Peter Handke: "Tage und Werke"
Begleitschreiben
Neben seinen rein literarischen (oder primärliterarischen) Werken hat Peter Handke immer schon (in Buchform erstmals mit seinem 1972 erschienenen Sammelband "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms") Bücher anderer Autoren besprochen oder sonstwie Zeugnis seiner zahlreichen Lektüreerfahrungen abgelegt. Und er hat sich auch als Erdenbürger immer wieder zu politischen Themen geäußert. "Tage und Werke" umfasst solche Texte vor allem aus den letzten zehn Jahren. In seinem letzten Drittel allerdings führt das Buch mehr als ein halbes Jahrhundert zurück: "Portrait des jungen Dichters als Büchereckenschreiber in Radio Steiermark" lautet der selbstironische Titel, unter dem Handkes damalige Rezensionen aus der ersten Hälfte der sechziger Jahre nachzulesen sind.
Mit literaturwissenschaftlichem Rüstzeug Gesamturteile zu fällen, ist nicht Handkes Art, über Bücher zu sprechen. Lieber hebt er einzelne, ihn berührende Aspekte der Autoren und ihrer Werke hervor, weist auf besondere Schönheiten oder manchmal auch Kritikwürdigkeiten hin, beleuchtet auf seine Art und in seinen Worten die inneren Welten der Besprochenen, agiert als ein solcher Räumeeröffner und Aufmerksammacher im Grunde ähnlich wie in seinen primärliterarischen Texten. Und ebenso finden sich auch in diesen Schriften kleine Zornausbrüche und Spontanreaktionen auf Ärgernisse - wenn Handke zum Beispiel der Behauptung einer im übrigen von ihm hochgeschätzten österreichischen Lyrikerin, Carla Bruni sei eine authentische Sängerin, widersprechen zu müssen glaubt.
Der Lyrik und Lyrikern sind
überhaupt auffällig viele Texte des Prosaschriftstellers Handke
gewidmet; weitere Schwerpunkte bilden Slawischsprachige,
Deutschsprachige sowieso, Amerikaner und Vertreter von
Minderheitensprachen (dazu recht wahllos ein paar Namen: Valentin Hauser, John Dos Passos, Alfred
Kolleritsch, Konrad Bayer, Henry
David
Thoreau, Gustav Januš, Dragan
Velikić, Robert Wilson, Friederike
Mayröcker, Kito Lorenc, Tomas
Tranströmer, Ernst Meister und natürlich viele Andere).
Schon mehr im Bereich der reinen Literatur als im Referentiellen
angesiedelt ist beispielsweise ein Text des Schriftstellers, der ein
Treffen in einem Pariser Lokal mit seinen Kollegen Dimitri Analis und
Adonis zum Inhalt hat, aus einer die Privatsfäre der beiden Dichter
schützenden, sie andersartig dennoch mitbeschreibenden Perspektive.
Literaturpreise waren für Peter Handke in letzter Zeit häufig von seinen früheren politischen Stellungnahmen überschattet. Die Dankesreden zur Verleihung des Heinrich-Heine-Preises und des Ibsen-Preises bringen den alten Jugoslawienkonflikt, der in den neunziger Jahren mit dem Eintreten Handkes für die serbische Seite für heftige Diskussionen und noch heftigere Diffamierungen gesorgt hat, noch einmal zur Sprache. Handke steht dabei nicht an, sich für den einen oder anderen Satz, der ihm damals in der Hitze des Gefechts (wenn schon vom Krieg die Rede ist) über die Lippen gekommen ist, zu entschuldigen, während er gleichzeitig im wesentlichen bei seinen alten Vorwürfen bleibt. "Ihr macht die Welt böser" lautet der Titel einer Widerrede anlässlich der von solchen neuaufgeflammten Auseinandersetzungen begleiteten Verleihung des Ibsen-Preises, worin er die Kriegstreiber, Hysterieschürer und Demokratiemissbraucher von einst und heute scharf angreift. Die Zukunft wird es weisen, inwieweit das Bild der Kriegsereignisse, das Aufrechnen von Bestialitäten seitens der verschiedenen Kriegsparteien, die Rolle unserer sogenannten westlichen Medien und nicht zuletzt die Ursachen der Balkankatastrofe korrigiert werden müssen.
