Tanizaki Jun'ichirō: "Tagebuch eines alten Narren"


Gelungene Neubearbeitung eines Literaturklassikers

"Tagebuch eines alten Narren" ist der letzte Roman des renommierten japanischen Autors Tanizaki Jun’ichirō. In diesem Werk erschuf der Autor einen Protagonisten, der seinen Alltag detailliert für Leser dokumentiert.

Das in die Jahre gekommene Familienoberhaupt Utsugi Tokusuke leidet seit Jahren an einer Nervenkrankheit, die täglich zu Schmerzen und Krampfanfällen führt, und ist pflegebedürftig. Der Mann blickt auf ein schillerndes Leben zurück, in dem er auch sexuell nicht zu kurz gekommen ist. Trotz seiner Impotenz fühlt er sich zu seiner attraktiven und jungen Schwiegertochter Satsuko hingezogen. Er verfällt lustvollen Neigungen und unterlässt nichts, sich der lasziven Frau körperlich zu nähern. Mit einem Hang zum Fetischismus macht sich der alte Mann in seinen Annäherungsversuchen bewusst zum Narren. Trotzdem wecken die sexuellen Fantasien und die Begegnungen mit seiner Schwiegertochter seine Lebensgeister.

Das Tagebuch, das Tanizaki Jun’ichirō kreiert hat, ermöglicht eine enge Fokussierung auf den Blick des alten Mannes. Gekonnt verwendet er die subjektiven Ansichten des Protagonisten, um die Ironie der sexuellen Handlungen mit der Schwiegertochter hervorzuheben. Nicht nur der sexuelle Aspekt steht im Mittelpunkt der Erzählung, sondern auch das Fortschreiten des Alters. Die akribische Darstellung der Altersbeschwerden wird der Jugend und der Schönheit Satsukos gegenübergestellt. Auf diese Weise wird ein effektiver Kontrast erzeugt, der den Leser oft in Verwunderung versetzt. Die jugendliche Satsuko stellt für den alten Narren eine unglaubliche Faszination dar: "Ihre Art zu reden, ihre Bewegungen sind ungemein lebendig, sie ist klug, fraulich, weich, charmant und überdies zu allen liebenswürdig." Ihr Körper und ihr Charakter erwecken seine Lebensgeister, und er schmiedet Pläne, mit der schönen jungen Frau des Hauses zusammen zu sein.

Die Übersetzung aus dem Japanischen von Oscar Benl, Übersetzer zahlreicher japanischer Werke, überwindet sprachliche Differenzen. Durch das Übernehmen japanischer Terminologie verliert die Übersetzung kaum Authentizität. Mit Hilfe von Anmerkungen und Erklärungen wird das Verständnis des Lesers nicht eingeschränkt. Was an Stilistik verloren geht, wird von Eduard Klopfenstein, em. Professor für japanische Literatur in Zürich, im Nachwort wettgemacht. Aus diesem Grund wird das sprachliche Lesevergnügen des Romans nicht eingeschränkt.

Tanizaki Jun’ichirō zählt zu den renommiertesten japanischen Autoren der Moderne. Mit seinem ersten Werk "Shisei" (1910) schaffte es der Schriftsteller aus Tokyo, bekannt zu werden. Im deutschsprachigen Raum ist er vor allem aufgrund seiner Essays, unter Anderem für "Lob des Schattens" (1933), in dem er über fernöstliche Schönheit und Ästhetik reflektiert, beliebt. Eine seiner Hauptthematiken, wie sich bereits erahnen lässt, ist, die Frage nach der wahren Schönheit. Die sexuelle Note wird in seinen Erzählungen ebenfalls immer wieder betont. Sadomasochistische Motive und Fetischismus, wie sie auch in der Erzählung "Die Füße Fumikos" (1919) zu finden sind, machten vor allem "Das Tagebuch eines alten Narren" (1962) zu einer skandalösen Veröffentlichung, die viel Aufruhr verursachte. Heute rufen die sexuell betonten Szenen vielmehr ein Schmunzeln oder Kopfschütteln beim Leser hervor und haben ihren Skandalcharakter verloren.

Zusammenfassen lässt sich festhalten: "Tagebuch eines alten Narren" ist eine Lektüreerfahrung, die man sich keinesfalls entgehen lassen sollte.

(Sabrina Brugner; 08/2015)


Tanizaki Jun'ichirō: "Tagebuch eines alten Narren"
Mit Nachwort von Eduard Klopfenstein.
Aus dem Japanischen von Oscar Benl.
Manesse, 2015. 256 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Liebe und Sinnlichkeit"

Mann und Frau begegnen sich in der japanischen Gesellschaft traditionell mit großer Zurückhaltung und Höflichkeit. Wer den Reiz solch verhaltener Sinnlichkeit verstehen will, muss Tanizaki lesen.
Japanerinnen waren lange von einer Aura des Mysteriösen umgeben: blass wie der Mondschein, leise wie das Zirpen von Insekten und sanft wie die Tautropfen auf den Gräsern - so wurden sie in der Literatur ihres Landes idealisiert. Verhaltene, nur angedeutete Zärtlichkeit zeichnete ihr Verhältnis zu den Männern aus. Und doch vermochte genau diese Nuancierung des Erotischen, genannt "iroke", die Männer weit mehr zu bezaubern als allzu große Offenheit und Leidenschaftlichkeit. "Selbst eine noch so schöne Frau hat, wenn sie erst einmal völlig nackt dasteht, nichts mehr, was sie enthüllen könnte", schreibt Tanizaki Jun’ichirō.
Erfrischend unkonventionell bringt uns der Autor das japanische Verständnis von Sinnlichkeit nahe, die auffallende Zurückhaltung, die sich auch in der Architektur des Landes oder der Vorliebe für verschattete Räume spiegelt. Sein Essay aus den 1930er-Jahren, der mit diesem Band erstmals auf Deutsch vorliegt, liefert wie alle Aufsätze Tanizakis einen wertvollen Schlüssel zum Verständnis japanischer Sitten und Kultur. (Manesse)
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