Joan Schenkar: "Die talentierte Miss Highsmith"
"Sie
war nicht nett." Zum 20. Todestag der us-amerikanischen
Schriftstellerin Patricia Highsmith.
Mehr als tausend Seiten umfasst diese Biografie über Patricia
Highsmith, die im Schweizer Diogenes Verlag zu ihrem 20. Todestag
erschienen ist. Ihre Person schon zu Lebzeiten mythenumwoben, ihr Werk
außerordentlich: 22 Romane, davon fünf mit der
legendären Figur des Tom Ripley, und unzählige
Kurzgeschichten. Ihr auf Deutsch erschienenes Gesamtwerk umfasst 35
Bände. Mit Verfilmungen ihrer Bücher erlangte sie
schon früh Weltruhm. "Zwei Fremde im Zug", 1951 unter der
Regie von Alfred Hitchcock, wurde ein Klassiker der Filmgeschichte,
"Der talentierte Mr. Ripley" wurde bereits zweimal verfilmt: einmal
1960 mit Alain Delon und 1999 mit Matt Damon. So geheimnisvoll wie die
Filme und Bücher blieb auch zeitlebens ihre Autorin. Ihr Bild
in der Öffentlichkeit war bestenfalls eine
bruchstückhafte Skizze einer Selbstinszenierung. Einsiedlerin
- exzentrisch, lesbisch.
Acht Jahre arbeitete die us-amerikanische Dramatikerin Joan Schenkar
daran, den Geheimnissen des Lebens von Patricia Highsmith auf die Spur
zu kommen. Sie durchforstete den Nachlass, der im Schweizerischen
Literaturarchiv in Bern liegt, mitsamt den bisher unbekannten
persönlichen 18 Tagebüchern und 38
Notizbüchern ("Cahiers"), führte unzählige
Interviews mit noch lebenden Freunden, Bekannten und Geliebten. Dieses
umfangreiche und weitgehend neue Material ist die Grundlage dieser noch
umfangreicheren, detailversessenen Biografie.
Joan Schenkar beginnt ihre Biografie mit diesem Satz: "Sie
war nicht nett." Sie war auch nicht höflich, nicht
charmant, nicht rücksichtsvoll. Sie war begabt, reich,
arbeitswütig, vielleicht unglücklich. Sie war ein
Unikum, könnte man schlussfolgern. Schenkars Urteil aber
lautet, sie war ein Monster. Verstärkt wird dieses Verdikt,
das vom ersten Satz an feststeht, durch eine "neue
Herangehensweise", indem die "Obsessionen, die
Highsmiths Leben bestimmten und ihr Schaffen inspirierten",
zum Ordnungsprinzip des Buches wurden. Da geht es um sogenannte
Fälschungen, die Hassliebe zu ihrer Mutter, ihre sexuellen und
gesellschaftlichen Umtriebe in ihrer Jugend, die vielen Frauen in ihrem
Leben, die Liebe zu Materiellem. Eine Chronologie ist erst nach vielen
hundert Seiten im Anhang zu finden.
Es ist ein rastloses Leben, das Patricia Highsmith führte.
Geboren am 19. Jänner 1921 in Fort Worth, Texas, wo sie ihre
ersten Lebensjahre bei ihren Großeltern verbringt,
aufgewachsen in New York, wo sie auch das College besucht, in die
Künstlerszene eintaucht, erste Arbeiten und erste
schriftstellerische Erfolge hat. 1962 dann, auf den Spuren einer
Geliebten, der Umzug nach Europa. Zuerst nach England, dann nach
Frankreich und schließlich in die Schweiz. Zusammengehalten
wird dieses turbulente Leben von einer grenzenlosen
schriftstellerischen Fantasie und Schaffenskraft. Und getragen von
einer schwierigen Persönlichkeit.
Ihre Biografin versucht Highsmith zu entzaubern und zu
entmystifizieren, zeichnet sie als verlebte, skurrile,
bärbeißige alte Frau, die aber entgegen dem Mythos
des Einsiedlerlebens durchaus viel menschliche Hilfe und Nähe
um sich scharte, als eine Arbeitswütige, der Krankheitswert
zukommt, als eine Lügnerin, deren Geheimnisse es offenzulegen
gilt. Erst nach und nach schimmert auch die junge schöne Frau
durch, voll mit Talenten und Anziehungskraft, unbändiger
Energie und Ausdauer. Immerhin schrieb sie einige der
verstörendsten Romane des 20. Jahrhunderts, wie den
"Talentierten Mr. Ripley", den Joan Schenkar auch als Titel
für ihr Werk verwendete. Aber wie schon
Goethe
bemerkte: "Der Charakter ruht auf der
Persönlichkeit, nicht auf den Talenten".
So verstörend die Schriftstellerin Highsmith als Person auch
gewesen sein mag, so verstörend wirkt auch die Abneigung ihrer
Biografin. Schenkar schreibt, als ob es darum ginge, eine Verbrecherin
zu demaskieren. Mit erhobenem Zeigefinger und mitunter
lächerlichen Argumenten. So kann sie sich nicht die Anziehung
erklären, die Highsmith auf andere Personen ausübte.