Doch lieber zurück zur
Literatur und ihren zeitlosen Tugenden, und am besten möge Peter Handke
hierzu selbst zu Wort kommen. Aus dem Vorwort des Buches:
"Gestern,
am Sonntagabend, ist mir eine besondere Schönheit 'begegnet', nicht
'angekommen', wie NOFRETETE, sondern mir begegnend als Schönheit
zugleich mich bewegend: Da stieg ich auf gut Glück in den Vorortzug nach
Versailles, und mit mir im ziemlich leeren Abteil, da und dort, saßen
drei eher junge Männer. Und sie alle drei lasen. Und sie lasen ein jeder
ein Buch, und es war das jeweils ein ernstes Buch - es war, Schönheit
der Bücher wie der drei Leser, offenbar die alte, die ernste, die ewig
neue Literatur. Und es wurde so im Waggon Raum, wie selten ein Raum. Und
als ich gegen Mitternacht zurückkam mit einem anderen Zug, da saß,
gelehnt an die Bahnhofsmauer hier, noch ein so leuchtend ernster Leser,
wartend auf den letzten Bus in die Garnison oben auf dem Plateau von
Villacoublay. Und so grüße ich alle Euch ernsten
Leser
zum 'Schreiben als Wiederentdeckung'."
(fritz; 12/2015)
Peter
Handke: "Tage und Werke. Begleitschreiben"
Suhrkamp, 2015. 287 Seiten.
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"Von
der
Baumschattenwand nachts. Zeichen und Anflüge von der Peripherie.
2007-2015"
Der
Blick ist das Wort – für keinen Dichter gilt das so wie für Peter
Handke, vorzüglich in seinen Notiz- und Tagebüchern.
Kaum ein
zweiter Autor hat in den letzten Jahrzehnten die Welt mit so viel
Aufmerksamkeit angeschaut wie Peter Handke; und diese Aufmerksamkeit
ist Wahrnehmung,
die gelten lässt. Sie muss nicht mehr in Sprache übertragen werden,
denn sie ist Sprache, der Blick ist das Wort, in dem das Gesehene
sich tatsächlich wahrgenommen fühlt.
Immer wieder gelingt es diesem Dichter die Welt so darzustellen,
dass sie zur Geltung kommt und sie sich und wir sie erkannt wissen,
und immer schon ist ihm das in besonderer Weise in seinen Notiz- und
Tagebüchern gelungen. In denen der Jahre nach der Jahrtausendwende
hat Peter Handke sich zunehmend darauf eingelassen, seine
Beobachtungen in aphoristischen Formulierungen zu bündeln, die für
den Leser Anstöße in offenes Gelände sind, wo er im »Karawanenzug
der Sätze« der Welt auf ungewohnte und erfrischende Weise begegnet.
Jung und Jung, 2016. 424 Seiten
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"Mündliches
und
Schriftliches: Zu Büchern, Bildern und Filmen 1992-2002"
Die in
diesem Buch versammelten Aufsätze, Notate und Reden aus den
vergangenen zehn Jahren zeigen Peter Handke als leidenschaftlichen
Kinogänger, Bildbetrachter und Leser beim »Beobachten, Betasten,
Beschreiben, Vergleichen«.
Mit einem
unbändigen »Appetit auf die Welt« läßt er sich ein auf die Werke von
Kollegen, um sie »mit erfrischten Augen« neu zu sehen, sich selbst
im Kunstgenuß als einen Veränderten und Bereicherten zu erleben. »Es
war, als hätte ich mir durch bloßes Zuschauen die Welt verdient«,
beschreibt Handke etwa in einer Rede auf der Viennale 1992 sein
Kinoerlebnis mit Antonionis La Notte. Was wir erfahren von seinen
Begegnungen mit Filmen von Jean-Marie Straub oder Abbas Kiarostami,
dem iranischen Cineasten, mit Büchern von Marguerite Duras, Hermann
Lenz, Karl Philipp Moritz, Ralf
Rothmann, Erich Wolfgang Skwara, den Bildern und Gemälden
Pierre Alechinskys, Emil Schumachers und Anselm Kiefers sind
weltauftuende und scharfsichtige Beobachtungen, durch die immer der
Blick auf das Umfassendere mitgeöffnet wird. Sichtbar werden Bilder
– »bekannt als Bilder aus dem eigenen Leben – dem unbekannten
eigenen Leben. Nur dem eigenen? Nein: dem unbekannten, größeren, in
dem auch das des Betrachters mitspielt.«
Suhrkamp, 2002.
166 Seiten
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