Peter Fröberg Idling: "Pol Pots Lächeln"
Eine
Reise durch das Kambodscha der Roten Khmer
Im Jahr 1978 macht sich eine Gruppe von vier schwedischen
Kampuchea-Sympathisanten auf den Weg in dieses neukommunistische Land,
um an Ort und Stelle zu sehen, was die Revolution nach den
Bombardierungen durch die US-Amerikaner und nach der
zurückgeschlagenen Invasion der Vietnamesen den Menschen
gebracht hat.
Vom landenden Flugzeug aus sehen sie ein in Grund und Boden gebombtes
Land, das auf Befehl Richard Nixons von der Landkarte hatte gefegt
werden sollen und diesen Bemühungen widerstanden hat. Und all
dem, was danach gekommen ist. Nun ist es unter der sehr bedeckten
Herrschaft eines ehemaligen Französischlehrers, der einen Teil
seiner Ausbildung in Paris erhalten hat und sich seit einiger Zeit Pol
Pot nennt, was ein Interviewpartner des Autors als "politique potente"
interpretiert.
Auf ihrem beinahe 2000 Kilometer langen Weg durch das kleine Land sehen
die Besucher glückliche und zufriedene - und insbesondere gut
ernährte - Menschen, die sehr produktiv in Fabriken und in der
Landwirtschaft tätig sind und den Besuchern sowie ihren
Begleitern und Dolmetschern immer offen und mit einem Lächeln
begegnen. Nichts ist zu sehen von den Massenhinrichtungen, den
Hungersnöten und den Gewaltmärschen ganzer
Stadtbevölkerungen, von denen die "imperialistischen" Medien
und auch einige Buchautoren, die sich mit Flüchtlingen
unterhalten hatten, berichtet haben.
Nun ist die Idee eines Potemkinschen Dorfs keine ganz neue, und andere
sozialistische oder kommunistische Länder hatten bereits
vorher herumreisenden Diplomaten und Beobachtern eine
Art
kommunistischer Scheinwelt vorgeführt. Wie konnten also die
vier sehr gebildeten Schweden auf das ihnen Vorgespielte hereinfallen?
Sind sie wirklich darauf hereingefallen?
Peter Fröberg Idling, der selbst viel Zeit in Kambodscha
verbracht hat, ließ diese Frage keine Ruhe, und er begann,
dieser Reise und ihren Umgebungsbedingungen nachzuspüren. Die
beiden Vietnamkriege, der französische und der
us-amerikanische, die Regierungsgeschichte Kambodschas selbst und die
Wanderungsbewegungen chinesischer Staatsangehöriger in
Südostasien, die auch Teile Kambodschas erfassten, die
Expansionsbestrebungen der Vietnamesen, die Vorbilder - in positiver
wie negativer Form - des chinesischen, russischen und sonstigen
Kommunismus in der Welt, Nixons Entscheidung, beim Bombardieren des Ho
Chi Minh-Pfads die kambodschanischen Landesgrenzen zu ignorieren, die
Unterstützung der kommunistischen Bewegung in Kampuchea durch
ausländische Sympathisantengruppen, die glaubten, den Menschen
in den ehemaligen Kolonien zu helfen - und immer wieder die Darstellung
des Landes in den internationalen Medien - sind die Hauptfaktoren, die
durchgehend betrachtet werden; wenn auch nicht die einzigen.
Der zeitliche Rahmen dieser neuen Ausgabe des Titels reicht von der
Geburt Saloth Sars, der später als Pol Pot berüchtigt
werden sollte, bis ins 21. Jahrhundert, in dem der Autor Zeitzeugen
interviewt und einer Geschichte nachzuspüren versucht, von der
in der Folge eine Menge vernichtet worden ist. Es ist der Versuch einer
Rekonstruktion der Biografie Pol Pots und der Ereignisse in Kampuchea
ab den 1960er-Jahren. Es ist aber - zusammengesetzt aus Interviews,
Gesprächsprotokollen, Zitaten aus Geschichtswerken,
Biografien, Darstellungen der eigenen Beobachtungen an Ort und Stelle
und eigenen Gedankengängen - auch eine ausgiebige Reflektion
über die Möglichkeit, über irgendein
geschichtliches Ereignis die Wahrheit herauszufinden - und inwieweit
man sich dabei auch selbst Scheuklappen anlegt. 265 kleinere oder
größere Beiträge zeigen nicht nur viel
Schrecken und Grausamkeit, sondern auch die Schwierigkeit, diese
wirklich zu begreifen.
"Pol Pots Lächeln" ist ein sehr intelligentes Buch, das nicht
nur eine oftmals übersehene menschengemachte Katastrophe des
20. Jahrhunderts wieder ins Gedächtnis ruft, sondern uns auch
noch einmal sehr deutlich in diesem Zeitalter der scheinbar
unbegrenzten Informationen vor Augen führt, wie stark die
Wahrnehmung von Wahrheit von unserer Bereitschaft geprägt ist,
sich mit ihr auseinanderzusetzen - und davon, wer sie uns zu vermitteln
versucht.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2015)
Peter
Fröberg Idling: "Pol Pots Lächeln"
(Originaltitel "Pol Pots leende")
Mit einem Vorwort von Steve Sem-Sandberg.
Aus dem Schwedischen von Andrea Fredriksson-Zederbauer.
Unionsverlag, 2015. 352 Seiten.
Buch
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Peter
Fröberg Idling, 1972 in
Schweden geboren, ist Schriftsteller
und Literaturkritiker und lebt in Stockholm. Er studierte
Rechtswissenschaften und arbeitete ab 2001 zwei Jahre in Kambodscha
für eine Menschenrechtsorganisation. Seine Werke wurden in
zahlreiche Sprachen übersetzt. "Pol Pots
Lächeln" war für den "Jan Michalski
Literaturpreis" und den "Ryszard
Kapuściński-Preis für literarische Reportagen"
nominiert.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Gesang für einen aufziehenden Sturm"
Kambodscha, 1955, wenige Wochen vor den ersten freien Wahlen. Unruhe
breitet sich aus, Gerüchte mehren sich, Oppositionelle
würden verschleppt und getötet. Ein junger Mann
bewegt sich lautlos durch die Stadt, durch entlegene Gassen und
über prächtige Boulevards. Er träumt von
Freiheit
und engagiert sich für die Demokraten. Heimlich
verfolgt er jedoch eine radikalere Agenda: Er sympathisiert mit den
Roten
Khmer. Noch aber hat er sich dem bewaffneten Kampf nicht
verschrieben, noch liebäugelt er mit einer anderen Zukunft,
mit der Frau, die er liebt, mit der schönen Somaly. Als die
jedoch ins Visier seines ärgsten Widersachers gerät
und Machtfantasien und Begierden
in einer fatalen
Ménage-à-trois aufeinanderprallen, hat dies
weitreichende Konsequenzen, nicht nur für die Beteiligten,
sondern für die Zukunft des ganzen Landes ...
Eindringlich und erschütternd wird ein Augenblick der
Geschichte beschworen, den die drohenden Schrecken durchziehen wie das
sanfte Rauschen eines aufziehenden Sturms, in dem das Schicksal eines
Landes zwischen Eros und Macht, politischen Visionen und hoffnungslosen
Träumereien besiegelt wird. (Insel)
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