Sigrid Damm: "Sommerregen der Liebe"

Goethe und Frau von Stein


"Guten Morgen liebste Frau!"
Goethe im brieflichen Liebesrausch mit Frau von Stein

"Guten Morgen, meine beste. ... Guten Morgen Liebste. Die ganze Nacht hab ich von Ihnen geträumt, nur haben wir nie einig werden können. Adieu .. In meiner Seele wills noch nicht recht helle werden. Dass es Ihnen recht wohl sey!" So oder so ähnlich beginnt Johann Wolfgang von Goethe fast jeden Tag seiner ersten zehn Jahre in Weimar. Briefe oder "Zettelgen" an die verehrte Charlotte von Stein, tausendsiebenhundert an der Zahl. Allein diese sind ein lebendiges Zeugnis für eine der bekanntesten außergewöhnlichen Beziehungen in der deutschen Literaturgeschichte. Sigrid Damm, Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin und Expertin der Weimarer Klassik, hat sie neu gelesen und zweihundertdreißig davon ausgewählt, um einen "Lebens- und Liebesroman" daraus zu formen.

Für Goethe, der anno 1775 als 26-jähriger schon berühmter Autor der "Leiden des jungen Werther" nach Weimar kam, eröffnete sich am Fürstenhof eine neue Welt, für die Frau von Stein den Schlüssel hatte. Sie wurde zur Erzieherin, Freundin, Vertrauten, ideellen Geliebten. Binnen kurzem war sie Dreh- und Angelpunkt seiner Weimarer Existenz. Sie ist ihm die beste, die liebste, liebste Frau, liebste Lotte: "Du liebes Glück, du Ende und Anfang meiner Zeit", "du süser Traum meines Lebens, du Schlaftrunck meiner Leiden", "du beste, du Inbegriff meines Glücks". Er liebt, er leidet, schmachtet, verzehrt sich in Sehnsucht und Verlangen. Ihre Antworten kennen wir nicht, denn ihre Briefe wurden alle auf ihr Verlangen hin vernichtet. Aber sie scheint diese Verehrung und Zuneigung zu genießen. Und er? "Liebes Gold wenn ich zuletzt aus meinem Traum erwache, find ich noch immer, dass ich Sie lieb habe und mich nach Ihnen sehne." "Sag mir daß du mich liebst und daß du mich heute sehen willst." "Ich kann's nicht erwarten, vor dir zu knien, dir tausend tausendmal zu sagen daß ich ewig dein bin." Immer wieder bettelt er um ein Wort, ein Zeichen. "Ich kann nie genug von dir haben. Sag mir daß du wohl bist, daß du mich magst, daß ich dir willkommen seyn werde."

Mit den Jahren wurden die Liebesbezeigungen dringlicher. "Meine Seele ist fest an die deine angewachsen ... Ich wollte, daß es irgendein Gelübde oder Sakrament gäbe, das mich dir auch sichtlich und gesetzlich zu eigen machte, wie werth sollte es mir seyn." Aber Charlotte, Hofdame, Ehefrau und Mutter, ist und bleibt unerreichbar. Sie bleibt die Seelenfreundin und platonische Geliebte. Oder, wie es Goethe einmal hellsichtig ausdrückt: "Wir können einander nichts seyn und sind einander zu viel."

Obwohl die Liebe letztlich unerfüllt bleibt, leben die beiden eine intensive Beziehung. Sie wechseln Briefe, schicken "Zettelgen" und Präsente, sie sehen einander fast täglich und essen zusammen. Goethe nimmt sich ihrer Kinder und diverser Arbeiten an. Er wird zum Hausfreund. Und Hausgeliebten. In diese Zeit fallen aber auch die erste leidenschaftliche Freundschaftsphase mit dem Herzog und sein beruflicher Aufstieg am Fürstenhof von Weimar, während seine literarische Arbeit immer mehr abnimmt.

