David Foenkinos: "Charlotte"
Roman
einer Spurensuche
"C'est toute ma vie." - Das ganze Leben der
Charlotte Salomon in einem literarischen Denkmal
"Künstler erreichen in ihrem Leben einen bestimmten
Punkt.
Einen Punkt, an dem sich eine innere Stimme zu Wort meldet.
Etwas in ihnen breitet sich unaufhaltsam aus, wie Blutstropfen im
Wasser." (S. 60)
Charlotte Salomon wird 1917 als Tochter jüdischer Eltern
geboren. Ihre Familie wird von einer unglaublichen Traurigkeit
heimgesucht, die auch Charlotte in sich trägt. Doch Charlotte
ist ein Genie. Ihre Begabung für die Malerei
macht sie zu
einer der außergewöhnlichsten Künstlerinnen
des 20. Jahrhunderts. Ihre Bilder, im "Joods Historisch Museum" in
Amsterdam ausgestellt, sprühen voller Leben, Farben und
Gefühlen. Ihr Werk "Leben?
oder Theater?
Ein Singespiel", eine
Sammlung von Bildern untermalt mit Musikstücken und
selbstverfassten Texten, erzählt ihre eigene Lebensgeschichte.
Das Werk berichtet von ihrer Mutter, die Selbstmord begangen hat. Es
erzählt von Alfred, ihrer großen Liebe. Es
porträtiert Menschen, die Charlotte bewegten. Es dokumentiert
die politischen Entwicklungen der 1930er-Jahre, den Hass, den sie
erfahren musste, den Unmut über das Schicksal ihres Vaters.
Wohl wissend, dass die Zeit drängt, beendet Charlotte ihr Werk
mit gehetzten Pinselstrichen aus Angst vor einer möglichen
Deportation. Das Versteck in Frankreich, wo sie gemeinsam mit ihrem
Ehemann Alfred Nagel lebt, wird bald zum Verhängnis. Als die
SS die schwangere Charlotte Salomon am 21. September 1943 abholt, ist
sie 26 Jahre alt.
"Ich spürte ständig das Verlangen, eine neue
Zeile zu beginnen.
Um durchatmen zu können.
Irgendwann begriff ich, dass ich das Buch genau so schreiben muss"
(S. 74), so der Autor, der sich jahrelang mit dem Leben der Malerin
befasst hat, über die gewählte Form: Jede Zeile ein
Satz.
David Foenkinos, der das Werk deutsch-jüdischen Malerin in
einer Ausstellung in
Paris entdeckte und davon begeistert war, schuf
mit seinem Buch "Charlotte" ein Andenken an die ermordete Berliner
Künstlerin Charlotte Salomon. Aufgrund seiner Faszination
für die deutsche Malerin versteht es der Autor, mit jeder
Zeile ein Porträt zu kreieren, das vor Gefühl und
Leben sprüht, so wie es auch das Lebenswerk der
Künstlerin selbst tut.
Salomons Leben, das unausweichlich mit den politischen Ereignissen der
1930er- und 1940er-Jahre verbunden ist, wird mit einem
ungetrübten Verständnis für ihren Charakter
und ihre Begabung geschildert. In dem
außergewöhnlichen literarischen Andenken an die
Künstlerin meldet sich auch der französische Autor
Foenkinos selbst zu Wort. Er gibt Eindrücke und Erfahrungen
wieder, die er auf der Suche nach der wahren Charlotte Salomon gemacht
hat. Die Personen in ihrem Leben werden mit gründlich
gewählten Worten in einzigartiger Feinheit
porträtiert. Ihr Einfluss auf Charlotte wird mit keiner Zeile
vernachlässigt.
Das Leben der Künstlerin, das ein viel zu jähes Ende
nahm, erhält mit "Charlotte" eine beeindruckende Hommage.
Literarische Konzeptionen und biografische Normen werden in diesem Buch
überwunden, um ein aussagekräftigeres und lebhafteres
Porträt eines faszinierenden Talents zu schaffen. Die
Geschichte, die erzählt wird, berührt ungemein und
fesselt bis zur letzten Zeile.
Der Roman "Charlotte", der die Wahrheit detailgetreu wiederzugeben
versucht, wurde im Jahr 2014 mit dem "Prix Renaudot" und dem "Prix
Goncourt des lycéens" ausgezeichnet, und in Frankreich
wurden im Erscheinungsjahr eine halbe Million Exemplare verkauft.
Das Buch ist ein Lesevergnügen der besonderen Art und ein Muss
für Kunst- und Literaturliebhaber.
(Sabrina Brugner; 09/2015)
David
Foenkinos: "Charlotte"
(Originaltitel "Charlotte")
Aus
dem Französischen von Christian Kolb.
DVA, 2015. 240 Seiten.
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Lien zur
Themenseite des "Joods Historisch Museum":
http://www.jhm.nl/collectie/thema's/charlotte-salomon