William Faulkner: "Absalom, Absalom!"
Wunderbare
Neuübersetzung eines gewaltigen Meisterwerkes
Die Romane des großen us-amerikanischen Autors William
Faulkner, der anno 1949 den Nobelpreis für Literatur erhalten
hat, haben im deutschsprachigen Raum nie jene Anerkennung und
Verbreitung gefunden, die ihnen allein schon aufgrund ihrer
Qualität gebühren würde. Das liegt
einerseits an der teilweise recht verwirrenden Schreibweise Faulkners,
die sich auch im Original literarisch bewanderten US-Amerikanern, die
sich mit dem Slang und den immer wieder von
Faulkner frei erfundenen Wörtern sehr oft nur mit
großer Mühe erschließt, andererseits auch
daran, dass die bisher im deutschsprachigen Raum erschienenen Romane
bei zu vielen Verlagen und vor allem in qualitativ sehr
unterschiedlichen Übersetzungen auf den Markt gekommen sind.
Übersetzungen, die von sehr schlecht bis eher
mittelmäßig eingestuft werden könnten.
Bedingungen also, die das sich nicht von selbst erschließende
Werk Faulkners sperriger vermuten lassen, als es in Wahrheit ist.
Außerdem waren gerade die chaotische Aufteilung der
verschiedenen Romane und die überhaupt nicht chronologisch
organisierten Erscheinungstermine zusätzlich unvorteilhaft, da
Faulkners Romane, im Gegensatz zu denen seines Kollegen
Ernest
Hemingway, die in deutscher Sprache immer bei Rowohlt
erschienen sind, sehr selten eine in sich abgeschlossene Handlung
haben. Selbst die großen Zyklen wurden in falscher
Reihenfolge, oft mit einem oder zwei Jahrzehnten zwischen den
Erscheinungsterminen, herausgebracht.
Zum hundertsten Geburtstag begann Rowohlt im Jahr 2008 mit einer Reihe
von Neuübersetzungen des Faulknerschen Oeuvres, die sich
bisher als wegweisend und unverzichtbar für die Erkennung der
ungebändigten Kraft und Originalität dieses Autors
herausgestellt haben.
"Es war ein Sommer der Glyzinien. Die Dämmerung war
von ihnen und vom Geruch der Zigarre seines Vaters erfüllt,
als sie nach dem Abendessen auf der vorderen Veranda saßen,
bis es für Quentin Zeit zum Aufbruch sein würde,
während auf dem tiefen, üppigen Rasen vor der Veranda
die Leuchtkäfer aufs Geratewohl sanft durcheinanderwehten und
-wogten - dem Duft, dem Aroma, das Mr. Compsons Brief fünf
Monate später vom Mississippi über den eiseskalten
New-England-Schnee bis in Quentins Zimmer in Harvard tragen sollte."
Nach "Licht im August" (2008), "Als ich im Sterben lag" (2010), "Schall
und Wahn" (2012) nun also der große existenzialistische Roman
"Absalom, Absalom!", ein packendes, verstörendes und
bildreiches Drama, das den Untergang der Südstaaten als
Ausgangspunkt hat.
Wieder begegnen uns Thomas Sutpen und Quentin Compson, der 1909, als
zwanzigjähriger junger Mann, hier der Aufforderung von Miss
Rose Coldfield, ihrerseits in den Siebzigern und "alte Jungfer",
nachkommt und die Geschichte der Familie Sutpen anhört und
niederschreibt. In den folgenden Wochen und Monaten wird er immer
tiefer in die Geschichte der Sutpens gezogen, über die er
grübelt und mit seinem Vater diskutiert, ständig
darüber nachdenkt und sie später detailliert und mit
eigenen Kommentaren und Mutmaßungen bereichert seinem
Zimmerkollegen in Harvard, Shreve, weitererzählt.
Die alte Dame berichtet von ihrer Schwester Ellen und ihrem Vater, der
sich vor den Konföderierten auf seinem Dachboden
verbarrikadiert hatte und verhungert war. Sie erzählt von dem
Sonntag, an dem Colonel Sutpen anno 1833 nach Jefferson, Mississippi,
gekommen war, um sich günstig allerbestes Land von den
Indianern
zu kaufen, eine Frau zu nehmen und Kinder zu zeugen. In jeder
Hinsicht ist Sutpen eine dämonische Figur, die nicht nur
unerklärliche Geldquellen zu haben scheint, sondern auch noch
eine ganze Armee wilder Sklaven hält, mit denen er sich in
einer allen unbekannten Sprache unterhält. Zusätzlich
webt William Faulkner meisterhaft Inzest, Brudermord
und alle
möglichen Sünden in dieses Drama ein, das dadurch
fast biblische Züge gewinnt.