Denn sie sei weder wirklich berühmt noch habe sie "das
dafür nötige Aussehen". "Das
Elfenbein ihrer Haut ist zerknittert, fleckig und gezeichnet von
Alkohol und Rauchen und - was für ihren Teint noch schlimmer
ist - den gewalttätigen Phantasien, an denen sich ihre
Vorstellungskraft abgearbeitet hat." Außerdem sei
sie perfide. Erstens hinterlässt sie infolge ihrer krankhaften
Schreibwut 8000 handgeschriebene Seiten, um die Nachwelt zu
ärgern, und außerdem verleitet sie die Autorin, "sich
schlecht zu benehmen", da sie sich gezwungen sah, die
Privatsphäre von Zeitgenossen zu verletzen, um an
Informationen zu kommen. Schenkar spricht bisweilen wie eine
verbitterte Mutter über ihr missratenes Kind. Respekt sieht
anders aus. Oder wie soll man Begriffe wie Fälschung und
Irreführung interpretieren, nur weil Patricia Highsmith in
einem Interview erklärte, sich bester Gesundheit zu erfreuen
und alle Krankheiten verschwieg? Interessanter noch die versuchte
Skandalisierung von Highsmiths Arbeit als
Comictexterin zu Beginn ihrer Karriere, die sie
später verschwieg. Für Schenkar wimmelte das gesamte Comicmilieu
nur so vor Gaunern und Schwindlern. Deshalb mache "die Scham,
die Pat (Highsmith) und das gesamte Comicmilieu wegen seiner
abgekupferten Geschichten, gefälschten Identitäten,
falschen Namen und der Fließbandproduktion
verspürte, ... aus ihrer Ausdauer in diesem Job viel mehr eine
Sache von 'Gleich und Gleich gesellt sich gern' als 'für Geld
mache ich alles'".
So monströs wie Patricia Highsmiths Leben war, so ist auch
ihre Biografie. Grenzenlos, ausufernd, selbstbezogen. Highsmith wird zu
ihrer eigenen Romanfigur gemacht: egozentrisch, ja böse aus
sich heraus, keine Empathie zulassend. Gottseidank ist die reale Miss
Highsmith nie kriminell geworden, dafür hat sie ihre fiktiven
Figuren geschaffen. Aber sie lebte genauso rücksichts- und
empathielos wie diese. Und ihre Biografin steht ihr um nichts nach. Sie
verzettelt sich in zu viele Details von zu vielen
Scharmützeln, Streitigkeiten, Absonderlichkeiten, Skurrilem,
und neigt zu blümeranten Formulierungen. Man wird es
müde. Sie nimmt einem die Luft zum Lesen.
Viel Interessantes bleibt jedoch ausgespart. Im Alter
verstärkten sich Highsmiths zahlreiche weniger attraktiven
Eigenschaften. Nicht nur ihre unhöfliche Art, sondern zum
Beispiel auch ihr Rassismus und Antisemitismus. Wie passte diese
konservative, rassistische Weltanschauung in ihr unkonventionelles
Leben? Wie ging sie überhaupt mit Alter und Krankheit um? Und
ihr persönliches Glück? Wie ist es mit dem Klischee
"reich, berühmt und unglücklich"? Die Biografin
krallt sich an der Oberfläche von Unhöflichkeit und
skurrilen Marotten fest, als wäre es die Wahrheit. Und was
nicht in den Tagebüchern steht und kein Zeitzeuge
erzählt, wird auch kein Thema. Schenkar stellt keine Fragen,
sie redet bzw. schreibt lieber. Endlos, ohne Luft zu holen. Das
Ergebnis ist eine Biografie, die man geschwätzige Missgunst
nennen könnte.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 02/2015)
Joan
Schenkar: "Die talentierte Miss Highsmith"
(Originaltitel "The Talented Miss Highsmith.
The Secret Life and Serious Art of Patricia Highsmith")
Übersetzt
von Renate Orth-Guttmann, Karin Betz und Anna-Nina Kroll.
Diogenes, 2015. 1072 Seiten, mit einem Bildteil.
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Noch ein Buchtipp:
Marijane Meaker: "Meine Jahre mit Pat. Erinnerungen an Patricia
Highsmith"
Marijane Meakers Erinnerungsbuch beginnt wie ein Liebesroman, komplett
mit exotischem Dekor, schnellen Dialogen und einer Aufzählung
der Berühmtesten der New
Yorker Intellektuellenszene. Es sind die wilden 1950er-Jahre,
als eine neue Generation von Künstlern sich im Greenwich
Village trifft, um Literatur und Sexualität neu zu erfinden.
Als sie einander anno 1959 kennen- und - sofort - liebenlernen, ist
Marijane Meaker 32 und eine aufstrebende Autorin von
Thrillern, Jugendbüchern und lesbischen
Liebesgeschichten; Patricia Highsmith ist 38, eine glamouröse
Figur und für viele im Village ein mutiges Vorbild.
Das "L's" lag in einer kleinen Seitenstraße im Greenwich
Village, eine schummrige, gemütliche Lesbenbar. Und der Laden
schien nicht einmal der Mafia zu gehören; keine
Türsteher in protzigen Zweireihern, keine Siegelringe am
kleinen Finger. Genauer gesagt gab es überhaupt keine
Männer. Man hatte nicht den Eindruck, dass alle Besucherinnen
entweder butch oder femme
waren. Die meisten sahen eher wie Collegemädchen aus, gut
angezogen, nicht dick geschminkt wie manche Älteren. Die Musik
war sanft: Jeri Southern sang "You Better Go Now", Frances Faye
schnurrte "I'm Drunk with Love". Eine gutaussehende dunkelhaarige Frau
stand an der Bar und trank Gin, und rundum wurde getuschelt: Das ist
Claire Morgan! In der Welt draußen kannte man sie besser
unter dem Namen Patricia Highsmith, Verfasserin von "Zwei Fremde im
Zug"; Alfred Hitchcock hatte den Stoff 1951 verfilmt. (Diogenes)
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