihnen eine Kirche errichtet. Durch ihre
Wehrhaftigkeit
zogen sie Bauern aus der Umgebung an und wuchsen so bald zu
Städten mit Handwerkern und Kaufleuten heran. Alle waren von
Wehrmauern umgeben und untereinander durch Straßen verbunden.
(...)