"Und in der Hütte hinter dem Spukhaus lebte er
sechsundzwanzig Jahre lang, er und die alte Frau, die inzwischen
über siebzig sein musste, aber unter dem Kopftuch noch kein
weißes Haar hatte, deren Fleisch nicht erschlafft war,
sondern stattdessen so aussah, als wäre sie bis zu einem
gewissen Grad gealtert, wie es normale Menschen tun, und hätte
dann aufgehört, und anstatt grau und schwammig zu werden,
hätte sie zu schrumpfen begonnen, sodass die Haut ihre
Gesichts und ihrer Hände eine Million winziger, haarfeiner
Fältchen bildete und ihr Körper einfach immer nur
kleiner und kleiner wurde, wie etwas, was man im Ofen schrumpeln
lässt ..."
Da ihn diese Geschichte nicht mehr loslässt, geht Compson mit
Miss Rosa zur alten Sutpen-Plantage, wo sie den betagten Henry Sutpen,
(einen Sohn Thomas Sutpens), finden, der nur darauf wartet, zu sterben.
Monate später versucht Rosa, den Alten mit einer Ambulanz zu
holen, doch die mittlerweile ebenso alte Clytie, Thomas Sutpens Tochter
mit einer Sklavin, setzt das Haus in Brand und bringt so sich und Henry
um, was der Sutpen-Dynastie ein feuriges Ende bereitet.
William Faulkners Roman ist in seiner Wucht ein absolutes Meisterwerk,
das man sich als Leser allerdings teilweise mit Mühe
erschließen muss. Der Autor macht es dem Leser nicht leicht,
da er, wie bekannt ist, in Schaffensräuschen
drauflosgeschrieben und so auch hier einen wuchernden Koloss geschaffen
hat, der einen, wenn man sich auf diesen ganz besonderen Rhythmus
eingelassen hat und sich nicht davor scheut, die eine oder andere Seite
ein weiteres Mal zu lesen, nicht mehr loslässt. Auch die am
Ende des Texts vorhandene Chrono- und Genealogie ist, ebenso wie die
Karte von Jefferson, Yoknapatawpha County, Mississippi, dessen einziger
und alleiniger Besitzer natürlich William Faulkner ist, ein
sehr hilfreiches Mittel, um einen erfolgreichen Kurs durch dieses
Meisterwerk zu finden.
Nikolaus Stingls Neuübersetzung trifft Faulkners Tonfall
blendend und schafft es, aus Faulkners teilweise unendlich langen, wie
improvisiert klingenden Sätzen eine nicht nur passende
deutsche Übersetzung zu schaffen, ihm gelingt gar das
Bravourstück, diesen Text so erscheinen zu lassen, als
hätte William Faulkner ihn in deutscher Sprache verfasst. Das,
in Verbindung mit der Qualität dieses Romans, macht die
Lektüre von „Absalom, Absalom“ in dieser
Neuübersetzung zu einem literarischen Ereignis der
Extraklasse. Vielleicht eine der gewaltigsten Neuerscheinungen des
Jahres 2015. Man kann nur hoffen, dass Rowohlt mit der Reihe der
Neuübersetzungen von William Faulkners Romanen weitermacht.
Absolute, in jeder Hinsicht uneingeschränkte Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 11/2015)
William
Faulkner: "Absalom, Absalom!"
(Originaltitel "Absalom, Absalom")
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Rowohlt, 2015. 478 Seiten.
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William Faulkner, am 25. September 1897 in Albany, Mississippi, als William Cuthbert Falkner geboren, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Neben seinem umfänglichen Werk, einer Chronik von Glanz und Verfall der Südstaaten, verfasste er Drehbücher, unter Anderem zu Raymond Chandlers "The Big Sleep" und Ernest Hemingways "To Have and Have Not", beide unter der Regie von Howard Hawks. Faulkner wurde zweimal mit dem "Pulitzer-Preis" ausgezeichnet, erhielt den "National Book Award" und den "Nobelpreis für Literatur". Er starb am 6. Juli 1962.