Liebe als Lebenshilfe? "Ihre Liebe", schreibt er, "macht ein immer schönes Clima um mich, und ich bin auf dem Weege mich durch sie von manchem Überreste der Sünden und Mängel zu kuriren." Auch treibe sie ihn zu Arbeit und Disziplin an. "Deiner Liebe und der guten Stunden die du mir gönnst werth zu sein will ich mich heute durch Fleis und Ordnung bemühen. Ich sehe einen arbeitsreichen Tag vor mir und einen glücklichen Abend wenn du mir erlaubst, dir bey Sonnenuntergang zu sagen daß ich dich immer gleich liebe und verehre."
Zehn Jahre lang beschwört er die Liebe, unermüdlich, immer wieder, und immer ohne erotische Anspielungen. Sie sei wie der Abend- und der Morgenstern, wie der Frühling, der keinen Herbst haben möge. "Wisse, wie glücklich in deiner Liebe bin". "... deine Güte und Liebe ist die Lufft in der ich lebe". "Ja liebe Lotte ietzt wird es mir erst deutlich wie du meine eigne Hälfte bist und bleibst. Ich bin kein einzelnes kein selbständiges Wesen." "Ohne dich", seufzt er, "ist mir das Leben nur eine Träumery." Noch 1785 betont er: "Wir wollen immer zusammen bleiben meine Liebe. Darüber sey ohne Sorge." Ein Jahr später flieht er aus dieser vielleicht auch erstickenden Liebe Hals über Kopf nach Italien. Nach seiner Rückkehr heiratet er die junge Christiane Vulpius.

Sigrid Damm hat sich vorgenommen, eine wohlbekannte Beziehung neu zu erzählen und damit ein "umfassendes, einzigartiges Psychogramm" (Damm) des jungen Goethe aufzuzeichnen. Minutiös rekonstruiert sie diese Liebe mit ihren Aufs und Abs, Jahr für Jahr. Aber lässt sich inneres Glück oder Unglück von außen feststellen? Und wenn ja, steht es uns überhaupt zu, und was gewinnen wir dabei an Erkenntnis? Was bleibt, sind schmachtende Liebesbriefe, voll von Sehnsucht und Hoffnung. Keine Zweifel, jene Gefühle, die Goethe wortreich beschwor, waren intensiv, aber die Lektüre erweckt auch oft den Eindruck, in fremden Intimwelten herumzukramen, die uns nichts angehen und die für uns, für die Literatur und die Geschichte auch nicht sonderlich interessant sind. "Die intime Landschaft der Empfindungen des Schreibers liegt vor uns ausgebreitet", meint die Autorin. Möge unsere bei uns bleiben.

(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 12/2015)


Sigrid Damm: "Sommerregen der Liebe. Goethe und Frau von Stein"
Insel, 2015. 405 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Stefan Bollmann: "Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist"

Der Sinn des Lebens? Wenn einer mit beharrlicher Leidenschaft danach gesucht hat, dann Johann Wolfgang von Goethe. Stefan Bollmann destilliert aus Goethes Leben und seinen Werken ein so liebenswürdiges wie kurzweiliges Buch für alle, die es wie er nicht lassen können, nach dem Guten, Wahren und Schönen zu fragen. Goethe hat als Erster verstanden, dass der Sinn des Lebens die Summe dessen ist, wie wir jeden einzelnen unserer Tage gestalten. So gesehen und gelesen ist Goethe der beste und klügste aller vorstellbaren Ratgeber: Wie übersteht man die ersten 25 Jahre, ohne den Lebensmut zu verlieren? Warum kann die Zerstreuung zur Fokussierung führen? Von ihm erfahren wir aber auch, dass das Wichtigste am Reisen das Zurückkommen ist, und wie man die Liebe neu entflammt. Stefan Bollmann zeigt uns einen Goethe, den wir gerade in unserer unübersichtlichen Gegenwart dringender denn je brauchen. Ohne ihn wäre das Leben tatsächlich sinnlos. (DVA)
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